Rosa von Praunheim
Schön, dass „Satanische Sau“, das neue autobiographische Werk des Berliner Künstlers Rosa von Praunheim, der bei der Berlinale seit eh und je zu Hause ist, als bester Dokumentarfilm mit dem Teddy Award ausgezeichnet wurde. Der Teddy für den besten Spielfilm ging derweil an den australischen Beitrag „Lesbian Space Princess“ von Leela Varghese und Emma Hough Hobbs, die gemeinsam ihren Film auf der Berlinale vorstellten und viel Spaß im Teddy-Interview hatten. In dem farbenfroh und humorvoll animierten Beitrag geht es um eine Prinzessin, deren Freundin plötzlich mit ihr Schluss macht, weil diese ihre Partnerin als unerträglich liebesbedürftig bewertet. Aber nach einer Entführung muss die eine Frau die andere retten, und es wird alles anders. Das alles passiert im unendlichen Weltraum, in dem die Freundinnen mühelos durch die Atmosphäre schweben.
Praunheims Film ist nicht animiert, wirkt aber manchmal so, wenn die Schweinsmasken durchs Zimmer fliegen. Nicht, dass Praunheim etwas gegen Schweine hätte, aber mancher hat ihn wohl schon mal entsprechend beschimpft. „Aus der Perspektive von rechten Leuten wäre ich eine satanische Sau“, sagt Praunheim. Andererseits gibt er zu, dass „heutzutage“ alles „viel liberaler“ geworden sei und er solcherlei Anfeindungen eher nicht mehr erlebe. Und wiederum: „Wut ist was Schönes, und das wünsche ich allen“. Im selben Interview erzählt der heute 82-Jährige, dass ihm eine Astrologin vor ein paar Jahren geweissagt hätte, dass er kurz vor seinem 81. Geburtstag „sanft verscheiden“ werde. Daraufhin habe er sich „ein Grab gemietet“ und für einen Termin kurz vor seinem 81. Geburtstag seine eigene Beerdigung angesetzt. Niemand sei erschienen, er selbst übrigens auch nicht. Dem Tod stehe er jedenfalls positiv gegenüber: „Ich finde es wunderbar, zu sterben, es gibt ja Sex nach dem Tode.“
Was öffentliche Kritik an seiner eigenen Person und Arbeit angeht, ist diese fast verstummt. Zum einen ist da wohl die Angst, selbst geoutet werden zu können beziehungsweise die Ehrfurcht vor den Leistungen Praunheims. Und diese haben es in sich. Angefangen hat zumindest filmisch gesehen alles mit „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“ (1971), der zwar damals auf der Berlinale lief, aber dessen Fernsehausstrahlung anfangs unterbunden wurde. Zur gleichen Zeit etwa entstand auch „Die Bettwurst“ – in zehn Drehtagen mit Amateurschauspieler*innen (unter anderem seiner Tante) in sehr lustigem Format entstanden, das spätere Musical-Remake daraus, „Die Armee der Liebenden“ (1979) und sehr viel später „Rex Gildo – der letzte Tanz“ (2022). Äußerst unterhaltsam ist auch „König des Comics“ (2012) über den Zeichner Ralf König. Und es gibt viele weitere dokumentarische Titel, auch wenn sie nicht immer im schwulen Milieu angelegt sind: „Überleben in New York“ (1989), über drei deutsche Frauen und wie sie sich im Großstadtdschungel durchschlagen, dazu Jahrzehnte später so etwas wie die Fortsetzung: „New York Memories“ (2010) und dann so ähnlich nach Berlin versetzt: „Überleben in Neukölln“ (2017). Seelische Abgründe und Gewalt kommen bei Praunheim ebenfalls vor, so in „Darkroom“ (2019) über einen schwulen Serienmörder oder in „Härte“ (2015) über den ehemaligen Zuhälter und späteren Kampfsportler Andreas Marquardt. Herausragend gespielt wird darin die übergriffige Mutter von Katy Karrenbauer, die auch in „Satanische Sau“ dabei ist, und der prügelnde Marquardt von Hanno Koffler.
Der neue Film, sozusagen Praunheims Memoiren, in denen Armin Dallapiccola Praunheim in ausgewählten „satanischen“ Szenen verkörpert, spielt mit Gummisauköpfen und anderen kuriosen Relikten. Ansonsten erklärt sich das Spektakel selbst, wenn es so durch Praunheims Leben, Werken und Wirken schwebt, drastische Sprüche von Praunheim oder seinen Kritiker*innen einbaut, viel lüsternes Lachen und Schnaufen in vollgestopfter Wohnung zum Besten gibt.
Praunheim sagte bei der Berlinale, dass er hoffe, dass sich die Leute über den Film „ärgern werden“. Während des Teddy-Interviews wirkt er tatsächlich enttäuscht, als der Interviewer zugibt, dass ihm der Film „sehr gut gefallen“ habe. Reaktion: „Das ist ja ein schlechtes Zeichen.“ Dabei macht er ein bierernstes Gesicht und trommelt ungeduldig mit den Fingern auf der Sessellehne. Lieber wäre es ihm wohl gewesen, wenn das Publikum in allgemeines Entsetzen verfallen wäre. Aber nach 50 Jahren Filmarbeit hat sich selbst der Mainstream an seine unorthodoxe Art gewöhnt – wie auch an seine Provokationen, so dass diese kaum noch als solche wahrgenommen werden.
Der Film zeigt, dass Praunheim weiterhin viel Spaß an seiner Filmarbeit und an Auseinandersetzungen jeglicher Art hat. Er hat nichts von seinem Mut und seiner Entschlossenheit eingebüßt, sich immer wieder zu outen und sich mit eigenem Beispiel für eine diverse und menschliche Welt einzusetzen. Auch wenn das nicht immer so verstanden wurde. „Jeder Mensch ist vielseitig und kann stolz sein, auf das, was er tut“, sagt der Künstler dementsprechend – und bezieht sich selbst damit ein.