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Queere Vorbilder

Empowerment, Leichtigkeit, Lebensfreunde und Solidarität

Von Drags können wir viel lernen.

Ich mag die queere Vielfalt. Dragqueens, Dragkings und die Welt der Travestie sind ganz wichtige Bestandteile des queeren Universums. Sie können für andere Menschen ein Vorbild sein. In Österreich gibt es tolle Initiativen wie den Tuntathlon und die Kinderbuchlesung mit Candy Licious bei der jüngsten Pride. Ich möchte in diesem Beitrag die Vorbildwirkung von Queens und Kings anhand des Vereins „Travestie für Deutschland“ zeigen. Damit will ich die österreichischen Ini­tiativen keineswegs schmälern. Ich bin überzeugt, dass sich queere Menschen aus verschiedenen Ländern gegenseitig bereichern können. Ich habe viel über Queens und Kings aus dem Buch „Schminken mit Tschechow. Die Politik von Drag“ gelernt. Geschrieben hat es Baffolo Meus (Pronomen: „der da“), ein Initiator von „Travestie für Deutschland“ (TfD). Dieser Verein sorgt auch international für Schlagzeilen. Bei Wahlkämpfen beispielsweise tritt TfD als fiktive Partei auf. Mit witzigen Fotomontagen und Fake-Wahlplakaten machen die Künstler*innen und Aktivist*innen unter anderem gegen rechtsradikale Parteien wie die AfD mobil. „Wenn einer von euch die AfD wählt, schmink ich euch kaputt“, lautet ein Slogan. Auf einem anderen Plakat steht: „Mehr Fummel für Transen statt Nadelstreifanzüge für Nazis.“ Über diese Aktionen wurde weltweit berichtet – unter anderem in der BBC und in der „New York Times“.

Werden die Aktivist*innen von „Travestie für Deutschland“ in sozialen Medien beschimpft und mit Hassnachrichten übersät, reagieren sie mit Witz und Charme. Flippte etwa ein Internet-Troll aus und postete wilde Beleidigungen, schrieb eine Dragqueen zurück: „Ach mein Kätzchen, was bist du denn so aggro, komm doch mal runter, dann reden wir darüber.“ Damit können die Internet-Trolle schwer umgehen.

Geschlechtercodes infrage stellen

Abgesehen vom Mut und vom Humor bewundere ich bei Dragqueens und Kings die Leichtigkeit, den Zusammenhalt, die Lust am Leben, die Solidarität untereinander, mit der queeren Community und mit benachteiligten Menschen. Queens und Kings fühlen sich frei. Sie lieben es, Konventionen und Gender-Grenzen zu sprengen. Sie übertreiben, provozieren und stellen Geschlechtercodes infrage. Sie zeigen uns damit neue Möglichkeiten und Spielräume auf. Sie erweitern unser Denken und Handeln auf eine lustvolle Weise. Manchmal ist unser Alltag grau und düster. Queens und Kings lassen sich von der Tristesse nicht überwältigen. Sie weisen uns mit ihrem Styling und Outfit darauf hin, wie bunt, schön und außergewöhnlich die Welt sein kann. Wir können von Drags auch viel über Selbstliebe und Empowerment lernen. Ihnen ist es nicht wichtig, wie andere Menschen über sie denken, sondern sie nehmen ihre eigenen Wünsche und Verlangen ernst. Sie lassen sich auch nicht vorschreiben, wie sie aussehen sollen, sondern sie probieren neue Dinge aus.

Viel Lebensfreude

Queens und Kings streifen Geschlechterrollen und Identitäten ab. Sie lassen sich für die Verwandlung, für das Styling und das Outfit viel Zeit. Genau das sollten wir auch öfters machen: Mehr Zeit für uns selbst und für unsere Bedürfnisse nehmen. Dies ist gerade jetzt wichtig. Denn egal, wohin wir blicken, ständig hören wir negative Nachrichten: Krieg, geflüchtete Menschen, Inflation, hohe Gas- und Energiepreise, Corona und nicht zu vergessen die Klimakatastrophe. Viele Menschen blicken pessimistisch in die Zukunft. Doch die ständige Dauerbelastung durch negative Meldungen kann chronischen Stress verursachen und psychisch krank machen. Daher ist es sinnvoll, immer wieder den negativen Nachrichtenkonsum bewusst zu reduzieren und das Smartphone auszuschalten. Auch sonst kann es heilsam sein, dem Stress zu entfliehen, eine Auszeit zu nehmen und einfach nur Dinge tun, die Spaß machen. Damit können wir neue Energie tanken und Kraft schöpfen. Und genau das machen Queens und Kings. Sie strahlen dabei viel Lebensfreude und Lebenskraft aus.

