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Sexuelles Kapital

Vor Kurzem schrieb eine Person in einem Dating-Portal: Ich sitze im Rollstuhl und kann nicht viel bieten. Dieser Satz zeigt wie sehr die Wirtschaft und die Ökonomie nicht nur unser Leben, sondern auch Partnerschaften und die Sexualität beherrschen. Dating-Portale sind zu Marktplätzen geworden, bei denen Menschen nach Angebot und Nachfrage bewertet werden. Wer jung, sportlich und gebildet ist, hat viel sexuelles Kapital. Um im erotischen Wettbewerb eine hohe Nachfrage zu erzielen, sind Investitionen in den eigenen Körper notwendig. Waren es früher die Religionen, die Sexualität reguliert haben, so ist es heute der neoliberale Kapitalismus, schreiben die beiden Soziologinnen Eva Illouz und Dana Kaplan. Auch die sexuelle Befreiung dient kapitalistischen Interessen. Viele Industriezweige sind darauf spezialisiert, Menschen attraktiver und sexuell begehrenswerter zu machen. Dazu gehören Fitness-Clubs, Schönheitsoperationen, Ratgeber, Reizwäsche und vieles mehr. Menschen, die wie Models aussehen, stehen an der Spitze der Hierarchien erotischer Begehrtheit. In der Gegenwart von schönen Menschen fühlt man sich wohl. Partner*innen können zu einem Statussymbol werden. Sex wird heute gesellschaftlich akzeptiert, wenn er nicht nur zur Fortpflanzung, sondern auch zum Zweck intimer Beziehungen und als Gelegenheitssex rein zur Entspannung dient. Wer Sex hat, ist am nächsten Tag entspannter und produktiver. Ein Problem ist, dass diese Art von sexuellem Kapital mit dem Alter abnimmt. Hinzu kommt, dass der Wert des sexuellen Kapitals meist von Männern für Männern bestimmt wird. Das Buch regt zum Nachdenken an. Es macht deutlich, wie Märkte, Geld und Kapital uns negativ beeinflussen können.

Eva Illouz, Dana Kaplan: Was ist sexuelles Kapital?
Suhrkamp, Berlin 2021.

Von Christian Höller

Christian Höller ist Psychotherapeut und hat eine Praxis in Wien.