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Bei 3,9 Grad Celsius Glückshormone ausschütten

„Wer mit Eisschwimmen anfangen will, soll es nicht alleine machen, zu Beginn kürzere Strecken schwimmen und immer auf die Sicherheit achten, weil es nicht nur gefährlicher Extremsport ist, sondern auch im Kopf eine gewisse Sicherheit gibt, um besser durchzuhalten“, sagt Yasmine Pliessnig. Sie hat an zwei Weltmeisterschaften, WM, teilgenommen und ist fünffache nationale Meisterin im Eisschwimmen.

Die 23-jährige ist in Wien aufgewachsen und hat vor eineinhalb Jahren die Abendschule der Höheren Technischen Lehranstalt, HTL, im Bereich Bautechnik, mit Matura abgeschlossen. Seit Oktober 2019 lebt sie in der deutschen Stadt Hamburg, wo sie während ihres freiwilligen sozialen Jahres bei der Wasserrettung auch den Bootsführerschein macht, was in Österreich nicht möglich ist. Während des Corona-Lockdowns hilft sie dort im Testzentrum mit. Bei der Wasserrettung macht sie ihren Rettungsdienst an der Elbe in Hamburg. Aber zwei Mal zwei Wochen sitzt sie auf dem Turm an der Ost- und Nordsee, wo sie einen wunderschönen Ausblick auf das Wasser erlebt. Pliessnig ist Schwimmerin, die das Wasser liebt und auch im Winter geht sie ihrem Lieblingselement nach.

Beeindruckende sportliche Leistung

Bereits 2016 hat sie mit 18 Jahren den Rettungsschwimmschein gemacht und ist bei der Wasserrettung vom österreichischen Samariterbund aktiv. Im gleichen Jahr ist sie als erste österreichische Frau bei einer Wassertemperatur von 3,9 Grad Celsius die 1,609 kilometerlange Eismeile in der Zeit von 31 Minuten und 21 Sekunden geschwommen. Der Eisschwimmverband ist ein junger Sportverband, der im Jahr 2009 gegründet wurde und sich vom Winterschwimmverband nur durch unterschiedliche Streckenregeln unterscheidet; aber es sei die gleiche Sportart, sagt Pliessnig. Der Eisschwimmverband setzte eine Reihe von Regeln für maximale Sicherheitsmaßnahmen in dieser Extremsportart in Kraft, um in Bezug auf Entfernung, Zeit, Bedingungen und Sicherheit die Integrität des Schwimmens zu regulieren, heißt es auf der Webseite des Internationalen Eisschwimmverbands, IISA. Der Verband führt die Eismeile, eine Meile im Wasser mit bis zu fünf Grad Celsius, als beste Schwimmleistung im Eiswasser ein, um Eisschwimmen zu einer weltweit anerkannten Sportart zu machen. Bei mindestens drei österreichischen Meisterschaften nehmen mindestens drei Frauen und drei Männer als Team teil, aber Eisschwimmen als eigene Sportart ist in Österreich noch nicht offiziell anerkannt. Infolge wird diese Sportart weder beim Sportministerium noch bei der Bundessportorganisation finanziell gefördert. Auch LGBTIQ*-Menschen bei den Kraulquappen vom Schwimmverein SC Diana haben mit Eisschwimmen angefangen. Pliessnig ist selbst nicht in der LGBTIQ*-Szene, aber den Eisschwimmverband beschreibt sie als aufgeschlossen, offen und homosexuellenfreundlich, was durchwegs mit extremen Sportarten wie Eisschwimmen zusammenhänge, weil hier niemand ausgegrenzt oder diskriminiert werde. Mit dem Leistungsschwimmen im Becken beim Sportclub SC Diana in ihrer frühen Jugendzeit hat für Pliessnig alles mit der neuen Extremsportart Eisschwimmen begonnen: Als Schülerin in der HTL, wo sie auch in einem Frauenfußballteam aktiv mitspielte, konnte sie den aktiven Leistungssport nicht mehr so richtig mit der Schule kombinieren. Sie beendete den Leistungsschwimmsport, kehrte aber etwas später zurück.