Sich gegenseitig unterstützen

Baffolo Meus schreibt im Buch „Schminken mit Tschechow“, dass „einige unseres lustigen Queer-Völkchens stundenweise die Identitäten abstreifen und in neuer Haut eine stromstoßartige, ansteckende Kraft entfesseln“. Im Zuge der Verwandlung zu Queens und Kings werden „die bei Geburt geerbten Konfessionen, ethnischen Wurzeln und sozialen Herkünfte“ unsichtbar. Für Baffolo Meus besteht die heilende Kraft der Travestie darin: „All das Kleinliche, Trügerische abstreifen, das uns hindert, glücklich zu sein.“ Queens und Kings machen das nicht alleine, sondern ihnen ist Solidarität wichtig. Sie unterstützen sich beim Styling gegenseitig. Die Verwandlung und die Auftritte werden zu einer Party, die mit Freund*innen gefeiert wird. In dieser „rauschhaften Ballnacht der Selbstvergessenheit“, wie Baffolo Meus schreibt, werde ein Miteinander geschaffen, „bei dem jede Ernsthaftigkeit zerbröselt und jede rationale Auseinandersetzung verweigert wird, hier kommen nur wilde Herzen zu Wort.“ Baffolo Meus zitiert in diesem Zusammenhang den 1904 verstorbenen russischen Schriftsteller Anton Tschechow: „Es gibt kein Glück ohne Müßiggang, und nur das Nutzlose bereitet Vergnügen.“

Sich selbst zu lieben    

Dabei hatten es Dragqueens und Kings oft nicht leicht. „Im frühen Stadium ihrer Entwicklung unterscheiden sich künftige Exemplare der Travestie kaum von anderen Queers“, schreibt Baffolo Meus. In seinem Buch schildert er, wie Queens und Kings im Kindheits- und Jugendalter Ausgrenzung und Homofeindlichkeit erlebt haben. Sie teilen damit das Schicksal von den meisten queeren Jugendlichen. „Nicht der Stolz der Familie sein, niemals das beliebteste Kind auf dem Schulhof, und dann und wann gibt es eine aufs Maul.“ Queere Jugendliche verbringen laut Baffolo Meus „oft jahrelang in der Isolation, umgeben von Familien und Schulkamerad*innen, die von alledem selten etwas ahnen“. Sie stellen sich selbst infrage und empfinden viel Scham, weil sie von der Heteronormativität abweichen. Doch letztendlich geht es für uns queere Personen darum, diese Scham abzulegen und uns selbst so zu lieben, wie wir sind. Nicht wir müssen uns verändern, sondern die anderen müssen ihre Queer-, Frauen- und Fremdenfeindlichkeit abschütteln.

Drags haben viel bewirkt

Gelingen die Befreiung und die Selbstliebe, öffnen sich viele Möglichkeiten des Empowerments. Eine LGBTIQ*-Person sei viel „stärker als jede nicht-queere Person, die niemals gezwungen war, dieses Selbstbewusstsein und diese Kraft auszubilden“. Er selbst habe, so Baffolo Meus, als „Hahn im Tuntenstall“ gelernt, „wie Gleichstellung eingefordert werden kann, ohne sich als Opfer stilisieren zu müssen, dass dreiste Sichtbarkeit die beste Wehr gegen die etablierte Marginalisierung ist. Und wie Selbsterhebung wirksames Mittel gegen Trauma sein kann.“

In der „Travestie für Deutschland“ (TfD) wird diese Sichtbarkeit und Selbsterhebung gelebt. Die Queens und Kings in der TfD haben viel bewirkt. Sie unterstützten das Projekt „Frauen Kultur & Wohnen“ für ein selbstbestimmtes Wohnen von (frauenliebende) Frauen des Berliner Vereins „Rad und Tat“ und setzten sich für das Verbot der „Homoheilung“ ein. Sie treffen Politiker*innen und machen in Kooperation mit dem Berliner Senat und Bezirksämtern Antidiskriminierungsarbeit in Schulen. „Wenn der Berliner Senat das Thema LGBTIQ* in den Lehrplan schreibt und die praktische Umsetzung nicht gewährleistet, dann dürfen sich die Menschen nicht beschweren, wenn die Tunten der TfD einen Verein gründen und mit Stechschritten in die Schulen schreiten“, schreibt Baffolo Meus. „Halbwüchsige über queere Geschichte, Anti-Mobbing-Methoden und Diskriminierungsmuster aufzuklären und Akzeptanz gegenüber fremd Empfundenen zu lehren, übernehmen ab sofort Drags.“ ♕

Von Christian Höller

Christian Höller ist Psychotherapeut und hat eine Praxis in Wien.