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nicht-binÀre Nachrichten

Anti-AndrogynitÀt, Angst und Anpassung.

Von Ausgrenzung, der Angst androgyn wirken zu mĂŒssen und dem Suchen nach einer eigenen Kultur.

Neulich in Wien, es ist dunkel. Ich höre ein Auto von hinten an mir vorbei fahren das langsamer wird. Eine Gruppe junger Erwachsener versucht aus den Autofenstern auf sich aufmerksam zu machen und mich zum Umdrehen zu bewegen, obwohl ich Kopfhörer trage und spazieren will. Als die Gruppe (die ich als MĂ€nner lese) mein Gesicht sieht, beginnen sie laut zu lachen und zu gröhlen: „ach scheiße, ich schulde dir nen 5er“, sie beleidigen mich als Dreckskind und fahren weiter. Ich trage einen schwarzen Trainingsanzug, habe meine Haare zusammengebunden und einen großen Schal…ich frage mich kurz, ob ich vielleicht an der unangenehmen Situation Schuld habe, weil ich durch mein Aussehen zur Verwirrung beigetragen habe und verwerfe den Gedanken schnell wieder.

Letzten Sommer in Wien, es ist mitten am Tag. Ich traue mich nicht innerhalb der öffentlichen Toilette mit der Aufschrift „MĂ€nner“ zu warten, bis die Person vor mir die Kabine freigibt, um möglichen Fragen um meine IdentitĂ€t aus dem Weg zu gehen. Also warte ich zwischen der TĂŒr auf der „MĂ€nner“ steht und der mit der Aufschrift „Frauen“. Ein Ehepaar kommt auf mich zu und beginnt sich zu streiten, ohne mein Zutun, auf das Freiwerden welche der beiden Toiletten ich wohl warte. Da ich aus Scham bereits eine Person habe passieren lassen, obwohl es dringend wĂ€re, nehme ich meinen Mut zusammen und deute auf das MĂ€nner-WC. „Ich warte auf die da“. Zu meiner Verwunderung verteidigt mich die Person die fĂŒr mich wie ein Mann wirkt vor seiner Partnerin: „Na wenn er sagt, dass er auf das MĂ€nnerklo wartet, dann wird das schon stimmen.“ Sie hingegen besteht weiter darauf: „Schatz jetzt geh einfach rein, es ist sicher frei, warum sollte sie denn aufs MĂ€nnerklo warten?“ Meine Shorts zeigen an diesem Tag meine behaarten Beine und ich habe ein kurzes Shirt an, das genau ĂŒber meinem Bauchnabel endet, der wiederum vom Hosenbund verdeckt ist. Ich habe meine Augenringe leicht mit Make-up abgedeckt und trage zusammengebundene Haare. Ich schaue an mir herunter und ĂŒberlege kurz, ob ich mit meinem Aussehen zu dieser Unangenehmen Situation beigetragen habe, verwerfe den Gedanken aber schnell wieder.

Diese Situationen geschehen natĂŒrlich ebenso im FrĂŒhling wie im Herbst, in der Schulzeit wie heute, ĂŒberproportional ausgehend von MĂ€nnern, weshalb ich eine tiefsitzende Angst gegenĂŒber „mĂ€nnlichen“ Personen entwickelt habe, die ich nicht als queer lese. Ich frage Ansammlungen von ihnen nicht nach dem Weg, benutze nur im Notfall ein Pissoir und schaue ihnen in den Öffis nicht (zu) lange in die Augen. Auch sexuelle Gewalt scheint allzuoft gerechtfertigt, weil ich nicht den gĂ€ngigen Normen eines heterosexuellen Mannes entspreche und das auch gar nicht möchte. In der queer Community werde ich gleichzeitig ohne mein Zutun angefeindet. Ich erlebe Diskrimierung als Frau* und von Frauen* ausgehend, Diskriminierung als binĂ€re transgender*-Person und von ihnen ausgehend, Diskriminierung als schwuler Mann* und von schwulen MĂ€nnern*, obwohl ich all diese Dinge eigentlich gar nicht bin, aber manchmal von außen so gelesen werde. Was ich stattdessen bin? Auf jeden Fall nicht in die zweigeschlechtliche Ordnung einzuordnen. Ich bin…etwas nicht, nĂ€mlich binĂ€r. Weder Mann noch Frau, auch nicht dazwischen, obwohl manche von uns sich so fĂŒhlen, ich bin non-binary, also zu Deutsch nicht-binĂ€r!

FĂŒr Viele scheint es ein völlig neues Konzept zu sein, andere sind hingegen verwundert ĂŒber die Aufregung, die das Thema, auch in „queeren Kreisen“, verursacht: nicht-binĂ€re GeschlechtsidentitĂ€ten.

