FĂŒrchte den Anderen wie dich selbst. (Ringel 1991)
Es sind diese GesprĂ€che, die frau nur zu gerne vermeiden wĂŒrde. Da steht dann der Elefant im Raum (Nora Eckert 2023) âIhr habt da doch eine*n trans Kolleg*in bei Euch in der Abteilung, âŠâ Und plötzlich sind endo-cis Heteros in der Verlegenheit, weil sie oft nichts ĂŒber LGBTIN wissen und damit sonst auch nichts zu tun haben wollen, Stellung zu beziehen, sich zu âoutenâ. Verdammt peinlich das Ganze. Am besten mit der Antwort: âNa und, ob die Kolleg*in jetzt so oder so ist, hat ja an der Arbeit nichts geĂ€ndertâ parieren und vom Tisch wischen. Besonders beliebt ist der Satz bei FĂŒhrungskrĂ€ften. Dem Ganzen möglichst wenig Raum bieten und Nachfragen am besten gleich unterbinden. âPuh, vorerst mal save.â Denn dass das eigene persönliche Vorurteil ein klarer Fall von Diskriminierung ist, hat sich bereits bis ins endo-cis Putzkammerl rumgesprochen.
Doch nĂ€heren Umgang mit Transmenschen möchte frau nicht haben. Er fĂŒhrt immer zu so unangenehmen Fragen wie der, was es eigentlich ausmacht, ein Mann oder eine Frau (oder etwas anders) zu sein. Das macht es fĂŒr Trans nicht leichter, denn wir sind alle auf Anerkennung, WertschĂ€tzung und Respekt angewiesen. Arbeit scheint nur auf den ersten Blick ein soziales Umfeld wie jedes andere zu sein. Doch wĂ€hrend frau sich im âprivatenâ ihre Beziehungen weitgehend aussuchen kann, ist dies im Arbeitsumfeld auf Grund der AbhĂ€ngigkeiten nicht so einfach. SĂ€tze, wie âNa, da hĂ€tten sie ja kĂŒndigen und sich was Anderes suchen können.â sind zuweilen sogar von Richter*innen der Arbeits- und Sozialgerichte zu hören, als gĂ€be es die FĂŒrsorgepflichten gar nicht, oder gar GleichbehandlungsgrundsĂ€tze.
Ein kurzer Blick hinter die Kulissen.
Laut AK haben 67% der Unternehmen keine Verfahren fĂŒr Umgang mit Mobbing oder BelĂ€stigung. Das mag auch dem hohen Anteil an kleinen und mittleren Unternehmen geschuldet sein. Sich der Illusion hinzugeben, es wĂ€re bei gröĂeren Unternehmen oder Gebietskörperschaften anders, ist jedoch ein Trugschluss. Besonders, wenn es um GeschlechtsidentitĂ€ten geht. Die EU-Gleichstellungsrichtlinie wurde zwar, zumindest was Trans betrifft, 2006 nachgebessert, was jedoch mitnichten bedeutet, dass dies in der nationalen Umsetzung angekommen ist und schon gar nicht, dass diese andere als die patriarchal geprĂ€gten bipolaren Geschlechter Frau/Mann umfasst. FĂŒr GeschlechtsidentitĂ€ten lĂ€sst sich rechtlich daraus also kein Auftrag an Gleichbehandlungsstellen ableiten, was neben der geschichtlichen EinschrĂ€nkung auf die Diskriminierung von, in diesem Fall, endo-cis Frauen durch endo-cis MĂ€nner dazu fĂŒhrt, dass diese meist nicht in der Lage sind Diskriminierungen anderer GeschlechtsidentitĂ€ten zu erfassen. Das österreichische Gleichbehandlungsgesetzt behandelt bis heute explizit nur Frauen und MĂ€nner. Das geht auch anders: Das deutsche AGG enthĂ€lt gleich in der Zielsetzung in §1 Geschlecht und sexuelle IdentitĂ€t, wobei letzteres auch die GeschlechtsidentitĂ€t umfasst. (Scholz (Hg.) 2022)
Daher bleibt die Forderung nach expliziter Nennung der GeschlechtsidentitĂ€ten in allen rund 30 österreichischen Gleichbehandlungsgesetzten sehr dringlich, wie sie auch in der Petition #SchutzFĂŒrAlle enthalten ist. Auf eine âfortschrittlicheâ oder freundliche Rechtsauslegung zu hoffen kann keine Grundlage fĂŒr Gleichbehandlung sein!
