Ungefähr Mai 2013, später Nachmittag, irgendwo in Wien. Das Wort Asexualität poppt am Handybildschirm auf. Die Suchfunktion einer Blogging-Plattform spuckt neben reichlich Wortwitzen auch längere Infotexte aus. Ein Daumen scrollt interessiert durch die Beiträge, stoppt hier und da um genauer zu lesen. Ein Gefühl der Erleuchtung steigt langsam auf. Als hätte sich eine langersehnte Oase mitten in der Wüste aufgetan, die den Durst nach Gleichgesinnten und Akzeptanz stillt. Danach: Unbehagen. Asexualität, das Fehlen nach einem Bedürfnis. Ist die Absenz wirklich eine eigene Orientierung?
Asexualität? Das mit den Pflanzen?
Laut Definition ist Asexualität die Abwesenheit sexueller Anziehung und/oder Verlangen nach sexueller Interaktion. Erste Erwähnungen einer Abwesenheit des sexuellen Verlangens finden sich in medizinischen Niederschriften aus dem 19. Jahrhundert. In den 1950er Jahren entstand die ‚Kinsey Scale‘, eine Bewertungsskala zwischen Hetero-, Homo-, Bi- und Asexualität. Ende 2000 wurde die Yahoo-Gruppe ‘Haven for the Human Amoeba’ (HHA), eine der ersten asexuellen Online-Communities, gegründet, ein Jahr später das Asexual Visibility and Education Network (AVEN). Die Orientierung ‚Asexualität‘ ist also keinesfalls etwas Neuartiges oder Unbedeutendes. Trotzdem ist Asexualität eine der Randgruppen-Orientierungen und der weniger bekannten, wenn nicht sogar unsichtbaren, Sexualitäten.
Die LGBT-Community ist in der Gesellschaft eine marginalisierte Gruppe. Asexuelle Menschen sind eine Minderheit innerhalb dieser marginalisierten Gruppe bzw. manchmal sogar andersherum. Das bedeutet, dass teilweise sogar queere Menschen diese Orientierung nicht anerkennen oder exkludieren (wie auch zum Beispiel bei Transexklusion). Die Unsicherheit, ob man nun Teil der LGBT-Community oder doch nicht ist, macht es nicht unbedingt einfach, sich in dieser Identität bzw. diesem Label wiederzufinden, bzw. zu sich selbst und dieser Identität zu stehen. Wie soll ich meinem sozialen Umfeld von meiner Identität erzählen, wenn ich mir nicht einmal sicher bin, in meiner eigenen Community akzeptiert zu werden?
Asexualität – das mit den Menschen!
Asexualität ist ein Überbegriff (ein sogenannter ‚Umbrella-Term‘), hinter dem viele verschiedene Labels liegen, wie zum Beispiel Demisexualität (Gefühl der körperlichen Anziehung erst bei einer langfristigen emotionalen Bindung). Für viele queere Menschen ist es einfacher, einen Überbegriff zu verwenden, da sie sich nicht mit spezifischen Labels identifizieren können, oder sich nicht nur in einem bestimmten repräsentiert fühlen. Andererseits gibt es auch einige queere Menschen, denen sehr spezifische Labels wichtig sind, wenn sie etwa endlich nach langer Suche ein Wort für die Identität gefunden haben, oder um sich von anderen Identitäten besser abgrenzen zu können. Ein Label gibt Empfindungen einen Namen, verfestigt die eigenen Gefühle in ein Schlagwort.
Das Finden der eigenen Labels hat aber nicht nur für die Identitätsfindung Vorteile, sondern kann auch das eigene Coming-out erleichtern. Zumindest theoretisch. Die Voraussetzung ist natürlich, dass die Personen, denen das Label kommuniziert wird, dieses auch kennen. Asexualität ist innerhalb der queeren Szene noch eher bekannt, aber bei spezifischeren Labels versiegt das Wissen. Außerhalb der queeren Szene sind die drei ‚größten‘ Labels (Schwul, Lesbisch, Bi) den meisten bekannt, alles andere hat schon Erklärungsbedarf. Ein Coming-out bringt daher für asexuelle Menschen (aber auch Menschen mit einem anderen wenig bekannten Label) noch eine besondere Herausforderung mit sich, in dem die eigene Orientierung zusätzlich erklärt werden muss.
Für mich persönlich ist deswegen das Label ‚queer‘ ein ganz wichtiges. Kritische Stimmen möchten das Wort aufgrund des negativen Hintergrundes nicht in den alltäglichen Wortschatz integrieren, aber meiner Meinung nach ist ‚queer‘ ein unheimlich wichtiger und passender ‚Umbrella-Term‘, um mich von der cis-hetero Gesellschaft abzugrenzen. Im Endeffekt habe ich einzig und allein zu wissen und zu entscheiden, welche Labels ich verwende und bei einem Coming-out kommuniziere, ob das nun asexuell, queer oder etwas anderes sein mag.
