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Against Lookism

Schon wieder ein Ismus? Haben wir da schon nicht genug davon – genug von Dingen, die mensch nicht mehr sagen darf? Nein, wie ich finde: Jede*r darf die eigenen Intoleranzen offenlegen und soll das sogar. So wird mensch damit konfrontiert und dabei unterstützt, diese loszuwerden – Bereitschaft dazu natürlich vorausgesetzt. Und andernfalls weiß das Gegenüber wenigstens, mit wem es es zu tun hat.

Damit sei nicht gesagt, dass alle, die nicht vollkommen frei von Ismen sind, Arschlöcher sind – denn dann wären wir alle Arschlöcher, selbst die sonnigste, offenste, linksliberalste Person. Und wie wir bereits in der diesbzgl. Schwerpunktausgabe 1/21 erörtert haben, erlebt die „Community“ die meiste Diskriminierung dort, wo es am meisten weh tut: In den „eigenen“ Reihen.

Aber mal grundsätzlich zur Abgrenzung von Lookism zu anderen Ismen: Im Gegensatz dazu, dass wir gleichgeschlechtlich lieben, können wir natürlich entscheiden, was wir (nicht) anziehen. Aber genauso könnten wir (oder viele von uns) uns verstellen, uns nicht outen und den*die „Mitbewohner*in“ im stillen Kämmerlein lieben. Das ist aber nicht nur nicht mehr zeitgemäß und unsolidarisch gegenüber anderen gleichgeschlechtlich Liebenden, die alleine an der Front Visibility zeigen, sondern für eine*n selber ein Leben in der eigenen Angst und Feigheit – und wer nicht er*sie selbst ist und das wahre Ich vor anderen versteckt, verliert sich auch gegenüber sich selbst. Und das gilt genauso dafür, wen du liebst, wie dafür, welche Klamotten du magst.

Natürlich gibt es ab und an gewisse, oft auch sinnvolle Konventionen, bspw. wenn mensch Dienstkleidung tragen muss, damit er*sie sich von Kund*innen unterscheidet und diese nicht versehentlich gestört werden. Auch soll es mir recht sein, wenn es ab und an Dresscodes gibt, wie beim Regenbogenball – wenngleich ich zustimmen würde, wenn jemand sagt, dies sei nicht unbedingt nötig. Aber darum geht es bei Lookism nicht – im Gegenteil wurden z. B. Schuluniformen in manchen Ländern gerade deswegen eingeführt, damit Kinder von finanzschwächeren Eltern nicht benachteiligt oder gar von Mobbing betroffen sind, weil sie sich keine Jogger Marke adidas leisten können.

Hingegen an österr. Schulen zeigt sich immer klarer, dass die Schere zwischen Arm und Wohlstandsverwahrlosung immer mehr auseinander geht. So haben mir viele erzählt, dass sie im Schulalter Nachteile daraus erfahren hatten, dass sie eben nicht wie andere mit dem 100-Euro-Schein, dem neuesten Spielzeug und den teuersten Markenklamotten angeben konnten und ihr „Taschengeld“ eigentlich nur Essensgeld war. Und die meisten Schwulen, die im Jugendalter schon mal auf schwulen Online-Dating-Plattformen unterwegs waren, haben ohne irgendein Zutun viele Anschriften von Möchtegern-„Daddys“ bekommen, die gerne bereit sind, beim „Taschengeld“ einzuspringen – allerdings nur gegen bei Minderjährigen zu Recht illegale, sexuelle Dienstleistungen. Und aufgrund des Drucks, den unsere Konsumgesellschaft auslöst oder, weil sie einfach sich auch mal Markenklamotten, Platten oder einen Clubbesuch leisten wollen, gehen sie auf diese Angebote ein, zumeist mit für sie nicht im Vornherein bekannten, schwerwiegenden, psychischen Schäden.

Wie auch in der sozialistischen DDR, war es auch in der öffentlich zugänglichen Schwulenszene Idee bzw. Labelling, dass alle gleich viel wert sind, nur gibt es leider einige die qua Status und/oder Einkommen gleicher als gleich sind (oder dies zumindest meinen und dementsprechend arrogant sind), was hinsichtlich dieser Thematik auch am Preis der Outfits erkennbar ist. Und somit ist Lookism, also zu sagen, „Kleider machen Leute“, und Leute danach auch nur zu einem geringen Teil zu beurteilen, automatisch auch Shaming gegen Menschen, die unverschuldet weniger Einkommen haben ­– oder welche*r Studierende kann was für sein Einkommen, das in der Regel zu allermeist von Eltern und/oder Staat kommt?

Hierbei geht es nicht nur um Anerkennung in einer vermeintlichen „Community“ – die bekomme ich von meinem Partner, Familie und Freund*innen, weswegen mir herzlich egal ist, was irgendjemand in einem Club von mir denkt. Singles hingegen, die vielleicht auch noch neu in der Stadt sind, Anschluss suchen und nicht das private Glück haben, das ich habe, kann das oft nicht so egal sein, denn wenn eben „Kleider Leute machen“, sind sie klar bei der Erfüllung ihrer emotionalen (oder in der Schwulenszene zumindest körperlichen) Bedürfnisse benachteiligt. Und interessanterweise sind die Täter*innen meist genau solche, die selbst seit längerer Zeit körperlich und emotional unbefriedigt sind.

Und selbst wenn es nicht nur um den materiellen Wert des Outfits geht, wird in der Community wie so oft Diversität gepredigt, aber dann doch ein Einheitsbrei getrunken und wer aus der Reihe tanzt, wird diffamiert. Also eben da, wo jede*r er*sie selber sein können sollte, ohne Angst zu haben, verbale oder anderweitige Gewalt oder auch nur einen abwertenden Blick zu erfahren. Und oft sind die Träger*innen bestimmter Kleidung Angehörige von Subkulturen – entweder allgemeiner, wie Skater­*innen und Punks, oder speziell „Schwuler“ wie Drags und Puppies. Somit handelt es sich auch um die Light-Version von Xenophobie (feindlicher Haltung gegenüber Menschen aus anderen Kulturen).

Mit diesem Kommentar zeige ich nicht genauso abwertend mit dem Finger auf jene, die dies mit Leuten tun, deren Outfit ihnen nicht gefällt – vielmehr möchte ich Bewusstsein über vielleicht unbewusste Diskriminierung schaffen, und was alles mitdiskriminiert wird. Und positiv formuliert möchte ich darauf appellieren, anstatt der Kleidung darauf zu achten, was wirklich zählt: Nein, nicht die entkleidete Person (obwohl das natürlich auch okay ist), sondern Charakter, Wärme, Solidarität und Menschlichkeit, die es sogar in der Schwulenszene gibt und die sie (zumindest ein Stück weit) dazu machen, wofür sie gemacht wurde: Ein Safe Space, in dem wir so sein können, wie wir sind und uns aufgehoben, anerkannt und verstanden fühlen.

Anm.: Die Artikel ist beispielhaft aus der Perspektive der Schwulenszene geschrieben, weil für Queere, die Nicht-Cis-Endo-Männer sind, zu wenig Angebot besteht und/oder dieses mir als Autor nicht ausreichend bekannt ist, um Aussagen darüber treffen zu können. Das meiste ist aber hoffentlich auch auf andere Settings und Looks übertragbar.

Von Andreas Stefani

Lambda Autor, Community & Politik