Kategorien
Gesundheit Schwerpunkt

Gay-Sundheit. Oder so.

Über Gesundheit soll ich schreiben – aber wie anfangen? Und wo aufhören? Da ich kein Medizinmann bin, gehen wir’s ganzheitlicher an. Und nicht so wissenschaftlich. Lassen wir einfach ein paar Aspekte Revue passieren.

Die Weltgesundheitsorganisation trifft in ihrer Verfassung von 1946 folgende Definition von Gesundheit: ‹„Die Gesundheit ist ein Zustand des vollstĂ€ndigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht nur das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen.“ Und: „Der Besitz des bestmöglichen Gesundheitszustandes bildet eines der Grundrechte jedes menschlichen Wesens, ohne Unterschied der Rasse, der Religion, der politischen Anschauung und der wirtschaftlichen oder sozialen Stellung.“

Klingt gut. Doch noch immer wird Gesundheit ĂŒber körperliche (allenfalls psychische) Krankheit definiert und bewertet. Die WHO selbst macht da keine Ausnahme.

HomosexualitÀt als Krankheit

Abartig, widernatĂŒrlich, sĂŒndhaft, kriminell 
 Bewertung von HomosexualitĂ€t ĂŒber Epochen und Kulturen. Im ausgehenden 19. Jh. nimmt sich die (Natur-)Wissenschaft des Themas an, sucht ErklĂ€rung fĂŒr ein PhĂ€nomen. Richard von Krafft-Ebing beschreibt in seiner „Psychopathia Sexualis“ (1886) HomosexualitĂ€t als angeborene Entwicklungsstörung; fĂŒr solche Perversion bzw. kontrĂ€rsexuelles Verhalten sind die Betroffenen nicht verantwortlich – folglich auch nicht zu bestrafen. Der Sexualwissenschaftler und Vorreiter der Bewegung Magnus Hirschfeld setzt sich fĂŒr Straffreiheit von HomosexualitĂ€t ein. Auch Freud und die Psychoanalyse befassen sich aus medizinischer Sicht damit. HomosexualitĂ€t wird so aber auch pathologisiert. Was als emanzipatorischer Akt gedacht war, schafft – nach SĂŒnde und Verbrechen – eine neue diskriminierende Kategorie: Krankheit. Ist mithin behandelbar, heilbar, therapierbar. Dass MĂ€nnern bei all dem mehr Beachtung geschenkt wird als Frauen – wen wun­dert’s?

Von Psychotherapie ĂŒber Elektroschock bis hin zu Lobotomie (gehirnchirurgische Eingriffe) im NS-Regime reichen die Behandlungsmethoden. VerschĂ€rfung durch die Ansicht, HomosexualitĂ€t sei nicht nur krankhaft, sie mache auch krank. „Betroffene“ zeigen vermehrt neurotische Symptome, neigen stĂ€rker zu Suizid etcetc.

Im Film „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“ (1971) beschreibt Rosa von Praunheim, worum es geht. Krank machen allenfalls die politischen, gesellschaftlichen, sozialen Rahmenbedingungen. Psychische SchĂ€digungen sind Ergebnis von Diskriminierung, von Verurteilung, von Heilungsversuchen – damals bereits klare Erkenntnis der Sexualwissenschaft und Erfahrung aus der konkreten Arbeit. An die Beratungen in den Anfangsjahren der HOSI Wien denkend: Coming Out ist mit Angst verbunden; Selbstzweifel ĂŒber „NormalitĂ€t“ ist das Thema; Sozialer Druck lastet schwer.

Dennoch wird munter weitergeheilt, experimentiert. Oft unter Berufung auf die WHO, die (bis zum Inkrafttreten des ICD10 1992) in ihrem DiagnoseschlĂŒssel HomosexualitĂ€t weiter als Krankheit fĂŒhrt. Psychisches und Soziales Wohlergehen? Schmecks!

