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Hitlers queere Künstlerin

Die Nazis haben viele tausend queere Menschen ermordet. Trotzdem gab es homosexuelle Menschen, die auch begeisterte Nazis waren. Zu ihnen gehörte die lesbische Malerin ­Stephanie Hollenstein. Sie war in der NS-Zeit eine der einflussreichsten österreichischen Künstlerinnen. Die Kulturpublizistin Nina Schedlmayer versucht in dem Buch Antworten auf die Frage zu finden, wie es möglich ist, dass sich eine lesbische Frau mit der NS-Ideologie identifiziert. Die Biografie ist spannend zu lesen. Der Autorin gelingt es, die Widersprüche im Leben von Hollenstein zu erfassen. Die 1886 geborene Künstlerin wuchs in einfachen bäuerlichen Verhältnissen in Vorarlberg auf. Sie ging an die Münchner Kunstgewerbeschule. Das war eine der ersten staatlichen Universitäten in Deutschland, in denen Frauen aufgenommen wurden. Im Ersten Weltkrieg zog sie als Soldat freiwillig in den Krieg. Dazu musste sie sich als Mann verkleiden und den Namen ändern. Auch später war Hollenstein vom Männlichkeitskult und vom Militärischen des Faschismus fasziniert. Gleichzeitig liebte sie Frauen. Hollenstein führte mindestens zwölf Jahre lang mit der Ärztin Franziska Groß eine lesbische Beziehung. Ihr Freundes- und Bekanntenkreis wusste davon. Trotz der strafrechtlichen Verfolgung von gleichgeschlechtlich Liebenden „können Hollenstein und Groß offen als Partnerinnen auftreten, erstaunlicherweise selbst im ländlichen und konservativen Umfeld“, schreibt die Autorin. Hollenstein trat 1934 der damals in Österreich verbotenen NSDAP bei. Nach ihrem Tod stellte die Nachwelt ihre Aktivitäten für die Nazis als harmlos dar – oder sie wurden verheimlicht. Doch das Buch zeigt, dass die Künstlerin eine begeisterte Nazi-Anhängerin und Antisemitin gewesen ist.

Nina Schedlmayer: Hitlers queere Künstlerin: Stephanie Hollenstein – Malerin und Soldat. Paul Zsolnay Verlag, Wien 2025.

Von Christian Höller

Christian Höller ist Psychotherapeut und hat eine Praxis in Wien.