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Queer und behindert

Mehrfachdiskriminierung und HĂŒrden bei der Rechtsdurchsetzung

2024 veröffentlichte die EuropĂ€ische Grundrechteagentur FRA eine Studie, in der 100.000 LGBTIQ-Personen aus 30 europĂ€ischen LĂ€ndern zu ihren Diskriminierungserfahrungen befragt wurden. Die Befragten berichteten aber nicht nur von queerfeindlichen Diskriminierungen (in Österreich 38%), sondern auch von Ungleichbehandlungen aufgrund von anderen Merkmalen wie Herkunft oder Behinderung. Das ist auch nicht ĂŒberraschend, denn Menschen sind nicht eindimensional, sondern haben unterschiedliche IdentitĂ€tsanteile. Sie erfahren entlang mehrerer Kategorisierungen bestimmte Zuschreibungen, und diese korrelieren auch oft mit unterschiedlichen gesellschaftlichen Positionierungen. VerschrĂ€nken sich mehrere Diskriminierungskategorien im Sinne einer intersektionalen oder einer mehrfachen Diskriminierung, können Menschen in besonders vulnerable Positionen gebracht werden.

In diesem Artikel sehen wir uns an, wie das Antidiskriminierungsrecht diesen Umstand reflektiert und ob es Personen schĂŒtzt, die sowohl aufgrund einer Behinderung als auch aufgrund der sexuellen Orientierung bzw. des Geschlechts – also mehrfach – diskriminiert werden. Denn wĂ€hrend Mehrfachdiskriminierung zwar in den Gesetzen als Begriff vorkommt, fĂŒhren gesetzliche SchutzlĂŒcken sowie die zersplitterte Rechtslage durchaus zu HĂŒrden im Zugang zum Recht.

Queere Menschen sind in Österreich gegen Diskriminierungen aufgrund der sexuellen Orientierung und des Geschlechts gesetzlich geschĂŒtzt. Geschlecht umfasst auch Trans- und Intergeschlechtlichkeit und nach der Ansicht vieler Expert*innen auch GeschlechtsidentitĂ€t – etwa von nicht binĂ€ren Personen –, Geschlechtsausdruck und -merkmale (hier fehlt es allerdings noch an Rechtsprechung zum Antidiskriminierungsrecht). WĂ€hrend fĂŒr Geschlecht ein weiter gesetzlicher Schutz gilt, nĂ€mlich sowohl in der Arbeitswelt als auch beim Zugang zu GĂŒtern und Dienstleistungen, ist sexuelle Orientierung nur in der Arbeitswelt geschĂŒtzt. Beim Zugang zu GĂŒtern und Dienstleistungen hingegen „darf“ in der Privatwirtschaft grundsĂ€tzlich aufgrund der sexuellen Orientierung diskriminiert werden, also beispielsweise der Einlass in ein Lokal oder das Anmieten einer Wohnung verweigert werden – dieser fehlende Schutz wird seit Jahren unter dem Stichwort „fehlendes Levelling-up“ diskutiert.

Diskriminierungen aufgrund der Behinderung sind ebenso breit verboten, nĂ€mlich sowohl in der Arbeitswelt (Behinderteneinstellungsgesetz BEinstG und LĂ€ndergesetze), als auch beim Zugang zu GĂŒtern und Dienstleistungen (Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz BGStG und LĂ€ndergesetze).

Es besteht also eine gesetzliche SchutzlĂŒcke fĂŒr queere Menschen, die eine Mehrfachdiskriminierung aufgrund ihrer Behinderung und ihrer sexuellen Orientierung im Bereich Dienstleistungszugang erfahren.

Aber auch der Rechtsdurchsetzungsweg gestaltet sich je nach Diskriminierungsgrund uneinheitlich: Will eine Person eine Diskriminierung aufgrund des Gleichbehandlungsgesetzes (GlBG), also z. B. aufgrund der sexuellen Orientierung oder der GeschlechtsidentitĂ€t, geltend machen, hat sie zwei Möglichkeiten: Entweder sie klagt die diskriminierende Person bzw. das diskriminierende Unternehmen und fordert dabei – in den meisten FĂ€llen – Schadenersatz. Oder sie wendet sich optional zunĂ€chst an die Gleichbehandlungskommission. Diese beim Bundeskanzleramt eingerichtete Stelle prĂŒft (kostenlos), ob aus ihrer Sicht eine Diskriminierung vorliegt. Das PrĂŒfergebnis kann in einem nĂ€chsten Schritt bei einer Klage vor Gericht vorgelegt werden, und das Gericht muss sich mit dem PrĂŒfergebnis auseinandersetzen. Zur Beratung und UnterstĂŒtzung stehen NGOs – viele davon im Mitgliedernetzwerk des Klagsverbands – und die Gleichbehandlungsanwaltschaft (GAW) zur VerfĂŒgung.

Auch bei Diskriminierungen aufgrund einer Behinderung empfiehlt sich vorab eine Beratung, wobei hier neben NGOs die BehindertenanwÀltin zustÀndig ist. Der Schritt der Rechtsdurchsetzung sieht bei Diskriminierungen aufgrund einer Behinderung jedoch anders aus: BEinstG und BGStG sehen vor einer allfÀlligen Klage verpflichtend ein Schlichtungsverfahren beim Sozialministeriumsservice vor. Das bedeutet, dass die betroffene Person versuchen muss, sich mit der diskriminierenden Person bzw. dem diskriminierenden Unternehmen in einem SchlichtungsgesprÀch zu einigen. Wenn sich die beiden Seiten einigen, kann keine Klage mehr eingebracht werden. Nur wenn die Schlichtung scheitert, steht den Betroffenen noch der Klagsweg offen.

