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Community & Politik

Cherry Picking

Wir sollten uns nicht gegeneinander ausspielen lassen!

Nun ja. Nächstes Jahr gibt es ein Regebogenparaden-Jubiläum. Vielleicht jetzt schon ein guter Zeitpunkt mal nachzusehen, was da inzwischen passiert ist. Einiges hat sich bewegt, allerdings gibt es mancherorts noch massive Probleme. Zum einen das fehlende umfassende Diskriminierungsverbot, das Verbot von geschlechtszuweisenden Operationen an Babys und das Verbot von Konversionstherapien, wobei es hier ein Papier aus dem Gesundheitsministerium gab, wonach diese ohnehin schon nicht zulässig sind. Nur gesetzlich hat sich in all diesen Punkten nichts getan.

Auf der Spurensuche nach den Hintergründen laufen die Fäden doch immer an derselben Stelle zusammen: Gender. Das meint nicht Biologie, sondern vermeintlich von der Biologie abgeleitete soziale Erwartungen. (Ich wiederhole mich ungern: siehe Lambda #3/2020 S.35) Diese werden vor allem auf Frauen projiziert. Wäre es da nicht an der Zeit auch bei der Regenbogenparade ein Ausrufungszeichen zu setzten? Ich meine Ja. Wir sollten nicht nur der jahrelangen Unterstützung von und durch Frauen von queeren Gruppen gedenken und sie endlich würdigen. Wir sollten nicht nur die weiterhin bestehende Ungleichbehandlung von Frauen anprangern. Wir sollten uns als queere Gemeinschaft, so es diese überhaupt gibt, mit Frauen nicht nur solidarisieren, sondern uns mit ihnen identifizieren. Daher verlange ich als Motto für die Regenbogenparade 2026 schon jetzt!

„All WOMEN!“

Klar, ich höre sie schon. Wieder mal eine Trans, die die bessere Frau sein will. Die einfach keine Ahnung von der Lebensrealität und Geschichte von Frauen hat und sich aufschwingt das Fanal vor sich herzutreiben. Nun. Gender scheint der Fokus zu sein, vor dem so viele Angst haben. Und davon habe ich, bei allem Respekt, Ahnung und lange Erfahrung. Wem das nicht reicht, kann vielleicht bei Judith Butler in „Wer hat Angst vor Gender?“ Antworten darauf finden. Denn anscheinend setzt beim Thema Gender mit großer Sicherheit die Schnappatmung ein und der Verstand aus. Vielleicht auch, wenn eine Trans wie ich das Motto „All Women!“ ausruft.

Wir könnten natürlich auch das Motto entlang der 30er-60er Jahre nehmen. „All Gay“ (Alle Schwul) Damit haben wir allerdings keine guten Erfahrungen gemacht, auch wenn tatsächlich und ausdrücklich alle als schwul galten. Oder das Motto „We are Everywhere“ (Angelehnt an Publikationen zur Historie der queeren Bewegung 1997 und 2019), aber das wäre eine Kampfansage nach außen. Es geht mir aber um ein nach innen gerichtetes Motto.

Nun, ich meine es natürlich auch polemisch, aber es steckt mehr dahinter. Vielleicht können die Schwulen ja mal für ein Jahr ihre Schwänze wegpacken und sich auch mal ernsthaft solidarisieren. Solidarisieren mit den Menschen, von denen sie sehr viel Unterstützung erfahren haben, und mit den Menschen, die immer noch real massiv unter Diskriminierungen leiden. Eine etwas willkürliche Skala, wenngleich ein guter Indikator, wäre hier die anteilige Betroffenheit bei Partner*innengewalt. Nach Häufigkeit wären die Gruppen wie folgt gereiht: Trans und Nichtbinäre, Bisexuelle, Lesben, Schwule, cis-hetero Frauen, cis-hetero Männer. Die Daten verraten nicht, ob es sich bei schwulen Betroffenen um Effeminierte handelt. Klar bleibt aber: die meisten sind Frauen, egal ob afab oder amab! (assigned female/male at birth). Und ja! In absoluten Zahlen sind es immer noch Cis-Frauen (bisexuelle und Lesben werden in den Daten meist nicht getrennt ausgewiesen†).

Damit nicht genug: Bis zu 37% der Lesben und bisexuellen Frauen sterben einer Studie zufolge früher als straighte Frauen (Nurse Health Study II / McKetta et.al 2024).

Wozu das Ganze?

