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Kultur

Mit genderfluiden Androiden um die Welt

Die 75. Berlinale

Bei der Festivaleröffnung der Berlinale am 13. Februar erhielt Tilda Swinton, die sich 2021 mit 60 Jahren als „queer“ outete, den Goldenen EhrenbĂ€ren. Die neue Intendantin der Berlinale, Tricia Tuttle, freute sich, der in London geborenen Schauspielerin den Preis fĂŒr ihr Lebenswerk zu ĂŒberreichen. Swinton ist immer dabei, wenn es darum geht, mit Rollenklischees aufzurĂ€umen. So verkörpert sie in dem Mystery-Thriller „Constantine“ (2005) von Francis Lawrence den genderfluiden Erzengel Gabriel sowie in Sally Potters Filmadaption (1992) von Virginia Woolfs „Orlando“ (1928) die ebensolche Titelrolle, und im Horrorfilm „Suspiria“ (2018) von Luca Guadagnino nimmt sie gleich drei unterschiedliche Charakterformate an: Psychiater, Ballettmeisterin, Mutter. AnlĂ€sslich der Ehrenpreisverleihung wurde der Beitrag „Friendship’s Death“ (1987) von Peter Wollen gezeigt, in dem Swinton einen Androiden mimt, der fĂŒr eine Friedensmission auf die Erde geschickt wird.

Aber nicht nur im Gala-Drumherum mit illustren GĂ€st*innen kann die Berlinale LGBTIQ*, auch in aktuellen FilmbeitrĂ€gen hat das Festival queer drauf. Im britischen Berlinale Wettbewerb-Beitrag „Hot Milk“ von Rebecca Lenkiewicz zum Beispiel – mit der Irin Fiona Shaw als klammernde Mutter – verliebt sich eine junge Frau im Spanienurlaub in eine erfahrene Touristin. Bei der Premiere im Berlinale Palast wurde das Film-Cast ausfĂŒhrlich beklatscht. Auf dem roten Teppich mit dabei waren auch die Darstellerinnen Vicky Krieps und Emma Mackey, die das Liebespaar spielen.

In der Berlinale Panorama spielt der brasilianische Streifen „Ato noturno“ von den Regisseuren Marcio Reolon und Filipe Matzembacher, die sich beim Premieren-Photo-Call in einen leidenschaftlichen Kuss vertieften, mit der Suspense „um Erfolg, Lust und Tod“ (aus dem Katalog). Dabei geht es um ein renommiertes Theatercasting, einen hochkarĂ€tigen Politiker, der sich nicht traut, sich zu outen, und nicht zuletzt um viel Sex an öffentlichen Orten, der die Neider*innen auf den Plan ruft.

Auch Ira Sachs ist im Panorama dabei, und zwar mit „Peter Hujar’s Day“ (USA, D), einer unterhaltsamen Geschichte um ein GesprĂ€ch zwischen Fotograf Peter Hujar und Schriftstellerin Linda Rosenkrantz im Jahr 1974. Das GesprĂ€ch hat es wirklich gegeben und wurde damals auf Tonband aufgezeichnet. Regisseur Sachs hat das Ganze „frei und fantasievoll in Szene“ gesetzt – mit Ben Whishaw und Rebecca Hall als Darsteller*innen – und daraus ein Kaleidoskop von SzenegrĂ¶ĂŸen, wie unter anderem Susan Sontag und Allen Ginsberg, und der homosexuellen bzw. queeren Community damaliger Zeiten in New York gemacht. Man/frau* kann sich den Nachmittag im lichtdurchfluteten Apartment der Schriftstellerin wunderbar vorstellen und kommt vor allem, wenn man/frau* Ă€lteren Semesters ist, auf ihre/seine* Kosten, erinnert die AtmosphĂ€re der dargestellten KĂŒnstler*innenszene doch an die Kindheitstage der heute ĂŒber 50-JĂ€hrigen.

Das Berlinale Forum wartet mit der deutsch-niederlĂ€ndischen Produktion „Sirens Call“ von Miri Ian Gossing und Lina Sieckmann auf. Der Roadtrip begleitet „die Suche nach dem Selbst und Seelenverwandten“ (aus dem Katalog) durch Trumps Amerika, in Diner, Hotelzimmer und zu queer-feministischen Aktivist*innen jenseits der „Konsumkultur“ und „abseits der Zumutungen einer normierten Gegenwart“. Die dokumentarische Form wirkt dabei anspruchsvoll kĂŒnstlerisch.

Dreams in Nightmares
Dreams in Nightmares

Ein weiteres abenteuerliches Roadmovie ist die USA-taiwanesische-UK-Produktion „Dreams in Nightmares“ von Shatara Michelle Ford. Der Panorama-Streifen ist extrem gut gelungen, wenn unterhaltsam gezeigt wird, wie drei queere Schwarze Frauen durch den Mittleren Westen der USA reisen, um eine verschwundene Freund*in zu suchen. Dabei erleben sie so einiges und halten doch immer zusammen.

Am 21. Februar werden die besten queeren Filme aller Sektionen mit den Teddys ausgezeichnet. Da die Awards nach der Deadline der Lambda verliehen werden, lohnt es sich, bei berlinale.de nachzuschauen, ob und welche Filme ausgezeichnet wurden und was es sonst noch zu berichten gibt.

Von Anette StĂŒhrmann

Freie Journalistin und Autorin