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Queere Heldin

Der ORF-Journalist und Autor Jürgen Pettinger wurde für seine Features und Reportagen mit namhaften Preisen ausgezeichnet. Vor zwei Jahren schrieb er das viel beachtete Buch „Franz – Schwul unterm Hakenkreuz“. Jetzt erscheint von ihm eine Biografie über die queere Schauspielerin Dorothea Neff (1903 bis 1986), die ab 1941 ihre jüdische Freundin Lilli Wolff als U-Boot in ihrer Wohnung in der Wiener Innenstadt versteckt hielt. Eine Entdeckung durch die Nazis hätte für beide Frauen den sicheren Tod bedeutet. Nach außen hin zeigte sich Dorothea Neff als alleinstehende Frau. Sie wechselte 1939 an das Volkstheater und wurde dort eine beliebte und bekannte Schauspielerin. Bekam sie Besuch, versteckte sich die jüdische Freundin im Kaminschacht hinter dem Kachelofen. Auch sonst war das Leben als versteckte Person eine Qual. Wenn Lilli Wolff allein war, stellte sie sich tot. Sie durfte kein Licht aufdrehen. Sie bewegte sich wenig, weil der alte Parkettboden so laut knarrte, „dass es bis ins Treppenhaus zu hören war“, schreibt Pettinger. Schlimm war der Hunger. Dorothea Neff teilte mit ihrer jüdischen Freundin die Rationen von einer Lebensmittelkarte. „Die Rationen reichten für eine einzelne Person gerade so zum Überleben, für zwei war es in jedem Fall zu wenig“, so der Autor. Mit einer List schaffte es Dorotha sogar, dass ihre Freundin im Krankenhaus operiert wurde. Pettinger beschreibt das Leben der beiden Frauen in Form einer Romanbiografie. Um ein möglichst authentisches Bild zu bekommen, hat er Dokumente und Tonaufnahmen ausgewertet. Im Gegensatz zu einer historischen Abhandlung besteht der Vorteil einer Romanbiografie darin, dass die Leser*innen an den Gefühlen der beiden Frauen teilhaben können. Bei der Lektüre werden die Liebe, die Ängste, die Ohnmacht und die Verzweiflung spürbar.

Jürgen Pettinger: Dorothea. Queere Heldin unterm Hakenkreuz. Kremayr & Scheriau, Wien 2023.

Von Christian Höller

Christian Höller ist Psychotherapeut und hat eine Praxis in Wien.