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Religiöser Extremismus an Schulen

Das 2021 gegründete Bildungsprojekt „queerfacts“ hat sich zum Ziel gesetzt, gegen sexistische und extremistische Tendenzen in Österreich vorzugehen. Nicht etwa mit erhobenem Zeigefinger, sondern mit Reflexionsimpulsen, Gedankenaustausch und dem unverbindlichen Angebot, etwas dazu zu lernen. Besonders geeignet, um Geschlechterrollenbilder zu hinterfragen, ist wohl die bloße Existenz von uns als LGBTIAQ-Personen. Wir blicken bei unseren Workshops immer wieder in erstaunte Gesichter, wenn wir über pansexuelle Frauen, intergeschlechtliche Menschen, oder aromantische Menschen sprechen. Man könnte meinen, Jugendliche heutzutage haben von allen Facetten des queeren Lebens eine Vorstellung, da wir nicht selten hören, sie seien durch Seriencharaktere, Pride-Paraden und Social Media ständig mit LGBTIAQ-Themen konfrontiert. Für sie fühle es sich dann so an, als ob sie gezwungen seien, eine unverhältnismäßige Repräsentation unserer Community auszuhalten. Laut Umfragen schwanken die Prozentzahlen der Menschen, die sich selbst als LGBTIAQ bezeichnen je nach Generation zwischen 6 % bis sogar 20 %, die meisten deuten auf eine Zahl um die 10 % herum hin, das ist jede zehnte Person. Also rein statistisch gesehen müsste es in jeder Schulklasse 2-3 Personen geben. Wenn wir davon ausgehen, jeder zehnte Seriencharakter, jede zehnte Person in einem Zeitungsartikel, etc. müsste queer sein, dann ist die Theorie der Überrepräsentation schlichtweg nicht haltbar. Trotzdem lässt sich nicht abstreiten, dass ein Gefühl der Bedrohung des eigenen Glaubens, hier nun im weltlichen Sinne, nicht immer wegzurationalisieren ist. Scheinbar angestaubte konservative Werte, die wir wahrscheinlich eher bei Baby Boomern vermuten würden, finden wieder vermehrt Anklang bei den Jungen. In einer Zeit voller Unsicherheit, mit kriegerischen Auseinandersetzungen, Wohnungsnot in Großstädten, wo es für die meisten unmöglich ist, größere Anschaffungen zu machen, besinnen sich wohl viele unbewusst auf eine scheinbar bessere Zeit zurück. Was für einige Queers die Horrorvorstellung vom Leben ist, jung heiraten, Kinder bekommen, ein Haus kaufen, und bloß nicht von vorgetrampelten Wegen abkommen, ist auf der anderen Seite eine sichere Zukunft, über die man sich nur wenige Gedanken machen muss.

Ein Wertekompass, den immer mehr junge Leute deshalb befragen, sind die heiligen Schriften der abrahamitischen Religionen. In unseren Workshops spielen da vor allem das in Österreich tief verankerte Christentum eine Rolle, weil es Meinungen und Debatten noch immer stark beeinflusst, ohne dass es den jeweiligen Diskutant*innen meist so bewusst ist, und außerdem verschiedene muslimische Glaubensauslebungen. Gläubige muslimische Menschen haben, im Gegensatz zu katholischen, jedoch kaum neutrale oder positive Repräsentation in der österreichischen Öffentlichkeit. Demnach hat eine konstruktive Auseinandersetzung mit den Herausforderungen, die damit einhergehen, bisher nur sehr begrenzt stattgefunden.

Wenn wir in Workshops mit starker Ablehnung aufgrund religiöser Überzeugungen konfrontiert sind, lässt sich in Wien eine Tendenz erkennen. Während außerhalb von Wien, vor allem fernab der größeren Städte, religiös begründete Ablehnung gegenüber unserer LGBTIAQ-Community eher von katholischer Seite kommt, zeigen sich in Wien öfter Konflikte mit Lehren des Koran. Unabhängig des Glaubensbekenntnisses fällt es Jugendlichen sichtlich schwer, sich von den Glaubenssätzen ihrer eigenen Eltern abzugrenzen. Es ist kein Geheimnis, wie wichtig Vorbilder für Jugendliche in ihrer Entwicklungsphase sind. Auch wenn sich natürlicherweise in der Pubertät Jugendliche von ihren Eltern zu lösen versuchen, spielt das direkte Umfeld eine übergeordnete Rolle bei der Wertebildung. Nicht alle haben das Privileg, ihre eigenen Überzeugungen völlig auf den Kopf zu stellen und neu zu denken. Einen Anstoß dazu versuchen wir in den queerfacts-Workshops zu geben. Dazu ist es unerlässlich, sich mit den jeweiligen Lehren zu beschäftigen.

