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Darf man das überhaupt?

Queer und behindert?

Vorweg: definitiv. Leider ist jedoch das Vorurteil ziemlich weit verbreitet, bei dem unterstellt wird, Menschen mit Behinderungen hätten keine Sexualität. Dass sie dann zusätzlich noch eine sexuelle Orientierung hätten, sprengt so manche Vorstellungskraft. So manches Coming-out war daher sicherlich für manche Menschen ein einschneidendes Erlebnis. Es gibt Berichte laut denen Menschen mit Behinderungen, die in Heimen untergebracht oder in Betreuung sind, oftmals keine Sexualität ausleben dürfen – es wird schlicht unterdrückt. Manche von ihnen werden daran gehindert gar eine Partnerschaft zu führen oder eine Familie zu gründen. Die Wiener Antidiskriminierungsstelle für LGBTIQ-Angelegenheiten hat diese und andere Umstände in einer Fachkonferenz 2017 im Wiener Rathaus thematisiert.

Dabei dürfte nach den geltenden Rechten das gar nicht so sein, denn die Würde und die gleichen Rechte der Menschen sind unantastbar. So ist dies etwa in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verbrieft. Mehr sogar, die österreichische Bundesverfassung geht in Artikel 7, Abs. 1, von einer Gleichheit vor dem Gesetz aus:

„Alle Staatsbürger sind vor dem Gesetz gleich. Vorrechte der Geburt, des Geschlechtes, des Standes, der Klasse und des Bekenntnisses sind ausgeschlossen. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Die Republik (Bund, Länder und Gemeinden) bekennt sich dazu, die Gleichbehandlung von behinderten und nichtbehinderten Menschen in allen Bereichen des täglichen Lebens zu gewährleisten“

Es ist anzunehmen, dass der Gesetzgeber tatsächlich dabei alle Staatsbürger meint, denn in der Aufzählung fehlt der Begriff „sexuelle Orientierung“. Vergeblich sucht man auch etwa den Diskriminierungsschutz beim Zugang zu Gütern und Dienstleistungen (Stichwort levelling-up).

Wenn man die Perspektive von Menschen mit Behinderungen wählt, so wird man feststellen müssen, dass sie in Österreich nach wie vor in vielen Lebensbereichen exkludiert werden, etwa durch das Festhalten am System „Sonderschule“ oder den „Geschützten Werkstätten“. Dies steht im Widerspruch zu jenen Artikeln der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, die die gleichberechtigte Teilhabe der Menschen mit Behinderung einfordert. Die Konvention hat übrigens in Artikel 1 eine praktikable Definition von Behinderung:

„Zu den Menschen mit Behinderungen zählen Menschen, die langfristige körperliche, psychische, intellektuelle oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen und wirksamen Teilhabe, gleichberechtigt mit anderen, an der Gesellschaft hindern können.“

Im Fokus steht also nicht so sehr die Beeinträchtigung einer Person, sondern vielmehr der Ausschluss oder die Ausgrenzung aus (allen) Lebensbereichen. Das entspricht ganz dem Motto der Behindertenbewegung: „Nicht ich bin behindert, ich werde behindert“. Gerade diese Ausgrenzung in verschiedenen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens ist für viele Menschen mit Behinderungen belastend.

In der Tat ist es eine bewusste (gesellschaftspolitische) Entscheidung, ob man einen exklusiven (nicht positiv gemeint) oder inklusiven Weg geht, etwa, wenn Züge barrierefrei konzipiert werden, oder wenn Filme in Kinos mit Untertitel gezeigt werden würden. Letzteres ist kaum der Fall – Blockbuster werden in den österreichischen Kinos kaum untertitelt (die Angst, dies würde die hörende Mehrheit stören, überwiegt). Während es oft zum „gay life“ gehört, irgendwelche Musicalfilme gemeinsam anzusehen, wird es für queere schwerhörige Menschen eng. Nun denn, eine Möglichkeit zur gemeinsamen Freizeitgestaltung weniger. Apropos „gay life“: Das Zusammensitzen in einer Gruppe ist kommunikativ mitunter nicht leicht. Während es selbstverständlich ist, in einer Gruppe, weil jemand etwa der Landessprache nicht mächtig ist, in die englische Sprache zu wechseln, käme kaum jemand auf die Idee, Gebärdensprache anzuwenden, wenn ein gehörloser oder schwerhöriger Mensch dabei ist. Es gibt einen feinen Unterschied zwischen Sprache und Kommunikation. Ergo, Menschen mit Behinderungen müssen sich schon mal mehr anstrengen, um beim gleichen „life“ dabei sein zu können. Ein anderer Erfahrungsbericht: Versuchen Sie mal ein Café mit barrierefreiem WC zu finden, oder gar eine Party zu machen! Das ist eine echte Challenge.

Queere Menschen mit Behinderungen dürfen in ihrem Leben mit mehreren Herausforderungen rechnen. Nebst dem Kampf gegen unzählige Barrieren, das Durchsetzen in einer nicht allzu behindertenfreundlichen Umgebung, darf man sich darüber hinaus auch mit allen möglichen Phänomenen aus der LGBTIQ-Ecke beschäftigen. Oftmals ist es sogar gestattet, sowohl in der einen als auch in der anderen Community mit Vorurteilen aufzuräumen.

Wer von echter Inklusion spricht, sollte dies auch meinen. Leider hat man das Wort Inklusion ein wenig falsch interpretiert und wollte sogar eine „Inklusion für ein paar Wenige“. Das wäre aber dann Integration. Jenes Modell also, wo nur ein paar mitspielen dürfen, die es vielleicht schaffen könnten.

Dadurch, dass in Österreich schon von der Schule an Menschen mit Behinderungen von Menschen ohne Behinderung segregiert werden, ist auch die Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit nicht gegeben. Schade, denn würden wir mehr voneinander wissen, würde unser Zusammenleben vielleicht etwas anders aussehen.

Von Florian Wibmer

Florian Wibmer ist Referent bei der Wiener Antidiskriminierungsstelle für gleichgeschlechtliche und transgender Lebensweisen. Zuvor hat er Geschichte an der Universität Wien studiert und war einige Jahre Vorsitzender des Vereins Österreichischer Gehörloser Studierender sowie im Monitoringausschuss zur Überwachung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen aktiv. (Foto: © Rene Gschnaidtner)