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Editorial Schwerpunkt

Glauben

Worüber reden wir hier eigentlich?

Glauben kann vieles bedeuten. Die meisten denken wohl spontan an eine religiöse Praxis, oder vielleicht auch den Glauben an etwas Weltliches, wie die Menschheit. Oft kann man Leute sagen hören „Ich habe den Glauben an die Menschheit verloren”, wenn etwas Schreckliches passiert. Manche glauben fest an gesellschaftliche Ordnungssysteme, wie das der Demokratie. In jedem Fall ist der Glauben etwas tief im Menschen verwurzeltes, das die eigenen Taten und Entscheidungen täglich beeinflusst. Er kann einem nur schwer aus dem Boden der Seele entrissen werden, ohne vorher die Erde, in dem er gewachsen ist, gehörig aufzulockern. Meist braucht es eine Erschütterung, die nicht weniger stark als ein Erdbeben ist, um einen tiefen Glauben durch einen anderen zu ersetzen. Es ist aber auch möglich, über eine lange Zeit Samen des Zweifels zu säen und dann darauf zu warten, ob in einem Menschen eine weitere Pflanze des Glaubens erwächst. Natürlich können mehrere Glauben nebeneinander stehen, solange sie sich auf verschiedenen Ebenen befinden. Man findet beispielsweise selten eine Person, die dem Christentum angehört, aber ebenso den Islam als eigene Religion auslebt. Oder für die Demokratie kämpft und gleichzeitig die Monarchie wieder einführen will.

Glauben hat für unsere LGBTIAQ-Community einen größeren Einfluss, als es manchmal den Anschein erwecken mag. Gerade Personen, die ihren religiösen Glauben praktisch ausleben, sehen sich zwischen zwei Stühlen. Sie werden von der religiösen Gemeinschaft für ihr „sündhaftes Leben“ verurteilt, und von der queeren Community für ihre religiöse Praxis. Dabei spielt vor allem das Christentum hier in Österreich eine zentrale Rolle für die Erziehung im Kindesalter, einige Entscheidungen über Gesetze des Staates werden mit religiösen Überzeugungen begründet, in vielen öffentlichen Einrichtungen findet sich ein Kruzifix über dem Türrahmen. Außerdem haben öffentliche Debatten über die Stellung des Islam und vermehrt wieder über das Judentum längst unser Land erreicht.

Wie gehen wir als Community also mit diesem Thema um? Das soll die vorliegende Lambda zu einem Teil nun beleuchten. Unter anderem versuchen wir Bewältigungsstrategien für das zerrüttete Verhältnis der katholischen Kirche mit unserer eigenen Geschichte zu finden, schauen uns reformchristliche Bemühungen genauer an, begeben uns auf die Suche nach Interpretationsspielräumen zu gleichgeschlechtlicher Liebe und Geschlechtsvarianten in den heiligen Büchern Bibel, Koran und Thora. Wir lassen aber auch das eng mit der queerfeministischen Bewegung verbundene Thema der Astrologie als mögliche Ersatzreligion nicht aus und was nicht fehlen darf, ist selbstverständlich eine Auseinandersetzung mit der bevorstehenden Nationalratswahl. Denn selbst wenn die Gemeindezahlen der katholischen Kirche in Österreich lange schon tendenziell rückläufig sind, erschien uns der gemeinsame Glaube an die Demokratie hier jahrzehntelang unumstößlich. Nun führt jedoch seit letztem Jahr eine Partei die unabhängigen Umfragen an, die sich selbst im Kern als undemokratisch versteht, wodurch sich uns die Frage stellt, ist der Glaube an die Demokratie als Staatsform noch immer so unerschütterlich, wie wir es uns als LGBTIAQ-Community ein Anliegen sein sollte?

Ich wünsche eine spannende Auseinandersetzung mit unserem Schwerpunkt!

Von Mo Blau

HOSI Wien transgender Referat, früher Coming-Out-Team
(Foto: © Marie Dvorzak)