Bei der Wasserrettung
Bei der Wasserrettung (© YP)

Nach jahrelangem Leistungssport im Schwimmbecken ändert sie das Ziel, wechselt ihren Schwimmverein zu den Waterbecks, dem einzigen Freiwasserschwimmverein in Österreich. So lernt sie den Präsidenten des Schwimmverbands kennen und wird von ihm zum Eisschwimmen motiviert. Das eiskalte Wasser und wie ihr Körper darauf reagierte machten ihr im ersten Moment etwas Angst, sie war skeptisch. Aber nachdem Pliessnig in ihrer ersten Saison zwei Mal österreichische Meisterin wurde und sich für die Eiswasserschwimm-WM qualifizierte, ist sie begeistert bei der neuen Extremsportart geblieben. „Wenn ich ins Eiswasser hineingehe, dann schüttet es Glückshormone aus, damit der Körper die Kälte aushält“, sagt sie.

Es sei ein richtiges Hochgefühl, in der Früh ins Eiswasser zu gehen und danach keinen Kaffee mehr zu brauchen, um sich emotional gut zu fühlen. „Das ist schon eine geile Sache“, sagt sie. Egal in welchem See und zu welcher Jahreszeit, sie könnte reingehen, um eventuell Personen zu retten oder selbst die Natur zu genießen. Muskelkrämpfe bekommt sie eher in warmen Gewässer, infolge wendet die Leistungs- und Eisschwimmerin ihre Tricks an. Zum Beispiel den Fuß nach hinten drücken oder mit dem zweiten Fuß auf dem sogenannten Triggerpunkt bei der Achillessehne den Krampf beim Fußrist rausdrücken. Im Eiswasser hat sie jedoch noch keine Muskelkrämpfe bekommen. „Als Leistungs- und Rettungsschwimmerin weiß ich mit den Gefahren im Eiswasser umzugehen“, sagt sie. Beim Neujahrsschwimmen 2021 in Bergendorf in Hamburg konnte sie nicht teilnehmen, da sie als ausgebildete Hilfssanitäterin im Corona-Testzentrum im Einsatz war. Für andere Sportarten, wie Radfahren oder Langlaufen, finde sie im Moment zu wenig freie Zeit, aber sie probiere gerne Neues, wie Badminton spielen, aus.

Bei ihrem Training für das Eisschwimmen

beginnt sie in der Früh im warmen Schwimmbecken zu schwimmen und ihre Muskeln mit Ausdauer-, Intervall- und Techniktraining gut aufzuwärmen. Danach trainiert sie zum Regenerieren nachmittags gemeinsam mit einem Kollegen im kalten Eiswasser, im Freien. Um für eine Weltmeisterschaft zu trainieren schwimme sie 800 bis 900 Meter im kalten Eiswasser, abhängig von den Temperaturen. So schwimme sie bei sieben Grad Celsius etwas mehr als einen Kilometer, aber bei nur zwei Grad Celsius und ohne anschließende Aufwärmoption schwimme sie nur 600 Meter, um nach der Kältephase durch das Zittern keinen Muskelkrampf beim Autofahren zu bekommen. In ihrer Saisonzeit des Eisschwimmens achte sie besonders darauf sich mit Lachs zu ernähren, weil die Omega-3-Fettsäuren in den Fischprodukten mehr braunes Fett generieren, das die Kälte besser aushält. In Zeiten des Corona-Lockdowns sind auch alle Hallenschwimmbäder nur für die nationalen SchwimmerInnen offen. So trainiert Pliessnig derzeit nur im Freien, beim See, außerhalb von Hamburg. Die nächste Etappe der Wettbewerbe beim Eisschwimmen ist noch unklar, weil coronabedingt alle Wettbewerbe abgesagt sind, und die Eisschwimm-WM 2021 in Polen auf das Jahr 2022 verschoben wurde.

Den Corona-Lockdown hat sie schließlich gut genutzt und ihr erstes Buch über Eisschwimmen für EinsteigerInnen im November 2020 im Eigenverlag publiziert, mit positivem Echo. Es ist für alle Interessierten, die mehr über Eisschwimmen erfahren wollen, zu empfehlen.

Von Veronika Reininger

Freiberufliche Journalistin (Foto: © Bettina Frenzel)