Noch heute in vielen Köpfen: Schwule sind und verhalten sich nicht normal, also pervers, also krank. Lesben eh auch irgendwie, aber das ist nicht so dramatisch. Wie auch, wenn sich weibliche SexualitĂ€t ĂŒber den Mann definiert?

Schwule als Krankheitsverbreiter

1. Mai-Aufmarsch 1991

Lesbisch/schwule Emanzipationsbewegung. Langsam verÀndert sich was; bei uns hat die HOSI Wien einen erheblichen Anteil daran. Und dann passiert: AIDS.

Anfang der 1980er Jahre. Eine neue Krankheit wird beschrieben, hat offenbar mit dem Immunsystem zu tun und betrifft – so die Bad News aus den USA – vor allem Schwule. Jedenfalls in der „westlichen Welt“. Flugs ist ein „passender“ Name gefunden: GRID – Gay Related Immuno Deficiency (New York Times, 1982). „Schwulenseuche“ hört man bei uns. Endlich wieder SĂŒndenböcke fĂŒr eine Heimsuchung. So wie im antiken Rom zeitweise Homosexuelle fĂŒr die Heuschreckenplage verantwortlich gemacht wurden. Rasch ist klar: ein „epidemiologischer Zufall“. In weiten Teilen Afrikas sind MĂ€nner und Frauen gleichermaßen betroffen; in sĂŒdlichen und östlichen Gefilden vor allem IV-DrogenabhĂ€ngige; ĂŒberall auf der Welt Bluter. Der Name verschwindet bald und wird durch „AIDS“ ersetzt. Das Stigma aber bleibt.

HomosexualitĂ€t ist nicht nur krank (wir erinnern uns: Perversion/Störung) und macht krank (wir erinnern uns: Neurosen, Suizid). Sie ist jetzt auch verantwortlich fĂŒr die neue Krankheit. Wasser auf die MĂŒhlen reaktionĂ€rer Politik (GefĂ€hrdung der Volksgesundheit – DIE fordern Akzeptanz und Rechte fĂŒr sich ein?), verbissener Moralisten (kein Wunder, bei DEM Lebenswandel), militanter religiöser Eiferer (Strafe Gottes). Ich erinnere mich: Beerdigung, bei der sich der Pfarrer nicht entblödet, ĂŒber Schwule herzuziehen; Diskussionen mit dem unsĂ€glichen Bischof Laun, der die Heilung homosexueller Menschen beschwört; WortmĂŒll konservativer PolitikerInnen, wenn es um die Finanzierung der AIDS-Hilfe geht. Ausgrenzung, Diskriminierung, soziale Isolation feiern in den 80er und Anfang der 90er Jahre fröhliche UrstĂ€nd’; von manchen Medien lustvoll zelebriert. Psychisches und soziales Wohlbefinden?

Act-Up Aktion bei der Pressekonferenz des damaligen BĂŒrgermeisters Helmut Zilk (Mitte) und Gesundheitsstadtrat Sepp Rieder (rechts) vom 19.3.1991

„Sozialer Tod“ ist der Begriff. FĂŒr Betroffene oft schlimmer als die biologisch-gesundheitliche Bedrohung; in der Forschung, immerhin, gibt es Fortschritte. Medizinische Beratung ist eine Sache. Psychosoziale Begleitung zur ganzheitlichen „Gesundung“ ein langwieriger Prozess.

Aperçu am Rande: Im Zusammenhang mit AIDS stehen schwule MĂ€nner im Focus. Und es gibt tatsĂ€chlich Frauen, die darin eine massive Diskriminierung von Lesben sehen; weil sie nicht vorkommen. Damals wie heute entringt sich mir dazu ein vermutlich politisch völlig unkorrektes „ÄÀhhmm 
“

Manderl, Weiberl und soweiter

Damit das klar ist: ĂŒber das binĂ€re Geschlechter-Modell lĂ€sst sich trefflich diskutieren. GlĂŒcklicherweise hat sich bei der Sicht auf das Thema Trans-SexualitĂ€t/Transgender einiges geĂ€ndert. Im ICD10 der WHO immer noch als bestimmte Störung der GeschlechtsidentitĂ€t ausgewiesen; wird mit dem ICD11 demnĂ€chst auch Geschichte sein. Das „Diagnostische Handbuch der Amerikanischen Psychiatrischen Gesellschaft“ (aktuell DSM-5, „Geschlechtsdysphorie“) sieht explizit vor, dass die Geschlechtsrolle auch außerhalb der Zweigeschlechtlichkeit liegen kann.

