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Community & Politik

Nationalratswahl 2024

Ein Überblick

Am 29. September ist es wieder so weit. 6.343.976 Österreicher*innen werden aufgerufen, ihre Stimme bei der Nationalratswahl abzugeben. Die Nationalratswahl ist neben der EU-Wahl die wichtigste Wahl in Österreich. Diese entscheidet, welche Parteien in den nächsten fünf Jahren in unserem Land den Ton angeben, welche Ideen in Gesetzesformen gegossen und wie wir die Krisen unserer Zeit bewältigen werden. Vor fünf Jahren scheiterte die schwarz-blaue Regierung unter der Führung von Sebastian Kurz und H. C. Strache aufgrund der Ibiza-Affäre. Nach einer turbulenten Zeit in der Innenpolitik, welche von Misstrauensanträgen und einer Expertenregierung geprägt war, wurde nach der letzten Nationalratswahl eine Koalition zwischen der ÖVP und den Grünen geformt. Nach einigen politischen Krisen, drei Bundeskanzlern und etlichen Ministerwechseln steht nun der Wahlkampf vor der Tür, die Parteien kämpfen jetzt schon um jede einzelne Stimme. Zurecht, denn bis zum tatsächlichen Wahltag ist alles möglich und es steht viel auf dem Spiel.

Die zur Wahl stehenden Parteien und Listen

Auf dem Wahlzettel werden dieses Jahr neun Parteien und Listen stehen. Neben den fünf Parlamentsparteien (ÖVP, SPÖ, FPÖ, Grüne und NEOS) werden auch die KPÖ, die BIER-Partei, die Liste KEINE und die Liste der ehemaligen Grünen-Chefin Madeleine Petrovic bundesweit zur Wahl antreten. Bei der letzten Nationalratswahl vor vier Jahren waren es acht Listen. Die Listen JETZT und WANDEL treten dieses Jahr nicht mehr an. Während die Anzahl der Parteien gestiegen und auf einem historischen Höchststand ist, ist die Anzahl der Wahlberechtigten gesunken. Um genau zu sein sind es dieses Mal 52.836 Menschen weniger als 2019, sprich 0,83 Prozent.

Ausgangslage – Nationalratswahl 2019

Bei der Nationalratswahl 2019 lag die Wahlbeteiligung bei 75,59 %. Die ÖVP konnte 37,46 % der Wähler*innen von sich überzeugen. Den Grünen gelang der Wiedereinzug nach einer krachenden Niederlage bei der Wahl 2017 mit über 10 Prozentpunkten Gewinn.

Das Ergebnis der Nationalratswahl 2019: Im äußeren Ring die Stimmenverteilung, im inneren Ring die Sitzverteilung der insgesamt 183 Sitze im Nationalrat

Rückblick auf die 27. Gesetzgebungsperiode

Obwohl das Regierungsprogramm der schwarz-grünen Bundesregierung auf den ersten Blick eine herbe Enttäuschung für die LGBTIQ+-Community war, ist dennoch ein bisschen was passiert. Ein Schritt in die richtige Richtung ist die Rehabilitierung der Opfer von homosexuellen Strafverfolgungen. Geschädigte Personen bekommen als Entschädigung 3000 € pro Urteil, 500 € pro eingeleitetes und später eingestelltes Ermittlungsverfahren, 1500 € pro angefangenes Jahr Gefängnis und 1500 € für besondere wirtschaftliche, berufliche oder gesundheitliche Benachteiligungen. Außerdem entschuldigte sich die grüne Justizministerin Zadić im Juni 2021 für die unrechtmäßige Verfolgung Homosexueller in der zweiten Republik. Ob die Entschädigungen hoch genug sind, bleibt äußerst fraglich. Die relativ niedrigen Geldsummen sorgten für große Kritik in der Community. Eine weitere Initiative der Bundesregierung war eine neue Blutspenderverordnung. Diese trat am 1. September 2022 in Kraft und ersetzte die früheren, queerfeindlichen Regelungen. Anstatt homo- und bisexuelle Männer kategorisch von der Blutspende auszuschließen, wird nun auf die Drei-mal-drei Regel gesetzt. Sprich, wer in den letzten drei Monaten mit mehr als drei Personen Sex hatte, ist drei Monate gesperrt. Dieses Prinzip gilt für alle Menschen, unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung. Auch die Erweiterung des dritten Geschlechtseintrags wurde leicht vorangetrieben. Neben ,,männlich‘‘ und ,,weiblich‘‘ ist seit 2019 auch der Begriff ,,divers‘‘ möglich. Seit 2020 stehen auch die Begriffe ,,inter‘‘ und ,,offen‘‘ zur Verfügung. Auch eine Streichung des Geschlechtseintrags im Personenstandsregister ist möglich. Eine Änderung ist jedoch nur mit einem ärztlichen Gutachten möglich und die Möglichkeit bleibt nicht-binären Menschen weiterhin verwehrt. Für überwiegend große Freude sorgte jedoch der kostenlose Zugang zur PrEP. Die Kostenrückerstattung wurde am 1. Dezember, dem Welt-AIDS-Tag, dank einer Vier-Parteien-Einigung bestehend aus ÖVP, SPÖ, Grünen und Neos verkündet. Die FPÖ stimmte wenig überraschend nicht zu. Die Kosten der PrEP werden seit April von den Krankenkassen zurückerstattet. Jeden Monat können pro Monatspackung PrEP bis zu 60€ zurückerstattet werden, 25€ pro Quartal können für die notwendigen ärztlichen Beratungen und medizinischen Tests erstattet werden.

