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Kultur

BĂ€ren, Teddys und IFFF-Preise

Filmfestivals und ihre Auszeichnungen

Die Berlinale mit ihren BeitrĂ€gen, Themen und Preisen liegt bereits einige Monate zurĂŒck, und doch soll die Gelegenheit hier genutzt werden, um auf einige besondere Filmtitel und ihre Auszeichnungen RĂŒckblick zu nehmen. So kommt in diesen Tagen, sprich zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe (Ende April), Andreas Dresens Spielfilm „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“ ins Kino, der bei der diesjĂ€hrigen Berlinale im Februar mit zwei silbernen BĂ€ren ausgezeichnet wurde – einen fĂŒr Meltem Kaptan fĂŒr die beste schauspielerische Leistung in einer Hauptrolle, der andere fĂŒr Laila Stieler fĂŒr das beste Drehbuch.

Im Film geht es um den Bremer Murat Kurnaz, der 2001 kurz nach den AnschlĂ€gen vom 11. September nach Pakistan reiste, um dort den Koran zu studieren. Er wurde ĂŒber Zwischenstopp in Afghanistan nach GuantĂĄnamo verschleppt, wo er ohne Anklage, Beweise und Gerichtsverfahren und unter Folter bis 2006 festgehalten wurde. Die USA hatten wohl schon kurze Zeit nach seiner Inhaftierung bemerkt, dass sie einen Unschuldigen drangsalierten und boten der deutschen Regierung ab 2002 die Herausgabe des Inhaftierten an. In Berlin weigerte man sich jedoch, Kurnaz die RĂŒckkehr nach Deutschland zu gewĂ€hren, unter anderem mit der zynischen BegrĂŒndung, er habe als TĂŒrke wĂ€hrend seiner Inhaftierung verpasst, seine deutsche Aufenthaltsgenehmigung zu verlĂ€ngern. So könne man ihn nicht zurĂŒcknehmen, was auch von den Kommunalbehörden in Bremen offensichtlich auf Anraten oder Anordnung der Bundesregierung so bestĂ€tigt wurde.

GlĂŒcklicherweise hat Kurnaz eine couragierte Mutter, die zwar am Boden zerstört war, als sie von den UmstĂ€nden des Verschwindens ihres Sohnes erfuhr, sich dann aber unverzĂŒglich an einen Menschenrechtsanwalt – Bernhard Docke, grandios gespielt von Alexander Scheer – wandte, der ĂŒber Jahre alle Hebel in Bewegung setzte, um Murat Kurnaz freizubekommen. Und davon handelt der Film, von der Mutter, die gegen alle WiderstĂ€nde der US-amerikanischen Regierung und deutschen Behörden fĂŒr ihren Sohn kĂ€mpft, weil sie an seine Unschuld glaubt und davon ĂŒberzeugt ist, dass man Menschen nicht verschleppen und sie nicht ohne Anklage und Verhandlung inhaftieren darf. Eigentlich scheinen Mutter und Anwalt alle Gewalten gegen sich zu haben, die USA, den PrĂ€sidenten, die deutsche Bundesregierung, Medien und Öffentlichkeit, die den jungen tĂŒrkischen Bremer als TalibankĂ€mpfer abstempeln. Doch der Film zeigt, dass HartnĂ€ckigkeit sich auszahlt, zumal wenn man den Glauben an Gerechtigkeit und Menschlichkeit auf seiner und ihrer Seite hat, wie die zwei KĂ€mpferInnen, Anwalt und Frau Kurnaz, es eben haben. Und so gibt es auch komödiantische Szenen im Film, wenn die Mutter die Pressemenschen vor ihrer HaustĂŒr verwarnt, nicht auf ihren Schneeglöckchen rumzutrampeln, oder sie vom Anwalt darĂŒber aufgeklĂ€rt wird, dass sie mit der Sammelklage am Supreme Court in Washington D.C. persönlich gegen den PrĂ€sidenten der USA vor Gericht zieht.

