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Kultur

Die Berlinale

Die federleicht durch die Filme schwebt

Mehr als ein Vierteljahr ist seit der Berlinale ins Land gegangen, trotzdem strahlt ihr Programm noch auf andere Festivals aus, vor allem der queerfeministische Part. So ist das Internationale Frauenfilmfestival Dortmund|Köln (IFFF), das wie immer im April stattfand, auch dieses Mal ein RĂŒckblick auf die Berlinale bzw. eine Aus- und Bewertung feministischer und feministisch-lesbischer Teilhabe im Film. Und nicht nur, dass Regisseurin Jennifer Reeder bei der Berlinale in der Internationalen Kurzfilmjury mitentschied, sie war auch – zusammen mit Schauspielerin Thelma Buabeng und Filmemacherin Cristina Andreu Cueavas – in der Jury des Internationalen DebĂŒt-Spielfilm-Wettbewerbs des IFFF. Zudem zeigte sie bei der diesjĂ€hrigen IFFF-Ausgabe in Köln ihren vierten Spielfilm „Perpetrator“; Wie gewohnt mit subversiven Horrorelementen aus verstörenden Teenager-Beziehungen, infantilen Erwachsenen und pseudokomödiantischen High-School-Szenen gespickt. Von der IFFF-Jury ausgezeichnet wurde der DebĂŒt-Spielfilm „Ellbogen“, der im Februar auch Teil des Generation-Programms der Berlinale gewesen war und mit dem das IFFF am 16. April eröffnet wurde. Den mit 10.000 Euro dotierten Preis nahm die Berliner Regisseurin Asli Özarslan entgegen. Die Buchverfilmung (Roman von Fatma Aydemir, 2017 im Hanser Verlag erschienen) erzĂ€hlt die Geschichte einer fast 18-jĂ€hrigen in Berlin, die beim Feiern mit ihren Freundinnen EnttĂ€uschungen hinter sich lassen will, jedoch durch einen tödlichen Zwischenfall in eine aussichtslose Situation gerĂ€t, die ihre gesamten PlĂ€ne auf eine bessere Zukunft in Frage stellt. In der JurybegrĂŒndung heißt es: Die Botschaft des Films „spiegelt die Situation der Frauen von heute wider und fordert uns auf, dafĂŒr zu sorgen, dass es den Frauen von morgen besser geht.“ Der Film soll im Herbst in die Kinos kommen.

Die berĂŒhmtesten queeren Auszeichnungen – zumindest im deutschsprachigen Raum – sind jedoch nach wie vor die Teddy Awards, die im Rahmen der Berlinale auch in diesem Jahr wieder vergeben wurden. Um es gleich vorwegzunehmen, „Sex“ von Dag Johan Haugerud aus Norwegen, Beitrag in der Programmschiene Panorama, um zwei Schornsteinfeger und ihre homoerotischen TrĂ€umereien – beide kehren ĂŒbrigens zu ihren heterosexuellen FamilienverbĂ€nden zurĂŒck –war zwar fĂŒr den besten Spielfilm nominiert, ging jedoch bei den Teddys gĂ€nzlich leer aus. Andererseits erhielt er andere Berlinale-Preise, so den Panorama-Preis der ökumenischen Jury, einen der Cicae Art Cinema Awards und den Label Europa Cinemas.

Als bester Spielfilm kristallisierte sich bei den Teddys „All shall be well“ von Ray Yeung aus Hongkong/China heraus. Darin geht es um eine innige Liebesgeschichte zwischen zwei Frauen, von der die eine unerwartet stirbt und ihre Partnerin in unsicheren MietwohnverhĂ€ltnissen zurĂŒcklĂ€sst. Nach ĂŒber dreißig Jahren gemeinsamen Lebens beginnt Angie notgedrungen ihren „spĂ€ten Emanzipationsprozess“ – und kann sich schließlich durchsetzen. Der deutsche Beitrag „Teaches of Peaches“ von Philipp Fussenegger und Judy Landkammer, der im April auch beim IFFF in Köln gezeigt wurde, wurde mit dem Teddy fĂŒr den besten Dokumentarfilm ausgezeichnet. Portraitiert wird die international gefeierte KĂŒnstlerin, die als Merrill Nisker in Kanada geboren wurde und mit ihren spektakulĂ€ren Showprogrammen als Peaches zu BerĂŒhmtheit kam. Der Beitrag verbindet exklusives Archivmaterial mit atemberaubenden Touraufnahmen und hinterlĂ€sst den Eindruck energiegeladener kultureller Brillanz – so in etwa meine Übersetzung der Programmbeschreibung. Und wer Peaches einmal live auf der BĂŒhne erlebt hat, kann dieser Zusammenfassung ihrer Performance nur zustimmen.

