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„Ich konnte nicht ruhig bleiben, sondern musste etwas tun.“

Ein Film über das beeindruckende „Names Project Wien“.

Friedl Nussbaumer und Brigitte Zika-Holoubek haben in der queeren Community Österreichs einen wichtigen Meilenstein gesetzt. Friedl Nussbaumer gründete 1992 nach amerikanischem Vorbild das „Names Project Wien“. Damit wird die Erinnerung an die an Aids verstorbenen Menschen hochgehalten. Brigitte Zika-Holoubek und andere Menschen aus der Community haben Friedl Nussbaumer dabei unterstützt. Über das beeindruckende Projekt wurde nun ein Film gedreht. Die Premiere war am 29. November im Wiener Topkino.

Auch wenn Aids durch die Kombinationstherapie zu einer behandelbaren Krankheit wurde, darf nie vergessen werden, wie viele Menschen daran gestorben sind. Für die schwule Community war Aids noch vor nicht allzu langer Zeit eine Katastrophe. Als 1992 mit dem Names Project Wien begonnen wurde, seien in Wien so viele Menschen an Aids gestorben, erzählt Zika-Holoubek: „Es war schlimm. Ich habe so viele befreundete Menschen verloren. Ich konnte nicht ruhig bleiben, sondern musste etwas tun.“

Zika-Holoubek ist nicht nur in Wien bekannt. Sie hat das Names Project in Schulen in ganz Österreich vorgestellt. „Dabei ging es nicht nur um das Gedenken an an Aids verstorbene Menschen, sondern es wurden auch Fragen gestellt zu Themen wie Vorsorge und Schutz vor HIV, Homosexualität und Coming-out“, erzählt die Aktivistin. Besonders gefreut habe sie sich, als sich einmal in einer Schule in der österreichischen Provinz nach ihrer Präsentation zwei junge Menschen vor den Mitschüler*innen als queer geoutet haben. Auch auf Kongressen in europäischen Staaten hat Zika-Holoubek gesprochen: „Ich war sogar in Moskau.“ Sie ermutigte Menschen in anderen Ländern, ähnliche Gedenkinitiativen zu starten. Ihrem ehrenamtlichen Engagement ist es zu verdanken, dass das Names Project in Wien das größte in Europa ist.

Bei der Initiative werden individuell gestaltete Gedenktücher mit den Namen und teilweise mit den Fotos der an Aids verstorbenen Menschen hergestellt. Diese werden zu größeren quadratischen Einheiten zusammengenäht und zu bestimmten Anlässen an prominenten Orten aufgelegt, damit sie auch in der Öffentlichkeit sichtbar sind. In Wien waren die Tücher unter anderem in der Uno-City und im Stephansdom zu sehen. „Jedes einzelne Tuch ist ein Zeugnis der Liebe und ein Beweis, dass die Verstorbenen nicht vergessen werden“, sagt Zika-Holoubek.

Kampf gegen Stigmatisierung und Ausgrenzung

Zu Beginn der Aids-Krise setzte sich die Aktivistin in Österreich für eine menschenwürdige Betreuung von an Aids erkrankten Menschen ein. „Wir können es uns heute gar nicht vorstellen. Doch in den 1980er und 1990er Jahren waren die Verhältnisse in den Krankenhäusern teilweise schlimm“, sagt sie. Damals gab es in Wien zwei Aids-Stationen. Eine befand sich im AKH, die andere im Pulmologischen Zentrum auf der Baumgartner Höhe. Die Besuchszeiten für Angehörige und Freund*innen seien oft nur auf eine Stunde am Tag begrenzt gewesen, erinnert sich Zika-Holoubek. Die erkrankten Menschen seien alleine in den Zimmern gestorben. Erst wenn die medizinischen Geräte den Tod angezeigt haben, sei das Pflegepersonal gekommen. „So etwas wie eine Sterbebegleitung hat es damals nicht gegeben“, betont die Aktivistin. Sie setzte sich für eine Veränderung der Zustände ein. Sie schafft es, dass die Besuchszeiten ausgeweitet und die Menschen bis zum Tod rund um die Uhr von Freund*innen und Partner*innen begleitet werden konnten. Dafür musste Zika-Holoubek und ihre Mitstreiter*innen im Gesundheitssystem einige Widerstände überwinden. „Meine Sturheit hat mir dabei geholfen“, schmunzelt die Aktivistin.