Die Schauspielerin Meltem Kaptan verkörpert die humorvolle Rabiye Kurnaz hervorragend und herzerfrischend und sorgt dafĂŒr, dass der Film das Publikum nicht verzweifelt zurĂŒcklĂ€sst, sondern trotz aller Tragik und Dramatik Hoffnung auf bĂŒrgerrechtliches Engagement und Gerechtigkeit schöpfen lĂ€sst. Wobei bei aller Freude ĂŒber den Film nicht vergessen ist, dass das Gefangenenlager GuantĂĄnamo nach 20 Jahren – allen Befreiungsbeteuerungen Obamas und Bidens zum Trotz – immer noch existiert und dort noch 37 Gefangene (von ehemals 800 Inhaftierten) unrechtmĂ€ĂŸig festgehalten werden. Wer sich weitergehend fĂŒr das Thema interessiert, findet neben unzĂ€hligen Presseberichten zu dem Fall Kurnaz im Internet auch einen Spielfilm von 2013 „5 Jahre Leben“ von Stefan Schaller, der sich mit der Verhörsituation im Gefangenenlager auseinandersetzt. Der Film wiederum stĂŒtzt sich auf Murat Kurnaz‘ Autobiographie „FĂŒnf Jahre meines Lebens“, 2007 erschienen, der darin von seiner Inhaftierung berichtet.

AlcarrĂ s
AlcarrĂ s

Neben weiteren Hauptpreisverleihungen der Berlinale – Goldener BĂ€r fĂŒr den besten Film an „AlcarrĂ s“ von Carla SimĂłn, Silberner BĂ€r großer Preis der Jury an „So-seol-ga-ui yeong-hwa“ von Hong Sangsoo, Silberner BĂ€r Preis der Jury an „Robe of Gems“ von Natalia LĂłpez Gallardo, Silberner BĂ€r fĂŒr die beste Regie an Claire Denis fĂŒr „Avec amour et acharnement“, Silberner BĂ€r fĂŒr die beste schauspielerische Leistung in einer Nebenrolle an Laura Basuki in „Nana“ von Kamila Andini etc. – sind an dieser Stelle vor allem die Teddy Awards fĂŒr queere Berlinale-BeitrĂ€ge von Interesse.

So-seol-ga-ui yeong-hwa
So-seol-ga-ui yeong-hwa

Der Teddy-Gewinner Best Feature „Tres tigres tristes“ ist ein brasilianischer Spielfilm von Gustavo Vinagre. Der Film begleitet drei queere Menschen, wie sie sich durch Sao Paulo treiben lassen und zeigt, wie sie sich trotz Pandemie, zĂŒgellosem Kapitalismus und Versagen der Regierung einen eigenen Platz in der Gesellschaft erobern. Beeindruckende Straßenszenen und witzige Detailaufnahmen vor tollem Hintergrund, sowie verspielter Musiksound bestimmen die Aufnahmen. Die drei erzĂ€hlen sich wĂ€hrend ihrer StreifzĂŒge von verstorbenen LiebhaberInnen, von Erfahrungen mit HIV und entwickeln eigens entworfene Schminktechniken fĂŒr ihre maskierten Gesichter. Irgendwann sind sie nicht mehr so allein, treffen sie doch auf andere Vergessene und gestalten eine neue Nischengesellschaft.

TrĂȘs tigres tristes
TrĂȘs tigres tristes

Die kolumbianisch-chilenisch-rumĂ€nische Doku „Alis“ von Clare Weiskopf und NicolĂĄs van Hemelryck hat die Teddywelt als bester Dokumentar-/Essayfilm erobert und erhielt zudem die Berlinale-Auszeichnung GlĂ€serner BĂ€r als bester Film in der Sektion Generation 14plus. Die portraitierten MĂ€dchen, die auf der Straße leb(t)en und in gewalttĂ€tigen UmstĂ€nden aufgewachsen sind, stellen sich eine bessere Welt vor, in der die ertrĂ€umte Person trotz Missbrauchserfahrungen und VernachlĂ€ssigung alles erreichen kann, was sie sich wĂŒnscht.

Avec amour et acharnement
Avec amour et acharnement

FĂŒr seinen 18-minĂŒtigen Berlinale-Beitrag „Mars ExaltĂ©â€œ erhielt Jean-SĂ©bastien Chauvin aus Frankreich den Kurzfilm-Teddy. Darin beobachtet die Kamera einen Mann im Schlaf, beleuchtet seine TrĂ€ume und die RealitĂ€t, die darin verborgen ist. Der bildliche Hintergrund wird von den Lichtern der nĂ€chtlichen Autobahn bestimmt, die den Blick aus dem Schlafzimmerfenster einnehmen. Die GerĂ€uschkulisse fokussiert auf den Atem der schlafenden Person und das Bettrascheln, wenn die Liegeposition gelegentlich geĂ€ndert wird. Leidenschaft und KreativitĂ€t des Mannes werden so ganz sachte in minimalen Bildern und Soundeffekten angedeutet.