Zum besten Kurzfilm kĂŒrte die Teddy-Jury den niederlĂ€ndisch-polnischen 23-Minuten-Beitrag „Grandmamauntsistercat“ von Zuza Banasinska. Hervorgeholt und zusammengesetzt werden darin BruchstĂŒcke von Filmmaterial aus dem kommunistischen Polen. Unterschiedliche Perspektiven einer matriarchalischen Familie werden erzĂ€hlt. Es geht um Widerstand, Ideologie, den Alltag – und wie sich ein Kind darin zurechtfindet. Den Teddy-Jury Award erhielt Levan Akin fĂŒr den Eröffnungsfilm des Panorama, nĂ€mlich „Crossing“ – eine schwedisch-dĂ€nisch-französisch-tĂŒrkisch-georgische Coproduktion. Darin sucht eine Lehrerin ihre Nichte in Istanbul. Zusammen mit einer AnwĂ€ltin fĂŒr Trans-Rechte kommt sie ihrem Ziel nĂ€her und damit auch den GrĂŒnden fĂŒr den RĂŒckzug der vor langer Zeit Verschwundenen.

Den Special Teddy Award „fĂŒr herausragende Leistungen und nachhaltige Verdienste um den queeren Film“ erhielt Lothar Lambert, 1944 in ThĂŒringen geboren und in Berlin aufgewachsen, fĂŒr seine Arbeit als Regisseur von fast 40 Filme, die meist von Mitgliedern der Berliner LGBTIQ*-Szene handeln, die selbst ihre eigenen Geschichten erzĂ€hlen. Viele seiner Filme liefen bei der Berlinale, zuletzt 2010 „Alle meine StehaufmĂ€nnchen: Von Frauen, die sich was trauen“, eine 82-Minuten-Doku, die Frauen aus Berlin portraitiert. Im Film dabei sind Irene Schweitzer, Inhaberin des Charlottenburger „Kaufhaus Schrill“ (heute: „Gallery Schrill“, Bleibtreustr. 48), Fotografin Erika Rabau (verstorben 2016) und Malerin Evelyn Sommerhoff (www.evelyn-sommerhoff.de).

Zu den verliehenen BĂ€ren des Wettbewerbs nur ganz kurz (weitere Infos unter berlinale.de): Der goldene BĂ€r fĂŒr den besten Film ging an die Doku „Dahomey“ von Mati Diop (Frankreich, Senegal, Benin): 26 Objekte sogenannter „Beutekunst“ aus der Kolonialzeit kehren von Paris nach Benin zurĂŒck. Der Film geht der Frage nach, ob es ĂŒberhaupt möglich ist, den Raub kultureller SchĂ€tze wiedergutzumachen, und wie mit den Objekten umgegangen werden soll, die so lange fern ihrer Heimat waren, die beschĂ€digt und entweiht wurden. Ein schöner und interessanter Beitrag, gerade wegen des umstrittenen Themas. Unbedingt erwĂ€hnen möchte ich auch den Silbernen BĂ€r Großer Preis der Jury, der an Hong Sangsoo fĂŒr „Yeohaengjaui pilyo“ („A traveler’s needs“) aus SĂŒdkorea ging. Isabelle Huppert beeindruckt darin von der ersten Minute an. Sie sitzt in und spaziert durch idyllische GĂ€rten, trinkt gern Makgeolli, ein alkoholisches koreanisches GetrĂ€nk, und vermittelt koreanischen Frauen Französisch mittels einer eigens erfundenen Lehrmethodik. Sind die SchĂŒlerinnen auch irritiert, weil die Französin, wie sie selbst zugibt, keinerlei Erfahrung im Fremdsprachenunterrichten hat, aber trotzdem viel Geld fĂŒr die Unterrichtseinheiten verlangt, so gewöhnen sich doch alle zusehends aneinander. Ein harmonischer Film mit einer wunderbaren Huppert, die federgleich durchs Bild schwebt.

Von Anette StĂŒhrmann

Freie Journalistin und Autorin