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Editorial

Liebe Junge, liebe Alte, liebe Menschen mittleren Alters!

Es ist ein Thema, dem viele in unserer Community gekonnt ausweichen. Eine Art blinder Fleck, mit dem sich scheinbar alle mehr oder weniger alleine auseinandersetzen müssen: Wie sieht mein Leben als LGBTIQ-Person aus, wenn ich einmal in ein Alter komme, in dem ich für die meisten nicht mehr als jung gelte?

Nun ist die Einteilung in jung, mittleren Alters und alt eine recht individuelle. Wie jung fühle ich mich, wie jung oder alt möchte ich wahrgenommen werden? Die allgemeine gesellschaftliche Angst vor dem Altern macht auch vor uns nicht halt. Dennoch scheint es für viele jüngere Queers keine oder kaum ältere Vorbilder zu geben. Viele schwule Männer hat ihrerzeit die Aids-Pandemie dahingerafft, viele lesbische Frauen und trans Personen haben sich mit den Jahren aus der gemeinschaftlichen Community zurückgezogen, bisexuelle, intergeschlechtliche und weitere queere Menschen waren bereits in ihrer Jugend unsichtbar gemacht worden, was sich dann nur noch verschlechterte. Aber ist es überhaupt etwas Schlechtes „unsichtbar“ zu sein? Für einige von Diskriminierung gebeutelte Ältere wohl nicht. Wie in jeder benachteiligten Minderheit, gibt es oft den Wunsch, einfach nur in der Masse unterzugehen. Nicht jede LGBTIQ-Person möchte sich aktivistisch betätigen, Aufklärung betreiben, ein tolles Vorbild für jemanden sein. Das ganze Leben über wurde man vielleicht bereits zwangsweise dazu gemacht. In der Schulzeit, dem Arbeitsleben, im Privaten, die einzige offen lebende LGBTIQ-Person zu sein, kommt mit einer scheinbaren Verantwortung. Deshalb gibt es genügend, die sich weder in ihrer Jugend noch im späteren Leben ihrem Umfeld anvertraut haben. Da das Private wie bekannt politisch ist, hören die Coming-outs nie so wirklich auf. Wem erzähle ich von meiner gleichgeschlechtlichen Beziehung, wem von meiner Transidentität? Bei der Arbeit, wenn ich jemanden nach langer Zeit im Supermarkt treffe? Wie gehe ich damit um, wenn ich mal auf die Hilfe anderer angewiesen bin und nicht riskieren kann, von meiner Pflegekraft, vor der ich möglicherweise nicht flüchten kann, diskriminiert zu werden? Diese Fragen sind für Menschen, die momentan mindestens im Pensionsalter sind, nicht so einfach zu beantworten. Einerseits, weil das ohnehin individuelle und situationsbedingte Entscheidungen sind, andererseits aber auch, weil sie noch weniger Schablonen haben, die sie mit ihrem Leben nachzeichnen können. Natürlich ist es theoretisch möglich, sich jede lebensverändernde Entscheidung mit ihren potentiellen Auswirkungen von hinten nach vorne und von oben nach unten durchzudenken, es erfordert jedoch signifikant mehr Ressourcen sich dabei nicht an den Erfolgen und Fehlern älterer oder gleichaltriger mit ähnlichen Erfahrungen orientieren zu können. Denn es darf durchaus als Luxus angesehen werden, die eigenen Meinungen und Wertvorstellungen mindestens einmal im Leben komplett umzuwerfen und von Grund auf neu zu erdenken. Nicht alle haben die Zeit, den Willen oder sogar die mentale Stabilität, um eine solche Umwerfung ihrer inneren Gebilde, bzw. den anstrengenden Neuaufbau, zu durchlaufen. Als LGBTIQ-Person werde ich aber in den meisten Fällen von außen dazu gezwungen. Weil ich womöglich nicht dem Idealbild von Vater, Mutter und leiblichen Kindern entsprechen kann. Nicht selten führt diese Erkenntnis zu einem starken Gefühl von Orientierungslosigkeit, Minderwertigkeit oder Angst vor Ablehnung. Das mag einer der Gründe sein, warum die Suizidrate in der LGBTIQ-Community im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung besonders hoch ist. Auch deshalb verlieren wir mögliche Vorbilder und somit Beispiele für unterschiedliche Lebensentwürfe, bevor diese ihre Lebenswege überhaupt bestreiten können. Man muss kein*e Wander*in sein, um zu wissen, dass die schwersten Wege immer solche sind, die nicht schon vorher von vielen Menschen plattgetreten wurden.

