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Kultur

So a Hetz!

Das ist der Titel des neuen Buches der anerkannten Psychotherapeutin Rotraud A. Perner. Prof. Perner ist der LGBTIQ-Bewegung, der HOSI Wien im Besonderen, seit Bestehen solidarisch verbunden. Ihrem Betreiben ist die Benennung des Dr. Reinhardt-BrandstĂ€tter-Platzes in WĂŒrdigung der Verdienste des Pioniers der Bewegung und Aids-Hilfe MitbegrĂŒnders zu danken.

„Über Empörungsmeuten und die Lust am Menschenjagen“ – so der Untertitel. Damit wird klar, worum es geht: (kĂŒnstliche) Erregung, SchĂŒren von Vorurteilen, Mobbing, Hass, Menschenhatz.

Seit Jahrzehnten arbeitet die Autorin zum Thema Gewalt. In Analysen zu aktuellen Ereignissen und einigen frĂŒheren Texten beleuchtet sie die Dynamik gehypter Empörung, die Eskalation bestimmter Ereignisse, die Rolle von Medien.

„Meute“ definiert Elias Canetti als „Gruppe erregter Menschen, die sich nichts sehnlicher wĂŒnscht, als mehr zu sein
“. Weil sie sich bedroht fĂŒhlen, benachteiligt wĂ€hnen. Und Perner konstatiert: „Quantitativ ‚mehr‘ sein zu wollen, bedeutet aber auch, sich zuvor als Einzelperson qualitativ gering gefĂŒhlt zu haben – auch wenn das nicht bewusst wahrgenommen wird.“ Bestimmte Parteien und Gruppierungen nutzen das aus, „fischen“ nach genau diesen Menschen. Die eigene Wichtigkeit steigt umso mehr, je mehr andere zum „Feindbild“ gemacht werden (können), im Extremfall zugrunde gehen.

Hass wird geschĂŒrt, in der Folge als Meinung verteidigt. Meinungsfreiheit wird dann bemĂŒht oder wissenschaftliche Erkenntnis. Diskreditierung, Diskriminierung, Verleumdung, Bedrohung sind probate Mittel gegen das Unliebsame.

Perner beleuchtet die Geschichte der oberösterreichischen Ärztin Lisa-Maria Kellermayr, BefĂŒrworterin der COVID 19 Impfung. Von Coronaleugnern und Impfgegnern beschimpft und belĂ€stigt, erstattet sie Anzeige; engagiert privat einen Security-Dienst. Die Angriffe und Unterstellungen nehmen ĂŒberhand, reichen bis zu Morddrohungen. Irgendwann ist es zu viel – Kellermayr begeht Suizid. Große Betroffenheit. In manchen „sozialen“ Medien hat sie danach noch eine schlechte Nachred 


Genauer widmet sich die Juristin und Psychoanalytikerin dem Fall Teichtmeister.

ZunĂ€chst: Entgegen den Berichten und Kommentaren ist jemand, der Interesse an bildlichen Darstellungen von misshandelten Kindern hat, nicht zwangsweise pĂ€dophil. GrĂŒnde fĂŒr „sozial unerwĂŒnschtes“ Verhalten gibt es viele. Wobei zu prĂŒfen ist, aus welchem beruflichen Blickwinkel das Verhalten benannt, bewertet und behandelt wird. Und: Was ist das schĂŒtzenswerte Gut, wie kann es geschĂŒtzt werden. Verteufeln und verurteilen ist ebenso unangemessen wie verharmlosen. Hinterfragen, analysieren, reflektieren sind die Grundvoraussetzung fĂŒr VerĂ€nderung des Verhaltens bzw. Übernehmen von Verantwortung fĂŒr das eigene Tun. Therapie statt einfach wegsperren wĂ€re daher angesagt.

PĂ€dosexuelle Handlungen auf „die Triebe“ schieben? PĂ€dophilie als mögliche sexuelle Orientierung gleich wie HomosexualitĂ€t (ein nicht seltener Zugang) beschreiben? Quasi eine Rechtfertigung, mithin keine Lösung. Die Gleichung „schwul = pĂ€dophil“ vice versa ist noch tief verankert. Beurteilungen und Vor-Verurteilungen in reißerischer Sprache feiern fröhliche UrstĂ€nd!

Perner listet die Schlagzeilen der letzten Monate auf, zeigt damit deutlich, wie Menschenhatz funktioniert. Wobei es nie darum geht, etwas zu ent-schuldigen, sondern darum, wie man mit der Person – trotz dieser Handlung, ĂŒber die noch nicht Recht gesprochen wurde – umgeht. Negativ hervor tun sich Gratis-BlĂ€tter. „Statt Prozess: Teichtmeister sitzt im Fabios“ shitstormt „Österreich“, als der nicht Verurteilte in einem Innenstadtlokal gesichtet wird und triumphiert anderntags, dass etliche Wirte ihm ein Lokalverbot aussprechen. „Oe24“ vermeldet „Teichtmeister AffĂ€re kostet uns den Oscar!“ und stellt auch die Frage „Fall Teichtmeister: Was wusste Van der Bellens Frau?“ – auf einen Streich gleich mehrere Personen anpatzen, super!