Vorsicht ist angebracht
Gerade im Zuge eines Outings im Job kann es zu Verletzungen kommen, weil sich die Person in dieser Zeit öffnet, sich erstmals bei sich selbst angekommen fĂŒhlt. Das kann aber auf Grund der einseitigen Kommunikation zu einer Machtasymmetrie fĂŒhren. Vieles ist neu und es kann durchaus passieren, dass frau dann Kolleg*innen etwas durchgehen lĂ€sst, was sich im Nachhinein als Fehler herausstellt. (Du bringst Dich selbst zum Schweigen). Seit 2019 gibt es ein wirklich sehr gutes Buch zum Thema BelĂ€stigung von Period Brussels (Sara Hassan und Juliette Sanchez-Lambert). Damit kann sich jede ihr Red-Flag System anhand von Beispielen zusammenstellen oder âerarbeitenâ. Das Buch, âGrauzonen gibt es nichtâ kann als pdf unter periodbrussels.eu heruntergeladen werden. Auch wenn es fĂŒr cis-Frauen geschrieben ist, es passt auch fĂŒr andere GeschlechtsidentitĂ€ten.
Vermeiden und eine gewisse Achtsamkeit sind sicher die besten Optionen, was aber nicht bedeutet, sich dabei nicht ausleben zu können. Wenn dann doch etwas passiert, gibt es ein paar Stellen, an die frau sich wenden kann. Dabei kann frau sich einfach in einem GesprĂ€ch UnterstĂŒtzung holen, mit einer anderen Sicht abklĂ€ren was denn da vor sich gegangen ist und dann entscheiden, ob sie weitere Schritte setzten will.
Wen gibt es da drauĂen?
Immer mehr Gleichbehandlungsstellen öffnen sich fĂŒr das Thema GeschlechtsidentitĂ€ten. Zuweilen werden sogar einzelne Trans, Inter oder NichtbinĂ€re in deren Teams integriert. Das Spektrum weitet sich dort zunehmend, wie zuletzt sogar zu den Themen Elternschaft und VĂ€terkarenz oder BisexualitĂ€t, weil auch immer mehr Menschen dazu bei den Gleichbehandlungsstellen anklopfen. GeschlechtsidentitĂ€ten sind da keine Ausnahme. Zurzeit stehen besonders NichtbinĂ€re im Focus.
Oft werden die Gleichbehandlungsstellen jedoch erst nachdem etwas Gröberes vorgefallen ist in Anspruch genommen. Um dem entgegenzuwirken, wurde unter anderem ein Formular zur Meldung von Diskriminierungen direkt auf der Startseite gleichbehandlungsanwaltschaft.gv.at eingerichtet. Hier können Anfragen, aber auch anonyme Meldungen abgesetzt werden. Darum wird ĂŒbrigens dringend ersucht, damit der UnterstĂŒtzungsbedarf abgeschĂ€tzt und Ressourcen dafĂŒr eingefordert werden können. Wichtig ist diese Kontaktnahme, weil auf Grund der uneinheitlichen rechtlichen Situation (eben ~30 Gesetze) zunĂ€chst auch die ZustĂ€ndigkeit und Fristen geklĂ€rt werden sollten. Es kann vorkommen, dass die meist dreijĂ€hrige Frist abgelaufen ist, denn je nach âSchwereâ des Vorfalls kann es fĂŒr Betroffene ĂŒberfordernd sein, die Thematik mit anderen anzusprechen und nochmal zu durchleben. Auch aus diesem Grund wurde das niederschwellige Meldeformular eingerichtet.
