Ylva feiert Geburtstag
Lesbische Liebesgeschichten sind Dreh- und Angelpunkt der Arbeit von Astrid Ohletz, 53, und ihrem Team beim Ylva Verlag, der in einem Vorort von Frankfurt am Main sitzt. In diesem Jahr feiert das Verlagshaus zehnjähriges Bestehen.
Die Gründung eines lesbischen Verlages wurde Astrid zumindest nicht in die Wiege gelegt, entstammt sie doch einem Arbeiterhaushalt in Duisburg, in dem ihr Lesbischsein keine Selbstverständlichkeit war. Mit 16 trat sie einer christlich-fundamentalistischen Gruppierung bei, weil alles so schön klar geregelt war und die Feindbilder feststanden, wie sie es rückblickend einschätzt, obwohl sie gleichzeitig auch betont, dass ihre jugendliche Hinwendung zum christlichen Fundamentalismus nicht ihrer Erziehung anzulasten ist: „Meine Eltern, die früher immer fanden, dass ich lieber zu Hause bleiben soll, schickten mich sogar in die Disco, als sie sahen, wie ich mich mehr und mehr von der Gruppierung beeinflussen ließ.“ So oder so, Astrid wurde in der Gemeinschaft einer „Gehirnwäsche“ unterzogen: „Lesbisch oder schwul waren ja einige von uns, aber das durften wir nicht leben.“ Unter anderem mit Dämonenaustreibung versuchte man alles, was nicht dem heterosexuellen Keuschheitsideal entsprang, von den Mitgliedern fernzuhalten. Die Selbstverleugnung führte bei einigen zur Verzweiflungstat: „Einer meiner besten Freunde aus der Gruppe beging später Suizid.“
Im Alter von 25 merkt Astrid, dass sie so nicht weitermachen kann, tritt aus der Gemeinschaft aus, obwohl sie noch einige Jahre versucht, von außen Kontakt zu halten: „Ich arbeitete als Gemeindesekretärin, konnte aber mit den Strukturen nicht mehr leben und zog mich so weit zurück, dass ich inzwischen sogar aus der Kirche ausgetreten bin.“ Sie holte ihr Abitur am Abendgymnasium nach, wo sie Daniela Hüge kennenlernte, die später ihre Ehefrau wurde, und arbeitete zehn Jahre lang als Assistentin in einer internationalen Wirtschaftskanzlei. Bereits mit 18 hatte sie Isabel Millers historischen Roman „Patience and Sarah“ (1971, Wiederauflage von „A Place for Us“ von 1969) gelesen – „mein erstes Lesbenbuch“, erinnert sich Astrid heute. Durch Beschäftigung mit Fan Fiction kam sie einige Jahre später auf die Idee, selbst lesbische Liebesgeschichten, die möglichst glücklich enden, herausbringen zu wollen, vor allem auf Englisch.
Mit Anfang 40 beschloss sie, den Neuanfang zu wagen, trotz gut bezahlten Jobs in der Anwaltskanzlei und obwohl viele sie für verrückt hielten: „Mir wurde dringend abgeraten; mit Liebesromanen, und noch dazu lesbischen, könne man kein Geld verdienen, hieß es damals.“ Trotz alledem: In Kriftel bei Frankfurt siedelte sich die Verlegerin mit ihrer Ehefrau Daniela an, leitete zuerst von zu Hause aus den Verlag, nahm ihre Partnerin, die ursprünglich Zootierpflegerin gelernt hatte und inzwischen einen Master in Bibliotheks- und Informationswissenschaften hat, als Qualitätsmanagerin mit ins Verlagsboot: „Meine Frau ist die Genauigkeit in Person, liebt die Arbeit mit Zahlen, lässt kein Wischiwaschi durchgehen“. Büroräume in der Nähe der Wohnung waren schnell gefunden, ebenso weitere Mitstreiter*innen, die Astrids Traum vom Happy End in der Lesbenliteratur teilen – unter anderem Lektorin und Social-Media-Managerin Jenny Spanier, die für alles Junge und Neue zuständig ist und online über Bücher spricht, sowie Finanz- und Diversitymanagerin Daniela Zysk, die sich zudem um feministischen Aktivismus und Tierschutzaktionen, vor allem im internationalen Kontext, kümmert.
Mit den – teils preisgekrönten – Autor*innen arbeiten die Verlegerinnen eng zusammen, begleiten sie vom Manuskript durchs Lektorat bis hin zum fertigen Buch und Marketing. Inzwischen werden auch deutsche Übersetzungen der englischen Veröffentlichungen sowie deutsche Romane herausgebracht. In den zehn Jahren des Verlagsbestehens wurden deutlich über eine Millionen E-Books sowie mehr als 100.000 Taschenbücher verkauft, und im vergangenen Jahr verzeichnete Ylva zum ersten Mal einen Millionenumsatz. „Wir sind jetzt auch fürs Finanzamt interessant geworden“, fasst Astrid ihren Erfolg zusammen.
Astrid Ohletz hat jede Menge Buchempfehlungen auf Lager. Selbst ist sie besonders begeistert vom Humor australischer Autor*innen, die bei Ylva gern verlegt werden, zum Beispiel Lee Winter und Jess Lea. Von Lee Winter gefällt ihr besonders das im vergangenen Jahr erschienene „Das Geheimnis der roten Akten“, dessen englisches Original, „The Red Files“, 2015 das Einstiegswerk der Autorin bei Ylva war. Ebenfalls Lee Winters Feder beziehungsweise Fantasie entsprungen ist „Requiem for Immortals“ (2016), auf Deutsch „Requiem mit tödlicher Partitur“ (2017); „ein etwas anderer Liebesroman, eher ein Thriller“, meint Astrid Ohletz zu diesem Werk der Starautorin. Von Jess Lea empfiehlt sie „A Curious Woman“, das 2019 bei Ylva verlegt wurde und demnächst auf Deutsch erscheint. Ihr besonderer Geheimtipp aus diesem Jahr ist Quinn Ivins „Was ich in dir sehe“ („Worthy of Love“, 2021), ein Liebesroman mit philippinischer Protagonistin. Neuerscheinungen im Juli und August sind „From Fan to Forever“ von Tiana Warner, „Chemistry“ von Rachael Sommers, „“Um uns nichts als das Meer“ von Wendy Hudson („The Island Between Us“, 2021), „Eine Französin zum Küssen“ („French Kissing“, Ladylit Publishing, 2014) von Harper Bliss sowie „Glück braucht kein Drehbuch“ („Write Your Own Script“, 2019) von A.L. Brooks. Deutsche Originalausgaben veröffentlicht Ylva neuerdings auch, so zum Beispiel „Küsse im Schneesturm“ (2021) von Ina Steg, „Knutschpogo: Verliebt bis in die Haarspitzen“ (2018) von Katrin Frank, „Neustart – Route wird berechnet“ (2018) von Franziska Kirchhoff, „Gestern die Sehnsucht, heute der Himmel“ (2018) von Verena Martin. Verlegerin Astrid Ohletz schreibt zudem selbst, neben Kurzgeschichten auch Romane. Unter dem Pseudonym Emma Weimann brachte sie 2014 „Heart’s Surrender“, heraus, für den sie 2015 den Lesbian Erotica Award erhielt. Ihr zweiter Roman ist in Arbeit und soll kommendes Jahr erscheinen. ♕