Die Parteien

Da zu Redaktionsschluss leider noch keine offiziellen Wahlprogramme der Parteien veröffentlicht wurden, ist es schwer vorherzusagen, welche Initiativen die Parteien und Listen in Bezug auf LGBTIQ+-Themen umsetzen möchten. Um trotzdem die Anliegen der Parteien analysieren zu können, werden hierfür die Wahlprogramme der EU-Wahl herangezogen. Da diese erst letzten Juni stattgefunden hat, kann davon ausgegangen werden, dass sich die Ansichten der Parteien auf queere Rechte nicht verändert haben. Es werden die Parteiprogramme jener Parteien analysiert, welche auch eine realistische Chance haben, die Vierprozenthürde zu knacken und in den Nationalrat einziehen könnten. Diese sind neben den Parlamentsparteien die KPÖ und die BIER-Partei. Da sich die FPÖ in der Vergangenheit öfters gegen queere Gesetzesinitiativen ausgesprochen hat und immer wieder mit grenzüberschreitenden Aussagen gegenüber der Community und anderen Minderheiten auffällt, wird die Partei von der Analyse ausgeschlossen. Die Reihenfolge der Parteien gleicht der Rangordnung bei der letzten Nationalratswahl 2019.

ÖVP – Österreichische Volkspartei

Im EU-Wahlprogramm der ÖVP werden queere Angelegenheiten nicht erwähnt. Das ist wenig überraschend, da die ÖVP bei LGBTIQ+-Angelegenheiten in der Vergangenheit für Verzögerungen und Blockaden gesorgt hatte. Zum Beispiel war sie daran beteiligt, die Eheöffnung nach dem VfGH-Urteil zu verzögern. Auch beim Verbot von Konversionstherapien und beim Diskriminierungsschutz blockiert sie.

Kurz zusammengefasst hält sich die ÖVP an ein konservatives Weltbild und lehnt progressive Initiativen eher ab.

SPÖ – Sozialdemokratische Partei Österreich

Im Wahlprogramm der SPÖ wird öfters auf LGBTIQ+-politische Initiativen und Gesetze Bezug genommen. Die Sozialdemokrat*innen fordern eine klare Strategie der EU, um Diskriminierung und Ungleichheit aufgrund sexueller Orientierung oder Geschlechtsidentität zu bekämpfen. Auch die weitere Umsetzung der LGBTIQ+-Strategie der EU befürwortet sie. Diese beschäftigt sich mit dem Schutz und der Gleichstellung queerer Menschen in allen Lebensbereichen. Die SPÖ ist der Meinung, dass trotz des Fortschritts in der Thematik noch einiges passieren muss, um die Lage von queeren Menschen in der EU zu verbessern.