Braucht es diese Zuspitzung? Ich meine Ja. Das hat im Wesentlichen zwei Gründe:

Zum einen werden Frauenthemen bei der Regenbogenparade regelmäßig und systematisch untergebuttert. Da hilft es auch nicht, dass die Dykes on Bikes lange Zeit vorausgefahren sind. Eine Konzession, die ohnehin nur mit dem Wissen, dass das Männliche die Regenbogenparade bestimmt, möglich war. Wie komme ich darauf? Bei aller Nichtbinarität, die in den letzten Jahren sowohl bei der Regenbogenparade, wie auch bei der sogenannten Menschenrechtskonferenz Einzug gefunden hat, fehlen eindeutig klar weibliche Schwerpunkte. Mitnichten sind queere Frauen durch reine Cis-Hetero-Frauenorganisationen repräsentiert. Und das ist der große Denkfehler, der immer wieder sträflich begangen wird. Gleichbehandlung von Männern und Frauen greift unter Berücksichtigung von Gender grundlegend zu kurz. Das lässt sich auch schön an bestehenden Rechtsnormen, wie dem Gleichbehandlungsrecht erkennen, welches prinzipiell nur Frauen und Männer adressiert und zuletzt zumindest auf Bundesebene in die Jetztzeit gehoben wurde. Doch es gibt in Österreich über 30 Gleichbehand­lungs­gesetze und es ist jetzt mal bei dem einem geblieben.

Vielfalt! Queerness! Schön und gut! Aber einfach zu wenig!

Zum anderen ist eine Solidarisierung unter einem Dach dringend notwendig. Und warum nicht mal unter jenem der Frauen? Denn wir sollten uns nicht gegeneinander ausspielen lassen. Regenbogenparade schön und gut. Aber der eine Tag/Monat reicht einfach nicht und es kann nicht sein, dass abseits von Pride alles seinen (heteronormativen) cis-Gang weitergeht. Erfahrungen der letzten Zeit zeigen nicht nur Diskriminierungen bei Mietverträgen, sondern auch im täglichen Kund*innenkontakt, auch bei Unternehmen, die sich den Regenbogen aufgemalt haben.

Zwei Beispiele

• Eine Transfrau hat eine ECard ohne Foto und ihr wird ins Gesicht gesagt: Das ist nicht ihre Karte!

• Eine Transfrau ruft bei ihrer Bank an, bei der sie seit über 30 Jahren Kundin ist und es wird ihr gesagt: „Ich glaube nicht, dass Sie das sind“

Nur zwei Beispiele von vielen. Vielleicht sollte hier auch mal der VKI aktiviert werden und einen Schwerpunkt Gender beim VKI eingerichtet werden. Ganz ehrlich weiß ich nicht, ob Schwule und Lesben von solchen Vorfällen auch betroffen sind. In Boston/USA musste sich eine Lesbe jedenfalls „ausziehen“ um zu beweisen, dass sie ein Recht hatte auf eine Frauentoilette zu gehen. (CBS News 7.5.25) Vielleicht kommt das hier auch noch und daher ist es umso wichtiger gegenseitig solidarisch zu sein.

Cherry Picking

Und jetzt komme ich zum Punkt. Allen regenbogenfarbenen Bekenntnissen zum Trotz werden LGBTIN je nach Gruppe auch von „progressiven“ Unternehmen immer noch sehr unterschiedlich behandelt/diskriminiert, wie an den Beispielen zu sehen war. Vielleicht bräuchte es da auch ein mit verdeckten Kund*innenanfragen überprüftes Queerfriendly-Siegel statt eines plumpen Selbstbekenntnisses und nachgewiesener Schulungen des eigenen Personals. Es scheint so, als würde Toleranz oder gar Akzeptanz einer Farbe aus dem Regenbogen gegenüber manchmal wohl reichen um als queerfriendly zu gelten. Das kann es aber nicht sein. Selbst für die ÖVP und sogar die FPÖ (vielleicht auch für die NEOS?) sind Schwule und Lesben anscheinend schon normal. (Dominic Nepp im Wiener Gemeinderat) Es bleibt diese toxische Melange aus Dummheit und Bosheit dem Thema Gender gegenüber, die nur sehr schwer erträglich ist. Letzten Endes fällt das aber auch den nicht konformistischen Schwulen und Lesben auf den Kopf. Und queerfriendly würde mit Sicherheit bedeuten, dass wir willkommen sind (Kathrin Reisinger / an.schläge), doch diese Sicherheit sollte es für ausnahmslos alle LGBTIN geben!