Es ist natürlich eine Herausforderung, den richtigen Ton zu treffen, wenn man als atheistische Person mit einer religiösen Person über Religion spricht. Das heißt aber nicht, dass wir uns deshalb dieser Herausforderung nicht stellen sollten. Wichtig ist dabei nur, so viel Respekt gegenüber der Religion zu haben, dass man sich mit den Grundsätzen auseinandersetzt.

Für unseren speziellen Fall sind in der Bibel und Tora natürlich die Mosesbriefe relevant, wo in etwa steht, ein Mann solle nicht bei einem Mann liegen wie bei einer Frau. Hier besteht wohl ein Widerspruch zur als gottgegebenen Aufgabe der Menschen sich fortzupflanzen. Streng genommen wären alle Arten von Geschlechtsverkehr, die nicht mit dem Ziel der Fortpflanzung vollzogen werden, sündhaft. Daraus leitet sich weiters die momentane Positionierung des Vatikans zur Bewertung von Transgeschlechtlichkeit ab. Sie gehen fälschlicherweise davon aus, dass alle trans Personen in solcher Form medizinisch transitionieren, dass sie zeugungsunfähig würden. Was ja vor allem seit der Aufhebung des gesetzlichen Sterilisationszwangs bei Personenstandsänderungen durchaus nicht sein muss. Des Weiteren lässt die Fokussierung auf Menschen als Fortpflanzungswerkzeuge bereits von Natur aus zeugungsunfähige Menschen außer Acht. Diese Diskrepanzen in der theologischen Lehre aufzuzeigen, kann bei manchen schon ein Umdenken auslösen.

Im Islam gibt es Suren, bei denen es strittig ist, ob dort außerehelicher Sex unter Männern und Frauen, oder gleichgeschlechtlicher gemeint ist. In jedem Fall könnte man die kritisierte Praxis in etwa mit „Unzucht“ übersetzen. Interessanterweise gibt es dagegen Belege für androgyne Geschlechter zwischen oder neben Mann und Frau, was für manche Islamwissenschaftler*innen ein Hinweis auf die Anerkennung von trans Personen ist. In der Praxis sieht das natürlich je nach Land und Glaubensgemeinschaft anders aus. Während in manchen muslimisch geprägten Ländern Transidentität im Gegensatz zu gleichgeschlechtlichem Sex mehr oder weniger als anerkannt gilt, gibt es andere, in denen trans Personen aufgrund kultureller Praxis diskriminiert und sogar verfolgt werden. Ein Fehler, den wir in Österreich gerne machen, ist, nur unsere dominant christlich geprägte Geschichte differenziert zu sehen, wohingegen wir allerdings zu oft nur über „den Islam“ sprechen. Wobei es leichter zu argumentieren wäre, den Vatikan als religiöses Zentrum zu sehen, welches alle Entscheidungen und Weisungen zentralisiert. Es ist wichtig uns ins Gedächtnis zu rufen, wie viele Kirchengemeinden allein in Österreich Regenbogen-Pride-Flaggen an ihre Kirchtürme gehängt haben, gerade WEIL sie gegen die dämonisierenden Aussagen des Papstes zu Menschen unserer Community protestieren wollten. In anderen Ländern ist es mittlerweile selbstverständlich, eine oder sogar mehrere dezidiert muslimische Gemeinden bei den Pride-Paraden dabei zu haben. Der kulturelle Austausch hinkt wie gewohnt in Österreich nach.

Wenn muslimisch erzogene Jugendliche neben einem Fehlen von positiven Vorbildern gleichzeitig Fremdenfeindlichkeit und andere Ausgrenzung erleben, sollte es nicht wundern, wenn diese Jugendlichen sich in einem verzweifelten Versuch nach Halt im Leben dem Glauben zuwenden. Das ist grundsätzlich ja noch kein Problem, da bekanntlich Religionsfreiheit in Österreich herrscht. Es ist jedoch unsere Aufgabe als Gesellschaft, ihnen den Unterschied zwischen Meinungs- und Religionsfreiheit auf der einen, und Diskriminierung auf der anderen Seite zu erklären. Ein ähnliches Beispiel dafür ist die Debatte um legalen Schwangerschaftsabbruch. Hier darf sich der Einfluss der katholischen Kirche nicht negativ auf das Recht der nicht-religiösen Menschen auf eine mitunter lebensnotwendige medizinische Versorgung auswirken.

Es gilt also unsere gemeinsame Geschichte aufzuarbeiten und das Fundament für eine friedliche gemeinsame Zukunft zu legen.

Von Mo Blau

HOSI Wien transgender Referat, früher Coming-Out-Team
(Foto: © Marie Dvorzak)