Auch wenn die Queere Community im Buch nicht explizit angesprochen wird – wir dĂŒrfen nicht wegschauen. Klar ist: Auch wenn es hier um einen Promi und um ein Vergehen geht, das stark emotionalisiert – die Dynamik ist immer die gleiche, es könnte uns alle treffen. Seriöse Information und respektvolle Kommunikation ist, was Rotraud Perner abschließend fordert. Dem kann man nur uneingeschrĂ€nkt zustimmen.

Dazu ein GesprÀch mit der Autorin.

Lambda: Vor wenigen Jahrzehnten noch galten Schwule als „Kinderverzahrer“. Bei der „Budenstraße“ 1980 der Alternativen Festwochen wurde unterstellt, Jugendliche wĂŒrden gegen ihren Willen in den Info-Stand der HOSI gezerrt. 2023 erregt sich die „Meute“ ĂŒber eine Drag Queen, die aus KinderbĂŒchern vorliest. Gefahr fĂŒr Eltern und Kinder droht! Bleibt denn alles gleich, wenn es um Vorurteile geht?

Perner: Fantasien ĂŒber Untaten an Kindern haben immer schon zum Aufbau von Feindbildern gedient – gleichzeitig hat man sie misshandelt, denken wir nur an die Heimskandale, denen erst jetzt langsam nachgegangen wird, aber die eigenen Sadismen in der Familie werden abgestritten. Vor-urteile können Achtsamkeit fördern – aber sie gehören sachlich ĂŒberprĂŒft, nicht gebĂŒndelt durcheinander gemischt und nicht auf eine einzige Person projiziert.

Lambda: Seit den AnfÀngen der HOSI hat sich rechtlich einiges getan. Auch der mediale Umgang mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen und Neigungen schien entspannter. In letzter Zeit wird der Gegenwind wieder stÀrker, die Angriffe offener. Hetze ist offenbar salonfÀhig geworden. Was ist da passiert?

Perner: Das Wort „Neigung“ ist eine inkorrekte Übersetzung von „Paraphilie“ (statt frĂŒher „Perversion“ oder „Devianz“). Es gibt nur Verliebtheit, Liebe, Begehren, Partnerwahl – und das kann sich immer wieder Ă€ndern. DemgegenĂŒber stehen Fixierungen. Traumafolgen. Krankheiten. Die kann man therapeutisch auflösen – wenn man das will. Es ist unwahr, dass man PĂ€dophilie nicht heilen kann – ebenso wie die Gleichsetzung mit HomosexualitĂ€t. Ab und zu trifft es halt zusammen – so wie bei Heteros.

Lambda: An- und Untergriffe von außen ist die eine Seite. Aber auch umgekehrt scheint es wenig ZurĂŒckhaltung zu geben. „Alte weiße MĂ€nner“ geraten in Generalverdacht; „heteronormativ“ verhaftete „cis“-Menschen werden scheel beĂ€ugt; Alice Schwarzer, höchst verdient, wird von (universitĂ€ren) Veranstaltungen ausgeladen, weil sie sich kritisch zum Umgang mit dem Thema „Trans“ Ă€ußert. Ist das vergleichbar, Ă€hnlich – oder ganz anders zu bewerten?

Perner: Ich sehe das als Machtspiel. Dass sich Menschen zusammenschließen, die sich benachteiligt fĂŒhlen und Forderungen stellen, ist ja ihr gutes Recht, und Macht anzupeilen, um eine gerechtere Welt zu gestalten, auch – nur wenn Rache daraus wird und eine Schuldumkehrtaktik oder -strategie, ist nicht mehr Rechtens sondern Richten ohne gesatztes Recht dahinter, das hatten wir alles schon in den Diktaturen, daher „wehret endlich den AnfĂ€ngen“!

Lambda: Eine Gedankenspielerei: WĂ€re die Queere Community Klientin. Thema wĂ€re zunehmende Intoleranz bzw. Gewalt, auch verbal. Sowohl von außen als auch innerhalb der Szene. Was wĂ€ren Aufgaben bzw. lohnende Ziele in der Beratung/Begleitung?

Perner: Der Erwerb der von mir so genannten „Exorzismus-Technik“: in die Metaposition gehen, d. h. von oben drauf schauen, und den Namen dessen sagen, was man dann sieht – denn nur dann kann man „den Teufel“ – das Teuflische – das Destruktive, das Vernichtende, wegschicken. Anders fĂŒhlt er/es sich nicht gemeint. Konkret: nicht dulden, dass anderen ihr Lebensrecht genommen wird. Ein Mensch ist immer mehr als sein Verhalten – und das ist Ă€nderbar.

Lambda: Danke fĂŒr das GesprĂ€ch.

Von Dieter Schmutzer

Germanist, Lebensberater, SexualpÀdagoge, Kommunikationstrainer
Foto: © Fotostudio Schreiner