Es muss Schluss sein mit dem Cherry-Picking und der Spaltung der LGBTIN von außen. We are one, we are everywhere, All Women!

Lambda

Doch auch innerhalb der “Community”, so es eine gibt, ist das Cherry-Picking wohl gang und gebe. Frei nach dem Motto: „Ich mach mir die Welt, so wie sie mir gefällt“ werden nicht nur gruppenübergreifend Menschen ausgeschlossen, sondern sogar gruppenintern. Eine Erfahrung, die vor allem viele Trans gemacht haben, indem ihnen zum Beispiel ihr Trans-Sein auch in Transgruppen abgesprochen wurde. Hier hat die Lambda in den letzten Jahren, für alle die es wissen wollten, einen großartigen Beitrag zur LGBTIN Kommunikation geleistet, indem unterschiedliche Positionen zur Sprache kommen konnten und eine Stimme erhielten. Es wäre vielleicht angedacht gewesen noch stärker einander widersprüchliche Positionen gegenüber zu stellen, doch dazu braucht es auch Autor*innen, die es aushalten in ein Pro/Contra gestellt zu werden. Ein wenig mehr Diskurs oder gepflegtes Streitgespräch wäre schon fein. Tatsächlich fehlt jedoch bis heute eine produktive Kommunikation zwischen unterschiedlichen Interessen. So gibt es bis heute kaum Auseinandersetzung darüber, was Coming-out persönlich und mit einer bestimmten Identität/Orientierung bedeutet und welche Konsequenzen dieses hat. (Für Lesben war es bis in die 2000er Jahre das berufliche Aus und ist es in manchen Branchen wohl heute noch) Dazu habe ich auch mal die Möglichkeiten eines analogen Ortes des Austausches diskutiert. Es liegt aber auch an der persönlichen Bereitschaft, sich mit anderen Lebensrealitäten zu konfrontieren und diese auch nah an sich ran zu lassen.

Gastautor*innen

Dafür ist die Bedeutung von Gastautor*innen unschätzbar und wichtig. Ich finde es großartig, dass sich doch immer wieder Gastautor*innen mit ihrer speziellen Perspektive und Expertise gewinnen lassen. Besonders bedanken möchte ich mich an dieser Stelle an Jona Moro und Noah Frank (Sprache), Florian Wibmer (Inkusion), Yvonne Laussermayer (Körper) und der Gleichbehandlungsanwaltschaft, weil es mit ihnen über die Artikel hinaus Austausch gab. Manchmal habe ich auch eigene Artikel zurückgezogen, um Platz für sie zu schaffen. Nun ist es aber grundsätzlich an der Zeit, den jüngeren, vielfältigen Stimmen Platz zu machen. Ich habe ja selbst spontan in einer 24-stündigen Aktion meinen ersten Artikel zu Kultur von Trans (Lambda #1/2020) geschrieben und ich möchte dazu ermutigen, selbst Artikel beizutragen. Vor allem durch die großartige Kooperation mit dem Lektorat war es eine tolle Erfahrung, an der sicher auch mein Schreibstil gewachsen ist. Ich hätte mir manchmal mehr Rückmeldung von der Leser*innenschaft gewünscht, aber das ist von einem kleinen analogen Medium, in dem viele sich doch nur das rauspicken, was ihnen am Nächsten ist, vielleicht zu viel erwartet.

Cherry Picking (aber anders)

Ich hatte nicht in jeder Ausgabe seit 2020 einen Artikel. Insofern habe ich auch ein Cherry Picking betrieben. Zu manchen Themen hätte ich einfach keinen konstruktiven Beitrag leisten können und manchmal auch nicht wollen. Ich werde dieses Cherry Picking nun weitertreiben und mich nur mehr beteiligen, wenn ich einen besonderen Artikel beitragen kann, oder wenn mir etwas besonders wichtig ist. Nachdem sich doch auch viele gute jüngere Autor*innen gefunden haben, wird es Zeit. Und was eignet sich besser, als eine Jubiläumsausgabe.

Gratulation zu 200 Lambdas

Liebes Redaktionsteam!

Danke für die intensive Zusammenarbeit und die großartige Zeit! Es war sicher nicht leicht, dieses kleine analoge Medium zu erhalten und ich wünsche euch alles Gute für die nächsten 200 Ausgaben!

Von Mia Mara Willuhn

Soziologin in Wien und seit Beginn der 1990er Jahre Transaktivistin. Sie hat 1992 die Selbsthilfegruppe für Trans in der Rosa-Lila-Villa mitbegründet, wie auch den Verein TransvestitIn 1994.