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Xenophobie in der Community

Der kurze Weg vom Opfer zum*zur TĂ€ter*in

Nun können wir zwar nicht leugnen, dass viele Migrant*innen in unserer Stadt aus patriarchal und konservativ geprĂ€gten KulturrĂ€umen stammen. Das gilt fĂŒr Tiroler*innen und Sizilianer*innen ebenso wie fĂŒr GeflĂŒchtete aus Afghanistan oder Migrant*innen aus Polen.

Generell emigrieren Menschen eher aus strukturschwachen, lĂ€ndlichen Regionen nach Österreich – so sie denn nicht vor einem Krieg flĂŒchten. Dass gesellschaftliche ProgressivitĂ€t oft mit einem urbanen Lebensstil einhergeht, wissen wir auch in Wien: FĂŒr eine Zeitreise in eine Gesellschaft mit einer gestrigen Haltung zu Queerness mĂŒssen wir nur in die nĂ€chste S-Bahn nach Himberg steigen. Aber auch das bedeutet nicht, dass die meisten Landler*innen homophob sind.

„Deren Religion ist schuld“

Oft wird versucht, den eigenen Rassismus mit scheinbar gut begrĂŒndeter Islamophobie aufzuhĂŒbschen. Denn die vermeintlichen homophoben Ideologien des Islam seien in dessen ureigener religiöser DNS eingeschrieben. Dieses Argument hinkt jedoch gewaltig. Queer-freundliche Moscheen in vielen Metropolen beweisen genauso wie homophobe christliche Fundamentalist*innen, dass die Buchreligionen nicht zwangslĂ€ufig queerfeindlich oder -freundlich sind. Es sind die jeweiligen GlĂ€ubigen und Kleriker*innen die ihren Glauben menschenfeindlich auslegen oder eben nicht. Trotzdem sind wir an einem Punkt an dem viele Lesben und Schwule den Islam fĂŒr Hass und Gewalt gegen Homosexuelle verantwortlich machen. Den einzigen Unterschied Österreichs zu den HerkunftslĂ€ndern in diesem Punkt ist die (mit einigen Ausnahmen) verankerte Trennung zwischen Religion und Staat. Dass organisierte Religionsgemeinschaften in der Geschichte fast nie die VerbĂŒndeten der LGBTIQ* Bewegung waren ist nicht von der Hand zu weisen. Wer jedoch mit einer Hand auf die muslimischen Migrant*innen hinschlĂ€gt, aber mit der anderen Hand Kurz wĂ€hlt unter dem ein katholischer Hardliner, Menschenfeind und Opus Dei Mitglied wie Bernhard Bonelli an die Schalthebel der Macht gelassen wird, der kaschiert seinen Rassismus nur schlecht.

Offene und verdeckte Homophobie

Zwar gibt es subjektiv viele FĂ€lle, in denen queere Personen Gewalt durch Migrant*innen erfahren, nur berechtigt uns das nicht, alle Migrant*innen in eine Schublade zu stecken.

Wir mĂŒssen in diesem Fall vor unserer eigenen HaustĂŒre kehren. Denn ein Generalverdacht gegen Migrant*innen attestiert ja hier geborenen Bio-Österreicher*innen eine Freiheit von homo- und transphoben Einstellungen. Abgesehen davon, dass auch von letzterer Gruppe Übergriffe bekannt sind, ist die verdeckte Homophobie in Österreich weit verbreitet. Konservative Österreicher*innen kĂ€mpfen mit geschlossenem Visier gegen die offene Gesellschaft. Die homofeindliche Schulleiter*in verweigert das AufhĂ€ngen von Regenbogenfahnen im Pride-Month mit scheinbar anderen PrioritĂ€ten, wĂ€hrend sie eigentlich meint: „LGBT hat hier keinen Platz.“ Diese unterschwellige, passive Homophobie wirkt auf den ersten Blick harmloser, ist aber wesentlich schwerer zu bekĂ€mpfen.

Viele Umfragen zu Homo- und Transphobie sind aus diesen GrĂŒnden nicht aussagekrĂ€ftig (z.B. das Eurobarometer). Das Problem der sozialen ErwĂŒnschtheit, also der Tendenz mehrheitsfĂ€hige Antworten zu geben, schlĂ€gt hier vermutlich zu.