Die Sozialdemokrat*innen warnen in ihrem Programm auch vor rechten Bewegungen innerhalb der Europäischen Union, welche die Lebensqualität von queeren Menschen bedrohen und die Uhr in eine Zeit zurückdrehen können, wo manche Rechte der Community noch verwehrt blieben. Im Wahlprogramm wird auch auf Anti-Gender-Bewegungen und deren Finanzierungsmechanismen eingegangen. Die Partei fordert, dass diesen Bewegungen die Gelder gestoppt werden und die Finanzierungswege aus anderen Ländern wie Russland und den USA gekappt werden. Zu guter Letzt wird eine Europäische Charta der Frauenrechte gefordert, welche auch für die LGBTIQ+-Community gelten soll.

Die Grünen

So wie die SPÖ sind auch die Grünen Verfechter*innen von queeren Rechten. Die Grünen kämpfen für eine EU, welche sich konsequent für Freiheit, Vielfalt und Gleichstellung einsetzt. Die Partei fordert von der EU einen Aktionsplan, welcher sich umfassend mit Diskriminierung und Rassismus auseinandersetzt. Dieser soll auch eine Gleichstellung queerer Menschen in allen Lebensbereichen hervorbringen. Für die Grünen ist es wichtig, dass die EU eine Vorreiterrolle bei Rechten und Schutz von LGBTIQ+-Personen einnimmt und positioniert sich für eine unbeirrbare Umsetzung und Optimierung der LGBTIQ+-Strategie, um in allen EU-Staaten Gleichberechtigung und ein Ende der Diskriminierung zu erreichen.

Das Wahlprogramm thematisiert auch die Gefahren für queere Menschen, welche von autoritären Regimen ausgeht. Sie fordert eine vereinte Mauer der Union, um gegen solche Entwicklungen entschieden vorgehen zu können. Für die Partei ist Vielfalt grundlegend eine Bereicherung und sie fordert eine Europäische Union ohne Diskriminierung.

NEOS

Wie auch SPÖ und Grünen fordern die NEOS eine gänzliche Gleichstellung und rechtlichen Schutz in allen Lebensbereichen von queeren Menschen. Dies beinhaltet auch einen vollumfänglichen Diskriminierungsschutz. Sie fordert von allen EU-Mitgliedsstaaten, queere Rechte in ihren Gesetzen vollständig zu berücksichtigen. Dies gilt auch bei der Ehe für alle und beim Adoptionsrecht. Die NEOS betonen auch die Wichtigkeit der Bekämpfung von Hassverbrechen gegen LGBTIQ+-Menschen. Des Weiteren fordert die Partei EU-weite Maßnahmen, um queere Rechte zu gewährleisten . Dazu heißt es, dass es auch in der Bildungspolitik Initiativen geben soll, um der Diskriminierung von LGBTIQ+-Personen ein Ende zu bereiten.

KPÖ und BIER-Partei

Im Wahlprogramm zur EU-Wahl der KPÖ werden queere Themen nicht adressiert. Die BIER-Partei ist bei der EU-Wahl nicht angetreten und hat bis zu diesem Zeitpunkt noch kein Programm für die Nationalratswahl veröffentlicht.

Rechtsruck

Wie auch in anderen Ländern weltweit steht auch in Österreich ein Rechtsruck vor der Tür. Und der hat es in sich. Bei der EU-Wahl im Juni ging die FPÖ mit ihrem Spitzenkandidaten Harald Vilimsky als Siegerin hervor. Dieser Sieg war jedoch knapper als gedacht. Hinter ihr reihten sich die ÖVP und die SPÖ in knappen Abständen. Bei der Nationalratswahl wäre ein solches Ergebnis verheerend.

Herbert Kickl machte schon des Öfteren klar, was er von der LGBTIQ+-Community hält. Als Kanzler wolle er dem ,,Kult um die Regenbogenfahne‘‘ ein Ende setzen. Sein großes Vorbild ist Ungarn und dessen Ministerpräsident Viktor Orbán. Durch eine Verfassungsänderung ließ Orbán die Ehe als Bündnis zwischen ,,Mann und Frau‘‘ definieren, was die „Ehe für alle“ quasi unmöglich macht. Er beschränkte 2020 außerdem die Möglichkeiten für trans* Personen, ihr Geschlecht auf legalen Wegen ändern zu lassen. Außerdem verabschiedete Orbáns Regierung 2021 ein Gesetz, das die Thematisierung von Homosexualität und Geschlechtsangleichungen in Schulen verbietet. Auch das Adoptionsrecht bleibt heterosexuellen Paaren vorbehalten.