Auch rechtlich verÀndert sich manches in den letzten Jahren, z.B. offizielle Anerkennung als das psychische/erlebte Geschlecht ohne erzwungene geschlechtsangleichende Operation.

IntersexualitĂ€t ist ein anderes Thema. Endlich gibt es auch bei uns die Möglichkeit einer dritten Option als Geschlechtseintrag (neben „mĂ€nnlich“ und „weiblich“). Nicht weil die Politik es so will, sondern weil Verfassung bzw. Menschenrechtskonvention es verlangen. Aber immerhin.

Erleichterung, Respekt fĂŒr manche betroffene Person und somit ein Beitrag zur psychischen und sozialen Gesundheit.

Das Argument, auch in anderen Kulturen gĂ€be es mehrere Geschlechter (z.B. fĂŒnf bei indianischen oder indonesischen StĂ€mmen) in Ehren. Aber ĂŒberall dort gibt es auch MĂ€nner und Frauen, ganz ohne Biologie geht es doch nicht. Geschlecht als gesellschaftliches Konstrukt betrifft die soziale Komponente. Funktionierende KeimdrĂŒsen sind halt auch RealitĂ€t.

„Ich bin ein Mensch und liebe Menschen“ – ja eh. Aber zu tun, als wĂ€re alles ganz egal, hilft nicht. Beratungserfahrung aus Jahrzehnten: Menschen, die auf der Suche nach ihrer (sexuellen, geschlechtlichen) IdentitĂ€t sind, wollen wo dazu gehören. DiversitĂ€t ist ja schön, aber Zusatz-Verunsicherung? Alles egal? 60 Geschlechter? Solch Verwirrung befördert nicht das psychische Wohlbefinden. Darf ich nicht mehr einfach schwul sein? Mich als Frau fĂŒhlen? Und die Idee, damit mehr Toleranz in der Gesellschaft zu erzielen – die geht nicht auf. Ich beobachte das Gegenteil: man kennt sich noch weniger aus, schiebt noch mehr zur Seite, macht zu. Sozialer Aspekt der Gesundheit? Drastisch formuliert: ein Rohrkrepierer.

Politischer Diskurs – gut! Im Persönlichen gilt: Toleranz ist keine Einbahnstraße.

Zuguter(?)letzt – Corona

Was das mit Gesundheit und LGBTIQ zu tun hat? Klar, COVID-19 ist nicht ungefĂ€hrlich. Medizinisches Problem. Ausgrenzung und Isolierung vor allem alter und behinderter Menschen. Ein soziales Problem. Weil Ausgrenzung IMMER die Gesundheit schĂ€digt! Aber ich höre und lese: die LGBTIQ Community ist ganz besonders von Corona betroffen. Wie bitte? Abstands- und Hygieneregeln gelten fĂŒr alle, soziale, gesellschaftliche, kulturelle Möglichkeiten sind fĂŒr alle gleich eingeschrĂ€nkt. Das Coming out wird erschwert? PartnerInnensuche auch? Weil es sonst und fĂŒr alle anderen so einfach ist? Sorry, ich versteh da was nicht, bitte um AufklĂ€rung!

Oder sollten wir Lust an Zusatzproblemen und Sonderbehandlung haben? Weil womöglich das Wohlbefinden zu groß wird? Ganz ehrlich: Das halt’ ich nicht fĂŒr g’sund! λ

Von Dieter Schmutzer

Germanist, Lebensberater, SexualpÀdagoge, Kommunikationstrainer
Foto: © Fotostudio Schreiner