Was passiert aber, wenn eine Person eine Diskriminierung aufgrund mehrerer GrĂŒnde geltend machen will, also Behinderung UND Geschlecht oder Behinderung UND sexuelle Orientierung? Beispielsweise hat die Person eine diskriminierende Beschimpfung oder Mobbingsituation erlebt. Das kann eine rechtlich relevante BelĂ€stigung darstellen. Antidiskriminierungsrechtlich fallen darunter alle Verhaltensweisen, die die WĂŒrde der betroffenen Person verletzen (können), fĂŒr die Person unerwĂŒnscht sind und ein einschĂŒchterndes, feindseliges, entwĂŒrdigendes, beleidigendes oder demĂŒtigendes Umfeld schaffen. Je nach betroffenem Merkmal sind diese BelĂ€stigungsverbote aber in verschiedenen Gesetzen geregelt. Es kann sich daher im Fall einer solchen Mehrfachdiskriminierung bereits im Beratungsprozess die Notwendigkeit ergeben, sich an verschiedene Einrichtungen (zum Beispiel BehindertenanwĂ€ltin und GAW) zu wenden. Eine gute Kooperation – wie sie auch der Klagsverband mit seinem Netzwerk zu unterstĂŒtzen versucht – ist dabei unerlĂ€sslich. Ist Behinderung einer der mitbetroffenen DiskriminierungsgrĂŒnde, muss vor einem Gerichtsverfahren verpflichtend ein Schlichtungsversuch unternommen werden. Das kann gerade bei BelĂ€stigungssituationen in Mehrfachdiskriminierungskonstellationen besonders belastend fĂŒr die Betroffenen sein, da ja bei der Schlichtung grundsĂ€tzlich eine Einigung erzielt werden soll. Zudem sind Schlichtungsreferent*innen hauptsĂ€chlich auf den Diskriminierungsgrund Behinderung geschult und haben womöglich wenig Wissen und SensibilitĂ€t bezĂŒglich anderer Diskriminierungsmerkmale.

Gerichtlich kann eine diskriminierungsbetroffene Person in den meisten FĂ€llen nicht die tatsĂ€chliche Gleichbehandlung oder die Beseitigung der Diskriminierung einklagen, sondern in erster Linie einen sogenannten immateriellen Schadenersatz fĂŒr die „erlittene persönliche BeeintrĂ€chtigung“. Wenn sich eine Klage auf mehrere DiskriminierungsgrĂŒnde stĂŒtzt, also Schadenersatz wegen Mehrfachdiskriminierung eingeklagt wird, muss das Gericht nach den Antidiskriminierungsgesetzen die Mehrfachdiskriminierung bei der Bemessung der Schadenshöhe berĂŒcksichtigen. Das bedeutet, dass in diesen FĂ€llen ein höherer Schadenersatz zugesprochen werden kann als bei „einfacher“ Diskriminierung. Eine Anerkennung der Mehrfachdiskriminierung durch das Gesetz auf dieser Ebene ist wichtig. Aus Erfahrung des Klagsverbands entsprechen die zugesprochenen SchadenersatzbetrĂ€ge fĂŒr erlebte Diskriminierungen aber leider ganz generell nur partiell den gesetzlichen Vorgaben, tatsĂ€chlich wirksam, verhĂ€ltnismĂ€ĂŸig und abschreckend zu sein.

Um dem Zusammenwirken von DiskriminierungsgrĂŒnden gerecht zu werden, braucht es fĂŒr die Betroffenen Gesetze, die diese RealitĂ€ten abbilden. Neben effektiveren Rechtsdurchsetzungsmöglichkeiten könnte auch eine gesetzliche Definition von intersektionaler bzw. Mehrfachdiskriminierung zur Sichtbarkeit und Rechtssicherheit beitragen – fĂŒr Diskriminierungsbetroffene und fĂŒr Rechtsanwender*innen wie z.B. Richter*innen. Zudem braucht es gute Beratung, die Betroffene in ihren multidimensionalen Diskriminierungserfahrungen ernst nimmt und mit ihnen gemeinsam Handlungsmöglichkeiten entwickelt. Ein guter Austausch zwischen verschiedenen Beratungsstellen ist dafĂŒr eine wichtige Basis. Der Klagsverband arbeitet daher kontinuierlich daran, seine Mitgliedsorganisationen zu vernetzen, um voneinander zu lernen und das VerstĂ€ndnis von unterschiedlichen Diskriminierungsdimensionen und ihrem Zusammenwirken zu erweitern und zu vertiefen.

Susanne Kimm
Juristische Mitarbeiterin fĂŒr Rechtsberatung und Rechtsdurchsetzung

Theresa Hammer
GeschĂ€ftsfĂŒhrerin und Leiterin der Rechtsberatung und Rechtsdurchsetzung

Klagsverband
www.klagsverband.at

Von Gastautor*in

Unter diesem Tag versammeln sich verschiedene Gastautor*innen der Lambda.