Nun soll den älteren Menschen, die sich nicht dazu berufen fühlen, ein Vorbild für andere zu sein, sicher keine schwere Aufgabe umgehängt werden, trotzdem ist uns manchmal wohl gar nicht so recht bewusst, wie wenig wir eigentlich dafür tun müssen, um als Vorbild für andere zu gelten. Im Normalfall reicht es nämlich, einfach nur sichtbar zu sein.

Einfach nur sichtbar zu sein, ist dafür nicht so leicht, wie es scheint. Denn wo treffen wir denn Mitglieder der LGBTIQ-Community, die sich auch als solche zu erkennen geben, weil sie sich wohl genug fühlen, offen über ihre Identität zu sprechen? Bei der Arbeit oder in der Familie mal zufällig jemanden zu haben, den*die man fragen kann, wie sie ihr Leben als queere Person gestalten, ist im besten Fall Glückssache. In Community-Lokalen finden sich jedoch natürlich andere Menschen aus derselben Community. Wenn unsere Begegnungsräume, so wie es momentan in Österreich ist, hauptsächlich Nachtclubs und Bars sind, ist es nur logisch, dass wir den Großteil der weniger feierwütigen LGBTIQ-Personen in die Unsichtbarkeit der privaten Räume verdrängen. Mal abgesehen von eingeschränkter Mobilität, unter der einige Menschen im Alter zunehmend leiden, steht es einfach nicht ganz oben auf der Prioritätenliste vieler, sich in einer lauten Umgebung zu blinkenden Lichtern salopp gesagt die Kante zu geben. Ein Raum wie das Gugg hingegen bietet glücklicherweise ja ebenso die Möglichkeit für Diskussionsrunden, Spieleabende, gemeinsames Filmschauen, kulturelles Angebot im Allgemeinen. Wir sollten uns langsam fragen, ob es uns nicht weniger Angst machen würde zu altern, wenn wir sehen, wie glücklich und sozial eingebunden man im Alter als queere Person sein kann. Doch dafür sind wir alle mitverantwortlich. Wer macht sich wirklich die Mühe, Kommunikationskanäle an die Bedürfnisse unterschiedlicher Generationen anzupassen? Doch nochmal eine Telefonnummer herauszufinden, um sich persönlich bei einem Menschen, der schon lange nicht mehr bei uns war, zu melden. Respekt ist keine Einbahnstraße. Genauso wie ich mir wünschen kann, dass eine Person im Pensionsalter sich mit der zehnten Variante eines sozialen Netzwerks auseinandersetzt, kann ich als jüngere über meinen generationsbedingten Telefonierangst-Schatten springen, und einem Menschen persönlich zu sagen wie sehr ich mich freuen würde wenn er*sie zu einer bestimmten Veranstaltung kommt. Man glaubt es kaum, aber sogar Freund*innenschaften sollen schon durch Einander-kennenlernen und Zeit-verbringen entstanden sein. LGBTIQ-übergreifend, generationsübergreifend, sogar politisch gesehen lagerübergreifend. Ich muss nicht religiös sein oder die Verbundenheit zu einer Glaubensgemeinschaft verstehen, um eine gläubige Person gern zu haben. Genauso wenig muss ich verstehen, was es heißt, ein langes Leben gelebt zu haben, um einen Menschen wertschätzen zu können, wenn wir dahingehend eher unterschiedlich sind. Es hilft trotzdem ungemein, einfach mal nachfragen zu können „Aus welchen Gründen hast du diese Ansicht, die ich nicht teile?”, oder „Wie bist du mit dieser Herausforderung als LGBTIQ-Person umgegangen, als du in meiner Situation warst?”.

Wir können weder die jetzige Jugend dazu zwingen sich mit Menschen aus anderen Generationen anzufreunden, noch Leute in einem gewissen Alter sich mit den Generationen die nach ihnen gekommen sind auseinanderzusetzen, aber es darf als gegeben angesehen werden, dass Kontakt zu einer homogen erscheinenden Gruppe wie „jung“ oder „alt“ eigentlich immer zu einem Aufbrechen von Vorurteilen führt. Es ist eine wichtige Erfahrung zu sehen, welche Gemeinsamkeiten sich finden lassen. Ein Fundament zu entdecken, welches man nicht erst selbst mit Schweiß und Tränen erbauen muss, kann viel Halt geben und führt aus der unfreiwilligen Orientierungslosigkeit heraus. Denn die Schablonen für LGBTIQ-Leben gibt es bereits, man muss sie nur wiederentdecken und dann frei entscheiden, ob man sie für sich nutzen will, oder dem Luxus nachgeht, doch alles erst frei mit der Hand (und dem Geist) zurecht zu schneiden.

Von Mo Blau

HOSI Wien transgender Referat, früher Coming-Out-Team
(Foto: © Marie Dvorzak)