Der Schock über die hohe Anzahl der Erkrankten und Verstorbenen saß auch in Österreich tief. Von der HOSI Wien waren viele Menschen betroffen. Eine weitere Herausforderung war die Stigmatisierung von Aids. Denn damals waren irrationale Ängste vor einer Ansteckung weit verbreitet. Bestattungsunternehmen weigerten sich, Verstorbene zu beerdigen. Dann gab es in Österreich Bischöfe, die von Aids als Strafe Gottes sprachen.

Gemeinsame Trauerarbeit

Die Idee des Names Projects stammt von Gay-Rights-Aktivist*innen aus den USA. Friedl Nussbaumer, dessen Partner Michael Handl an Aids verstorben ist, hat das Projekt in Wien initiiert. Zika-Holoubek war davon so begeistert, dass sie ihn dabei unterstützt hat. Auch viele andere Menschen wie Peter Haas, Peter Holub, Dieter Schmutzer, Kurt Krickler, Felix Görner haben mitgeholfen, dass das Names Project in Wien und auch in Österreich mit Leben erfüllt wurde. So trafen sich Angehörige, Freund*innen und Partner*innen der an Aids verstorbenen Menschen jeden Sonntag in Wien in der Werkstatt des Lederschneiders Peter Holub, um an den Erinnerungstüchern zu arbeiten. Holub stellte kostenlos die Räumlichkeiten und Geräte zur Verfügung. Die Aktivist*innen und Trauernden brachten Kuchen und Getränke mit. Sie waren mit ihrem Schmerz nicht alleine. Die Herstellung der Tücher half ihnen bei der Trauerarbeit. Gemeinsam tauschten sie Erinnerungen aus. Damit entstand ein Wir-Gefühl. Jedes Tuch wurde individuell – oft mit Lieblingsbildern und Lieblingsgegenständen – gestaltet. Jede*r konnte mitmachen. Zika-Holoubek erinnerte sich an die Mutter eines verstorbenen Sohnes. Diese habe mit der Aids-Diagnose auch von der Homosexualität ihres Sohnes erfahren. Sie wollte mit der Bewältigung der Trauer nicht alleine bleiben und fragte, ob sie auch beim Names Project dabei sein konnte. Es gab aber auch Verstorbene, die keine Freund*innen und Angehörigen hatten. Auch für sie stellten die Aktivist*innen Tücher her. Ein weiterer Teil der Initiative ist es, die Öffentlichkeit für den Kampf gegen HIV und Aids zu sensibilisieren. Das erste Mal wurden die Tücher in der Wiener UNO City aufgelegt. Zu dieser und vielen anderen Veranstaltungen kamen viele Menschen. „Wir waren überrascht, dass so viele gekommen sind“, sagt Zika-Holoubek.

Auch wenn sich durch die Kombinationstherapie viel verändert hat, wird die Erinnerung an die vielen verstorbenen Menschen bis heute hochgehalten. So werden die Tücher anlässlich des Welt-Aids-Tages am 1. Dezember bei einem Fackelzug in der Wiener Innenstadt mitgetragen. Beim Aids-Memorial-Day im Mai versammeln sich Aktivist*innen, Freund*innen und Angehörige jedes Jahr beim Wiener Aids-Memorial. Dieses befindet sich bei der Wallfahrtskirche Maria Grün im zweiten Bezirk in der Nähe des Lusthauses im Wiener Prater.

Die Tücher werden von der HOSI Wien aufbewahrt. „Die HOSI Wien ist voll von jungen Menschen. Und ich freue mich, dass sie hinter dem Names Project stehen“, sagt Zika-Holoubek. Damit mache sie sich um die Zukunft des Projekts keine Sorgen.

Von Christian Höller

Christian Höller ist Psychotherapeut und hat eine Praxis in Wien.