Keine Zahlen
Elisabeth Duval warnt in âNach Transâ (2023) zu Recht vor voreiligen SchlĂŒssen zu BeschĂ€ftigungszahlen von Trans, besonders vor der Annahme einer höheren Arbeitslosigkeit. Trotz deutlicher Hinweise aus verschiedenen Studien, gibt es keine belastbaren (absoluten) Zahlen zu BeschĂ€ftigung oder KĂŒndigungen und Arbeitslosigkeit nach oder auf Grund eines Outings von Trans. Es gibt noch nicht einmal belastbare Zahlen zur Gesamtzahl von LGBTIN in der Bevölkerung.
Zahlen zu Trans waren auch unter Trans immer umstritten und bleiben immer wieder Thema mit neuerlicher AktualitÀt, doch dazu spÀter. ZunÀchst ein unvollstÀndiger Abriss:
- Die dgti (Deutsche Gesellschaft fĂŒr TranssexualitĂ€t und IntersexualitĂ€t) hatte sehr frĂŒh unter dem Titel âZahlenspieleâ eine eigene Seite, wobei die Bedeutung der Zahlen auch auf Grund ihrer NichtverfĂŒgbarkeit und fragwĂŒrdigen QualitĂ€t heruntergespielt wurde. Immerhin wurden schon lange die aktuellen amtlichen Zahlen zu den PersonenstandsĂ€nderungen in Deutschland angefĂŒhrt. Inzwischen ist diese Seite (Stand 2023) deutlich gewachsen und zeigt nicht nur die steigende VerfĂŒgbarkeit, sondern auch die zunehmende Bedeutung dieser Zahlen.
- 2015 gab es das Sonderheft âMaking Transgender Countâ von Transgender Studies Quarterly (Currah, Stryker) , in dem nicht nur die Notwendigkeit der Erhebung von Zahlen zu Trans herausgestrichen wurde, sondern auch viele Probleme bei deren Erhebung thematisiert wurden.
- 2015 und 2018 haben Karin Schönpflug und ihre Mitforscherinnen (vor dem Hintergrund der zunehmenden Evidenz aus Studien, dass sexuelle IdentitĂ€t und Orientierung massive EinflĂŒsse auf den sozialökonomischen Status, der Integration auf dem Arbeitsmarkt und dem gesellschaftlichen Zusammenhalt von LGBTIN haben) versucht, aus den veröffentlichten europĂ€ischen Statistiken Zahlen zu LGBTIN zu finden. Nur in der UK Haushaltsbefragung 2011 wurde nach der GeschlechtsidentitĂ€t gefragt.
- Bren Miaira Kutch stellte 2023 ein inzwischen veröffentlichtes Kapitel aus internationaler Perspektive zur Diskussion. Daran waren Forscher*innen aus den USA, Indien, SĂŒdafrika und Australien beteiligt, welche auch vor dem Hintergrund der Nachhaltigkeitsziele der UNO (SDGÂŽs) der Frage nachgehen, wie Daten zur sexuellen IdentitĂ€t und Orientierung unter Wahrung der Menschenrechte (OHCHR) in verschiedenen LĂ€ndern erhoben werden (könnten). Im sĂŒdafrikanischen Modell spielt Community eine wichtige Rolle.
Und wichtig sind sie doch
Manche Vereine und Institutionen aus der Community verweigern das Sammeln von Daten mit dem Argument, sie wollten sich nicht zu Handlangern der Verfolgung durch potentielle kĂŒnftige illiberale Regierungen machen. Sie machen sich damit jedoch zu Kompliz*innen der aktuellen MachtverhĂ€ltnisse, welche sich durch Diskriminierung und mangelnder gesundheitlicher Versorgung von Trans auszeichnen.
