Dorit David: Unter ihren Augen. Querverlag, Berlin 2020.
Die 1920er Jahre waren für LGBTIQ-Personen voller Hoffnungen. Konservative moralische Vorstellungen von Liebe, Ehe und Sexualität traten ein wenig in den Hintergrund. Für Frauen war es damals möglich, ohne Männer glücklich zu werden. Sie konnten alleine leben und beruflich erfolgreich sein. Selbstverwirklichung und Unabhängigkeit war modernen Frauen in dieser Zeit wichtig. Doch die Hoffnung erwies sich als trügerisch. Denn der Nationalsozialismus begann sich immer mehr durchzusetzen. Die Autorin Dorit David hat über diese Zeit einen großartigen und nachdenklichen Roman geschrieben. Die Handlung beginnt mit der 16-jährigen Lieselotte, die sich für Turnen und Tanzen interessiert. Ihre Sexualität hat sie lange Zeit verdrängt. Sie dachte nicht im Traum daran, lila zu sein. Lieselotte ging in eine Gymnastik- und Tanzschule. Dort hatte die Lehrerin ein Auge auf sie geworfen. Allerdings lebte die Lehrerin in einer lesbischen Beziehung. Der Roman verliert durch unerwartete Wendungen nicht an Spannung. Tragisch ist, dass die Handlung auf einer wahren Begebenheit beruht. In Hannover gab es in der damaligen Zeit eine Gymnastikschule, die von einem lesbischen Paar geleitet wurde. Brenzlich wurde es, als die lesbische Lehrerin von einer ehemaligen Schülerin unter einem falschen Namen denunziert wurde. Der Brief der Denunziantin ist in dem Buch bis auf kleine Änderungen abgedruckt. Die Autorin geht in dem Roman der Frage nach, wie es zu einer solchen Verleumdung kommen konnte. Es ist auch ein Buch über Menschen, die in der damaligen Zeit nicht in den Widerstand gegangen sind, sondern sich angepasst und arrangiert haben. λ