Na und?
Doppelte Diskriminierung als schwuler Behinderter? Schwer zu beantworten. Aber beginnen wir einmal so:
13.11.2013, New York: Der Tag, der mein Leben verĂ€nderte. Ich war, kurz nach meinem 60. Geburtstag, eben von einem ganztĂ€gigen Seminar an der Brooklyner Pratt-Uni ins Hotel in Manhattan zurĂŒckgekehrt, begann meinen Koffer fĂŒr die am nĂ€chsten Tag geplante Bahnfahrt nach Washington zu packen, wo ich an der österreichischen Botschaft ein weiteres Seminar leiten sollte. Dann ging ich ins Bad und â vermeintlich â zu Bett ⊠Doch als ich aufwachte, lag ich in einem Krankenhauszimmer nach einer, wie ich spĂ€ter erfuhr, Gehirnoperation, denn man hatte mich nach ca. 12 Stunden bewusstlos auf dem Boden des Hotelzimmers gefunden. Mein Lebenspartner Werner, den ich eigentlich in Wien vermutete â er war sofort nach Erhalt der schrecklichen Nachricht nach New York geflogen und hatte sein EinverstĂ€ndnis zu meiner OP gegeben â stand zu meinem Erstaunen neben dem Krankenhausbett und flĂŒsterte mir zu: Du hast einen Schlaganfall gehabt. Wir schaffen das gemeinsam. Erst spĂ€ter sagte man mir, dass ein Schlaganfall innerhalb einer Stunde behandelt werden mĂŒsse, um stĂ€rkere bleibende SchĂ€den zu verhindern. Bei mir hatte es insgesamt fast 24 Stunden gedauert, weil das private Krankenhaus, wohl um die Bezahlung durch die Versicherung zu klĂ€ren, mit der OP weitere 12 Stunden zugewartet hatte; amerikanisches Gesundheitssystem eben, Geld geht vor Gesundheit; die Kosten betrugen dann schlanke 300.000 Dollar …. âWir schaffen das gemeinsamâ- das beruhigte mich vorerst. Es konnte ja jetzt nur mehr bergauf gehen.
Und tatsĂ€chlich, wir schafften das: Ambulanzflug nach Wien, neun Monate im Otto Wagner-Spital (heute Klinik Penzing, erstaunlich gut und beinahe angenehm; von Diskriminierung keine Spur), dann ein paar Monate im Neurologischen Zentrum RosenhĂŒgel (weniger gut und angenehm), Wohnungsumbau und seither immer noch regelmĂ€Ăige Therapien. Aber auch ein zunehmend normales Leben mit Reisen, Besuchen bei Freunden, Theater- und Konzertabenden, Ausstellungsbesuchen etc. SchlieĂlich begann ich auch wieder im Homeworking zu arbeiten, wobei mir mein Arbeitgeber, die Stadt Wien, sehr entgegenkam.
Freilich begannen dann auch die MĂŒhen des Alltags. Wien ist zwar in allen öffentlichen Einrichtungen â öffentlicher Verkehr, Museen, AmtshĂ€user, Theater- und KonzerthĂ€user etc. â vorbildlich barrierefrei, an privaten Orten- Ă€ltere WohnhĂ€user, GeschĂ€fte, Restaurants u.a. aber noch weit von Barrierefreiheit entfernt. Da geht es nicht ohne Hilfe, auch wenn ein GroĂteil der Bevölkerung sich als rĂŒcksichtsvoll und â oft sogar zu â hilfsbereit erweist.
Problematisch erscheint mir die Einstellung der Stadtplanung, die offenbar primĂ€r von jungen Menschen ohne MobilitĂ€tseinschrĂ€nkung ausgeht. Nicht jeder kann sich aufs Rad schwingen, und auf dem Gehsteig oder durch FuĂgĂ€ngerzonen rasende FahrrĂ€der oder E-Roller stellen fĂŒr Behinderte und Ă€ltere Menschen nun einmal eine Gefahr dar; aus dem gleichen Grund meide ich Begegnungszonen wie auf der MariahilferstraĂe.
Nun sind das natĂŒrlich EinschrĂ€nkungen, die alle, nicht nur queere Behinderte treffen. Ob sich die schwule Subkultur mit ihrem Jugend- und Fitnesskult gegenĂŒber Behinderten zusĂ€tzlich diskriminierend verhĂ€lt, kann ich nicht beurteilen.
Auch amĂŒsante Situationen gab und gibt es: âGlaubens, will der Papa a Suppn?â fragte eine Kellnerin meinen Lebenspartner im Rehabilitationszentrum. Immer wieder gab es solche Momente. Wer im Rollstuhl sitzt, ist wohl zwangslĂ€ufig alt und hilflos oder auch schwerhörig! Und wenn zwei Ă€ltere MĂ€nner gemeinsam erscheinen, muss wohl einer der âPapaâ sein ⊠Aber damit lernten wir umzugehen. FĂŒr die Mehrheit der Menschen, so erfuhr ich, stellt meine Situation â offen gelebtes Schwulsein ebenso wie physische Behinderung â kein Problem dar.
Fazit: Ob man sich als schwuler Behinderter diskriminiert oder gar doppelt benachteiligt fĂŒhlt, hĂ€ngt wohl primĂ€r vom eigenen Verhalten ab â von der SelbstverstĂ€ndlichkeit, mit der man der Umwelt in beiderlei Hinsicht begegnet.
Ich hatte freilich auch GlĂŒck. Zwar bin ich durch die SchĂ€digung des Gehirns halbseitig gelĂ€hmt und daher auf einen Rollstuhl angewiesen und zugleich sprechtechnisch behindert, doch wurden meine Sprach- und GedĂ€chtniszentren nicht zerstört. Auch habe ich neben meinem groĂartigen Partner, der fĂŒr mich sein eigenes Leben weitgehend umgestellt hat, zwei persönliche Assistenten, die mich im Alltag unterstĂŒtzen, bereitgestellt von der vorbildlichen Wiener Assistenzgenossenschaft (WAG) und finanziert vom Fonds Soziales Wien (FSW), beide sympathische, engagierte und gutaussehende junge (Hetero-)MĂ€nner, beide offen und â im positiven Sinn â neugierig. Und wenn sie mich fragen, wie es mir als behindertem Schwulen geht, kann ich ehrlich antworten: Gut!
Wolfgang Förster
geb. 1953 in Wien, Architekt, grĂŒndete 1979 trotz gesetzlichen Verbots die HOSI, durch die er auch seinen Lebenspartner Werner Taibon kennenlernte, mit dem er seit 45 Jahren zusammenlebt â seit 2010 in eingetragener Partnerschaft. Im Jahr 2013 erlitt er wĂ€hrend einer beruflichen Reise in New York einen schweren Schlaganfall, der zu einer halbseitigen LĂ€hmung und einer Sprechstörung fĂŒhrte. Seither benĂŒtzt er auĂerhalb der Wohnung einen Rollstuhl. Der LGBTIQâ- Bewegung fĂŒhlt sich Wolfgang Förster immer noch verbunden, auch wenn sie heute unter ganz anderen Bedingungen agieren kann als zum Zeitpunkt ihrer GrĂŒndung.