Es geht nicht allein um die Anerkennung eines, meist des eigenen, Seins. Es macht einen Unterschied, ob wir weniger oder mehr sind. Alexander Regh von der dgti hat es 2008 so auf den Punkt gebracht:
â7000 von 83 Millionen, das ist auszuhalten. 480.000 oder mehr von 83 Millionen, das bringt es zu nahe an einen selber heran.â
AktualitĂ€t bringt zum einen die erfolgte Umsetzung der Abfrage nach GeschlechtsidentitĂ€t und sexueller Orientierung in Registerdaten. 2021 wurden in England und Wales die Kriterien GeschlechtsidentitĂ€t und sexuelle Orientierung in die Daten der VolkszĂ€hlung integriert. Die groĂe Aufregung blieb aus, aber die Ergebnisse sind gelinde gesagt schwer interpretierbar. Eine Nachuntersuchung der groĂen Restkategorie âkeine Antwortâ von 6% (London 7,8%) zur Frage nach der Ăbereinstimmung mit dem Geburtsgeschlecht gibt es wohl bislang nicht. Aber ein Anfang ist gemacht.
AktualitĂ€t bringen zum anderen auch die Fragen der Geschlechtergerechtigkeit. Denn es stellt sich zunehmend heraus, dass die Kategorisierung allein nach den patriarchal bipolaren Geschlechtern Frau/Mann fĂŒr viele Fragestellungen zu unscharf ist und auch heteronormative Konzepte versagen. Carlien Scheele Direktorin des European Institute for Gender Equality (EIGE) setzt sich daher dafĂŒr ein, die Kriterien GeschlechtsidentitĂ€t und sexuelle Orientierung in die Registerdaten (VolkszĂ€hlungen) europaweit zu ĂŒbernehmen.
ZurĂŒck zur Arbeit
Im Job geht doch um die Person und deren fachliche und soziale Kompetenzen und nicht um deren Geschlecht, oder? Doch gerade im Sozialen gibt es da ein Problem, wenn die GeschlechtsidentitĂ€t des GegenĂŒbers auf Grund der eigenen Unsicherheit ĂŒber die eigene GeschlechtsidentitĂ€t angezweifelt wird. Und natĂŒrlich geht es allen Anderen so wie eine*r selbst. Und um diese soziale Unruhe, die vor allem FĂŒhrungskrĂ€fte im Umgang mit Mitarbeiter*innen, Kund*innen und anderen fĂŒrchten, werden vermeintliche Gesellschaftsnormen aufgerufen.
Die BestĂ€tigung der eigenen GeschlechtsidentitĂ€t durch andere ist ja auch fĂŒr endo-cis alles andere als selbstverstĂ€ndlich und bedarf der stĂ€ndigen Aktualisierung. Das betrifft Trans so nicht mehr, da sie aus eigener Erfahrung das wissen, was Milton Diamond in einem Interview mit Hertha Richter-Appelt 2015 so formuliert hat: âDas wichtigste Sexualorgan sitzt zwischen den Ohrenâ. Damit funktioniert das von Lacan postulierte und fĂŒr viele selbstverstĂ€ndliche Primat des Geschlechtsteils im Begehren aber nicht mehr.
Dieses Ganze fĂŒhrt leider dazu, dass vor dem Hintergrund der ewigen Frage, was Frau/Mann ausmacht, die LebensumstĂ€nde von Trans ausgeblendet werden, wie auch Steffi StankoviÄ anlĂ€sslich 25 Jahre AGPRO beklagte. LebensumstĂ€nde von Trans interessieren nicht. Im Gegenteil: Es wird Trans im Zuge der Diskussion um die Selbstbestimmung vorgeworfen, Trans Sein hĂ€tte ihnen ja niemand angeschafft. Dabei ist Trans keine Wahl, sondern ergibt sich unfreiwillig. (Duval 2023)