Diese Gesetze und Umgangsweisen der ungarischen Regierung sorgten für eine Stigmatisierung queerer Menschen in Ungarn. Dies ist anscheinend Kickls Ziel. Er will Österreich zu einem Ungarn 2.0 machen und queere Rechte Schritt für Schritt zurückschrauben. Um dieses Schreckensszenario zu verhindern, bleibt nur noch wenig Zeit. Wichtig ist es, dass alle liberalen Österreicher*innen ihre Stimme nutzen, um Kickl von der Macht fernzuhalten.

Koalitionsvarianten

Es ist schwierig vorherzusagen, wer in Österreich in den nächsten fünf Jahren den Ton angibt. Umfragen zeigen seit über einem Jahr das gleiche Bild: Die FPÖ liegt auf dem ersten Platz, gefolgt von der ÖVP, welche sich mit der SPÖ um Platz zwei duelliert. Mit großem Abstand folgen die Grünen und die NEOS, welchen auch ein knappes Rennen um Platz vier bevorsteht. Der BIER-Partei scheint der Einzug in den Nationalrat zu gelingen, für die KPÖ wird es deutlich knapper.

Es gibt einige Varianten für Koalitionsbildungen. Eine Neuauflage von Schwarz-Blau, oder in diesem Fall Blau-Schwarz, würde wahrscheinlich eine Mehrheit im Nationalrat haben, dennoch behauptet die ÖVP, keine Koalition mit der Kickl-FPÖ einzugehen. Ob sie dieses Versprechen halten würde, ist äußerst fraglich. Alle anderen Parteien haben eine Koalition mit der FPÖ kategorisch ausgeschlossen. Da sich eine ,,große Koalition‘‘ aus SPÖ und ÖVP mathematisch nicht ausgeht, bleiben nur noch Dreierbündnisse als mögliche Varianten übrig. Diese würden sich aus den Sozialdemokrat*innen, der ÖVP und entweder NEOS oder Grünen zusammensetzen. Somit wird auch entscheidend werden, wer am Wahlabend den zweiten Platz erreichen kann, um im Endeffekt dann den Bundeskanzler stellen zu können. Ob ein solches Dreierbündnis für fünf Jahre funktionieren könnte, ist eine andere Frage.

Grundsätzlich lässt sich sagen, dass eine Koalitionsbildung sich wahrscheinlich äußerst schwierig gestalten wird. Welche Konstellationen wirklich über eine Mehrheit im Nationalrat verfügen werden, lässt sich vermutlich erst nach dem Wahltag sagen.

Schlusswort

Für queere Menschen und andere Minderheiten ist es äußerst wichtig, sich für Parteien einzusetzen, welche LGBTIQ+-Rechte verteidigen und für sie kämpfen. Parteien, die sich für eine offene Gesellschaft ohne Hass, Hetze und Diskriminierung einsetzen. Wir brauchen ein Parlament, in dem überzeugte Demokrat*innen sitzen, die aus tiefster Überzeugung Seite an Seite mit queeren Menschen für Vielfalt einstehen.

Die Teilnahme an Wahlen ist das Herzstück einer funktionierenden liberalen Demokratie. Besonders bei der bevorstehenden Nationalratswahl ist es wichtig, dass so viele Menschen von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen wie möglich. Es ist die Pflicht aller wahlberechtigten Personen, sich für ein buntes Österreich einzusetzen, in dem Menschenrechte bewahrt und Minderheiten geschützt werden. Für ein Österreich, in dem Vielfalt als Bereicherung gesehen wird und nicht als Last. Für ein Österreich, welches demokratische Prinzipien verteidigt. Es muss um jeden Preis verhindert werden, dass Menschen an die Macht kommen, die mit den Ängsten der Menschen spielen. Sie wollen die Zeit in Österreich um Jahrzehnte zurückdrehen und das dürfen wir nicht zulassen. Geht am 29. September wählen, nutzt eure Stimme. Leistet einen Beitrag, dass Populist*innen vom Zentrum der Macht ferngehalten werden. Es geht um nichts weniger als unsere Demokratie.

Von Christoph Aigner

Arbeitsgruppe Internationales
HOSI Wien