Ist es jetzt etwas Neues, oder gab es uns schon immer? Diese Frage lĂ€sst sich wohl nicht ganz beantworten. Zumal IdentitĂ€t in der Vergangenheit schlichtweg anders definiert wurde. Wir mĂŒssen uns bewusst darĂŒber sein wie stark IdentitĂ€tsbezeichnungen von der jeweiligen Epoche und natĂŒrlich auch dem Kulturkreis abhĂ€ngig sind. Deshalb scheint es nicht verwunderlich, dass wir in historischen Aufzeichnungen immer wieder Hinweise fĂŒr mögliche nicht-binĂ€re Personen finden können, es in Wahrheit jedoch keine Gewissheit darĂŒber gibt ob sie sich in der heutigen Zeit als „non-binary“ bezeichnen wĂŒrden.

Daraus ergibt sich eine Verunsicherung von Seiten heutiger nicht-binĂ€rer Personen, weil sie das GefĂŒhl haben sich nicht an frĂŒheren Errungenschaften orientieren zu können. Auf der anderen Seite löst das Konzept „non-binary“ in Menschen, die sich selbst als Frau oder Mann definieren, besonders viel Angst vor dem Unbekannten aus. Eine Angst davor, dass alles was sie sich als Menschheit erkĂ€mpft haben mit dem Hinterfragen ihrer heiligen zweigeschlechtlichen Ordnung den Bach runter geht. Etwas Ähnliches passiert auch beim Hinterfragen der heterosexuellen Norm durch die bloße Existenz von homosexuellen Menschen. Es wird fast schon als persönlicher Angriff gesehen nicht so auszusehen oder so zu lieben wie es die Person, die sich angegriffen fĂŒhlt, glaubt selbst tun zu mĂŒssen. Verwirrung macht Dinge komplizierter, das heißt unkontrollierbarer, was in Leuten starke GefĂŒhle auslöst, obwohl es sie auf den ersten Blick gar nicht unmittelbar betrifft.

Das Problem mit den ganzen GeschwĂŒren die sich daraus hervortun, also Homofeindlichkeit, Transfeindlichkeit, Sexismus, usw. ist: es trifft tendenziell die SchwĂ€chsten. Je mehr Möglichkeiten es gibt eine Person zu diskriminieren, desto hĂ€ufiger muss sich diese Person in der RealitĂ€t Anfeindungen aussetzen.

Die Frage die wir uns als nicht-binĂ€re Personen nun stellen mĂŒssen ist, wie weit wollen wir uns den Erwartungen, die Andere an uns stellen, beugen? Ist es zum Beispiel notwendig, die genaue Mitte aller Klischees zu treffen, die es zu den IdentitĂ€ten „Frau“ und „Mann“ allgemein gibt, oder reproduzieren wir dadurch nicht vielleicht Sexismen? Ist es mir als Einzelperson ĂŒberhaupt wichtig „als non-binary erkannt zu werden“ oder fĂŒhle ich mich wohler und sicherer, wenn ich von außen nicht unbedingt fĂŒr Verwirrung bezĂŒglich meiner GeschlechtsidentitĂ€t sorge? Inwieweit ist es fĂŒr eine Community wie die der nicht-binĂ€ren von Vorteil eigene Erkennungszeichen und kulturelle Referenzen zu haben?

Wir mĂŒssen unsere eigene, ganz besondere Art von Diskriminierung innerhalb und außerhalb der queer Community verstehen, um uns in Zukunft fĂŒr die Verbesserung unserer Rechte einsetzen zu können. Warum besetzen wir z. B. die Beleidigung „special Snowflake“ nicht einfach positiv neu? Wir sind ja einzigartig, und wir haben unsere individuellen Probleme, aber alle von uns haben nicht-binĂ€re Geschlechter! Nutzen wir die Errungenschaften der transgender* und der (biologisch) inter*geschlechtlichen Community doch, um fĂŒr einen dritten Geschlechtseintrag bei nicht-binĂ€rer IdentitĂ€t in öffentlichen Dokumenten zu kĂ€mpfen. Nutzen wir die Errungenschaften der lesbsich-feministischen Bewegung doch um uns fĂŒr geschlechtsinklusive Sprache (fĂŒr Alle) einzusetzen. Teilen wir neben den Diskriminierungserfahrungen mit anderen Queers doch bitte auch die Erfolge! Menschen sind nicht immer nur ein Buchstabe innerhalb von LGBTIQ*, nicht nur eine IdentitĂ€t, und wir speziell sind eben nicht nur „non-binary“…

Von Mo Blau

HOSI Wien transgender Referat, frĂŒher Coming-Out-Team
(Foto: © Marie Dvorzak)