Nelly & Nadine
Nelly & Nadine

Der Dokumentarfilm „Nelly & Nadine“ des schwedischen Regisseurs Magnus Gertten, der den diesjĂ€hrigen Teddy-Jury Award gewann, erzĂ€hlt aus dem Leben der beiden Titelheldinnen Nelly Mousset-Vos und Nadine Hwang, die sich im Zweiten Weltkrieg als HĂ€ftlinge des KZ RavensbrĂŒck kennenlernen. Nach dem Krieg finden die beiden sich wieder und beschließen, zusammenzuleben. Jahrzehnte nach dem Tod der Frauen begibt sich Nellys Enkelin Sylvie Bianchi auf Spurensuche nach der Liebes- und Lebensgeschichte der beiden. Mit Hilfe von alten Fotos, Liebesbriefen, Filmaufnahmen und Tagebuchaufzeichnungen gelingt es Sylvie, die Geschichte ihrer Großmutter und deren großer Liebe zu rekonstruieren. Sie fragt sich im Film, ob die Beziehung wirklich ein Geheimnis war, oder ob die Angehörigen die Verbundenheit des Paares auch deshalb ignorierten, um sich nicht mit dem Tabuthema lesbische Liebe und schon gar lesbische Liebe im Nationalsozialismus auseinandersetzen zu mĂŒssen. Der Film ist der dritte Teil einer Dokumentarfilmserie. Alle drei Filme gehen auf einen Ausschnitt einer Wochenschau von 1945 zurĂŒck, worin von einer Rettungsaktion des schwedischen Roten Kreuzes berichtet wird. Gerttens erster Film dazu war „Harbour of Hope“ von 2011, weitere Recherchen fĂŒhrten zu „Every Face has a Name“ von 2015. Nun feierte mit „Nelly & Nadine“ der dritte Teil bei der diesjĂ€hrigen Berlinale Premiere.

Nicht nur Berlinale-BĂ€ren und Teddys wurden im Februar unter immer noch pandemieerschwerten Bedingungen vergeben, auch das Internationale FrauenFilmFest Dortmund + Köln feierte Anfang April Preisverleihung. 100 Filme aus 35 LĂ€ndern waren in Kölner Kinos gezeigt worden, 60 Filmemacher*innen waren sogar vor Ort gewesen und hatten ihre Werke vor Publikum prĂ€sentiert. Im Internationalen DebĂŒt-Spielfilmwettbewerb gewann „Freda“ von Gessica GĂ©nĂ©us mit der Geschichte um eine Studentin in Haiti den mit 10.000 Euro dotierten Hauptpreis des Festivals. „Die Regisseurin und Schauspielerin Gessica GĂ©nĂ©us richtet einen unsentimentalen Blick darauf, wie in der patriarchalen haitianischen Gesellschaft vor allem Frauen unter wirtschaftlichem Abschwung, sozialen und politischen MissstĂ€nden und Colourism leiden“, heißt es in der Pressemitteilung zur Preisvergabe. Der choices-Publikumspreis, der mit 1.000 Euro dotiert ist, ging an den deutschen Spielfilm „Nico“ von Eline Gehring, der von einer Krankenpflegerin erzĂ€hlt, „die sich nach einem rassistischen Überfall ins Leben zurĂŒckkĂ€mpft“. Mit dem ECFA Short Film Award, dem Preis fĂŒr den besten Kurzfilm fĂŒr Kinder, wurde der französische Animationsfilm „Kiki, die Feder“ von Julie Rembauville und Nicolas Bianco-Levrin ausgezeichnet. In der JurybegrĂŒndung fĂŒr den Preis heißt es: „Ein kohĂ€rentes Universum entsteht durch die gelungene Kombination von Live-Handlung und Animation.“ Zudem wĂŒrde damit ein Film gewĂŒrdigt, „der uns nicht Anpassung nahelegt, sondern Mut macht, zu fliegen“.

Von Anette StĂŒhrmann

Freie Journalistin und Autorin