Die Nutznießer*innen

Wer profitiert nun von diesen Entwicklungen? Wer hat ein Interesse daran, dass queere gegen migrantische IdentitĂ€ten ausgespielt werden? Der Gegner sitzt wie immer rechts. Dass es Rechtspopulist*innen schaffen, Angst vor scheinbar homophoben Migrant*innen zu schĂŒren und auszunutzen, kann mit glaubhaften und erschreckenden Zahlen belegt werden: Bei einer nicht reprĂ€sentativen Umfrage des Berliner „MĂ€nner”-Magazins gaben rund 17 % an, bei der AfD ihr Kreuzchen gemacht zu haben. Bei einer Ă€hnlichen Umfrage auf österreichischen Plattformen kam die FPÖ unter schwulen MĂ€nnern auf 21%. Die UniversitĂ€t Sciences Po hat errechnet, dass die rechtsextreme Front National bei den französischen Regionalwahlen 2015 von 32 % der homosexuellen Paare gewĂ€hlt wurde und sich ihr WĂ€hleranteil unter lesbischen Frauen verdreifacht hatte. Auch die deutsche AfD wirbt auf Pride-Veranstaltungen mit Plakaten, die das Feindbild des homophoben, gewaltbereiten Migranten zeichnen. Beide Parteien werben verstĂ€rkt um Stimmen aus der Community – und leider fallen viele von uns auf diese Strategie rein.

Nein, du bist hier nicht das Opfer

Es ist schnell ersichtlich, dass Queers, wenn es um Rassismus geht, oftmals TĂ€ter*innen sind: Von 850 Schwulen, die von „Gay Men’s Sexual Health Charity” befragt wurden, gaben jeweils rund 80 % der MĂ€nner mit Vorfahren aus Afrika, Lateinamerika und SĂŒdostasien an, Erfahrungen mit Rassismus innerhalb der Schwulenszene gemacht zu haben.

Dass in Zeiten des vermehrten Online-Kontakts viele nicht-weiße Schwule beim Durchwischen durch Dating-Apps so etwas wie „Keine Asiaten” lesen mĂŒssen, macht dieses Problem nochmals deutlicher. So etwas ist per se zwar nur Ausdruck von Vorlieben und muss nicht zwangslĂ€ufig heißen, dass der Profilinhaber Asiat*innen nicht als gleichwertige Menschen sieht. Vorlieben darf jeder haben, aber es muss ein Bewusstsein dafĂŒr geschaffen werden, dass unsere Vorlieben in einer rassistischen Gesellschaft geprĂ€gt werden und somit rassistisch sein können. Asiatische Nutzer*innen von einschlĂ€gigen Plattformen fĂŒhlen sich bei oben genannten Formulierungen verstĂ€ndlicherweise verletzt und der*die Profilinhaber*in nimmt billigend in Kauf, als Rassist*in zu gelten.

Dasselbe Prinzip gilt fĂŒr den umgekehrten Fall: Der Fetischisierung von nicht-weißen Migrant*innen. Wenn Mensch zum Beispiel schreibt, dass er*sie auf Asiaten*innen steht (um beim Beispiel zu bleiben), besteht die Chance, dass auch dies einen rassistischen Hintergrund hat. Die ZusammenhĂ€nge von Rassismus, kolonialem Erbe und SexualitĂ€t wĂŒrden diesen Text sprengen. Wichtig ist aber, dass in dem Moment in dem Menschen nicht mehr als Individuen, sonders aufgrund von ethnischen Merkmalen als Fetischobjekt wahrgenommen werden, stecken wir schon ziemlich tief im Rassismus.

Der Ausweg

Die Erkenntnis dieses Artikels soll nicht sein, dass Rassismus und Xenophobie ein spezielles Problem der LGBTIQ*-Community sind. Vielmehr ist die Community in diesem Punkt einfach nicht besser als die Gesamtgesellschaft. Und das ist ziemlich schade. Denn eines muss uns allen bewusst sein, etwa die HĂ€lfte aller Wiener*innen haben einen Migrationshintergrund, also auch etwa die HĂ€lfte unserer Community. Wir dĂŒrfen nicht zulassen, dass die Gegner*innen einer freien Gesellschaft einen Keil durch die Mitte unserer Gemeinschaft treiben. Wenn alle Feindbilder der Rechten zusammenhalten – LGBTIQ*s, emanzipierte Frauen, Migrant*innen, JĂŒd*innen und Juden*, UmweltschĂŒtzer*innen, Gewerkschafter*innen und viele mehr, dann sind wir eine ĂŒberwĂ€ltigende Mehrheit.

Es ist immer leicht Verantwortung abzugeben. Alle, die ein kĂŒnstliches „Wir“ (die Community) gegen ein „Die“ (die Migrant*innen) konstruieren wollen und dann von „denen“ den ersten Schritt fordern, haben zwei Dinge nicht verstanden. Erstens es gibt nur ein „Wir“ und wenn „Wir“ nicht miteinander auskommen, mĂŒssen „Wir“ daran arbeiten, gemeinsam. Zweitens gibt es alle diese Schritte schon: Es gibt queere Migrant*innen Organisationen, die seit Jahren wertvolle Arbeit leisten. Wir tragen alle die Verantwortung queere RĂ€ume, in denen migrantische Perspektiven nicht auffallen oder nicht vorhanden sind, inklusiver zu machen. Nur dann können „Wir“ (alle die an einem modernen, freien Österreich arbeiten) gegen „die“ (alle die das nicht wollen) bestehen.

Von Andreas Stefani

Lambda Autor, Community & Politik