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There’s a new me coming out

Außenwahrnehmung und ständige Outings

Ich war in lesbisch-, hetero- und schwul-gelesenen Beziehungen, bin einmal que(e)r über das Genderspektrum gewandert und habe mich schon mit fünf der sechs Buchstaben im Akronym „LGBTIQ+“ identifiziert. In jeder meiner Beziehungen und an verschiedenen Punkten meiner Transition wurde ich anders wahrgenommen und Menschen sind mir dementsprechend auch anders begegnet. Das brachte sowohl kleine, unwesentliche als auch große, materielle Unterschiede, sowie mehr oder weniger physische Sicherheit mit sich. Über all diese Veränderungen hinweg gab es aber immer eine Konstante: das ständige Outing.

Mit 17 outete ich mich zum ersten Mal. Zuerst als pansexuell, was zu der Zeit niemand in meinem Umfeld verstand und worüber sich deshalb auch manche meiner Mitschüler*innen lustig machten, und dann als bisexuell – teilweise der Einfachheit halber, um mich nicht jedes Mal erneut erklären zu müssen, und teilweise, weil ich persönlich nicht so viel Wert auf die genauen Unterschiede legte. Kurz darauf kam ich mit meiner ersten Freundin zusammen und hatte meine erste lesbische Beziehung. Wir hielten oft in der Öffentlichkeit Händchen und küssten uns zur Begrüßung, auch wenn uns deshalb schiefe Blicke zugeworfen und unpassende Kommentare nachgerufen wurden. Rückblickend denke ich, dass wir uns damals der potenziellen Gefahren noch nicht so bewusst waren, oder dass wir – traurigerweise – trotz unseres jungen Alters schon sehr abgehärtet waren. Die Belästigungen, die wir als Paar erfuhren, waren nämlich denen, die wir alleine als weiblich-gelesene Personen erfuhren, sehr ähnlich: sexualisierende Kommentare, Catcalling, nachts von Männern verfolgt werden, … ganz nach dem Motto: „Auch schon egal, ob zur Sexualisierung noch zusätzlich Fetischisierung dazukommt, weil wir lesbisch sind“.

Im Laufe der Beziehung fing ich an, mich immer öfter auch nicht als lesbisch, sondern als gay zu bezeichnen. Vier Jahre später verstand ich auch warum: das Label lesbisch war für mich zu dem Zeitpunkt intrinsisch ans Frau-Sein gebunden, womit ich mich nie wirklich identifizieren konnte. Also gestand ich mir ein, dass ich eigentlich keine Frau bin und outete mich ein zweites Mal: diesmal als trans*. Im Unterschied zu meinem ersten Coming-out, bei dem meine Beziehung mehr oder weniger auf meine Sexualität schließen ließ, war das Outing als trans* um einiges mehr Arbeit. Vor meiner medizinischen Transition und auch noch einige Monate nach deren Beginn wurde ich von der Außenwelt – verständlicherweise – noch immer als weiblich gelesen. Dabei stellte ich mir oft die Frage: Ist es mir gerade den Aufwand eines Outings wert? Besonders mit dem Wissen, dass ich als transmaskuline Person, die eine Hormontherapie macht, mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit das Glück haben werde, in naher Zukunft kommentarlos richtig gegendert zu werden. Und so sollte es auch kommen: Mittlerweile ist mein Outing als trans* für Menschen, die ich neu kennenlerne, verwirrender, als wenn ich nichts sage, weil ich so gut „passe“, dass sie annehmen, ich würde eine Transition in die andere Richtung machen wollen.

Mit jedem Tag, den ich öfter richtig gegendert wurde, spürten meine zweite Freundin, mit der ich um die Zeit meiner Transition zusammenkam, und ich vermehrt die Privilegien, die mit einer (vermeintlichen) hetero Beziehung einhergehen: keine unerwünschten Flirtversuche, niemand fragte uns nach einem Dreier, folgte uns nachts nach Hause oder spuckte uns an, weil wir uns in der Öffentlichkeit küssten. Auch außerhalb der Beziehung merkte ich schnell, wie viel einfacher es ist, durch die Welt zu gehen, wenn man als Mann wahrgenommen wird. Plötzlich wurde ich in Gesprächen seltener unterbrochen, in Gruppendiskussionen wurde mehr Wert auf meine Meinung gelegt, ich bekam weniger Kritik und mehr Lob für Dinge, die eigentlich selbstverständlich sein sollten – die Liste meiner neuen Privilegien ist lang!

Je länger und konsequenter ich richtig gegendert wurde, umso wohler fühlte ich mich auch mit dem Gedanken, meine „feminineren“ Seiten mehr auszuleben – etwas, das ich früher nur als einschränkend empfunden hatte – und umso wohler fühlte ich mich auch mit dem Label „lesbisch“. Ich hatte mich immer schon sehr in romantisierten Darstellungen von lesbischer Liebe wiedergefunden und der Gedanke, plötzlich ein „langweiliger hetero Mann“ zu sein, war eine meiner größten Sorgen in Bezug auf meine Transition. Zum Glück war diese Sorge völlig unbegründet, da ich mich weder langweilig noch hetero (noch teilweise völlig wie ein Mann) fühlte. Meine Beziehung sah zwar nach außen hin hetero aus, war aber in sich doch sehr sapphisch queer und so konnte ich das Label „lesbisch“ besser von Gender-Erwartungen trennen und für mich reclaimen.

Doch kaum wurde meine Kleidung etwas körperbetonter und bunter, fingen auch schon die homofeindlichen Kommentare an. Zeitgleich verliebte ich mich auch neu – diesmal in eine männlich gelesene Person – und musste wieder umlernen, wie ich mich im öffentlichen Raum meinem Partner gegenüber verhalte. Im Gegensatz zu meiner lesbischen Beziehung war meine Homosexualität nun nämlich nicht mehr etwas, das cis hetero Männer begehrten und fetischisierten, sondern etwas, das sie offensichtlich abstoßend und vielleicht sogar bedrohlich fanden und gegen das sie sich – zumindest mit verbalen Angriffen – wehrten. Kommentare, Blicke und Sexualisierungen war ich wie gesagt schon seit meiner Jugend gewohnt, aber die akute Angst vor physischer Gewalt war größtenteils neu für mich.

Zu Beginn unserer Beziehung passierte mir auch oft, dass ich vergaß, wie wir als Paar von anderen Menschen wahrgenommen werden. Ich griff, ohne groß darüber nachzudenken, nach der Hand meines Partners und kaum sahen wir in der Ferne jemanden auf uns zukommen, ließen wir sofort wieder los. Manchmal musste mir mein Partner auch dezidiert sagen: „Hier nicht, ich möchte nicht verprügelt werden“. Solche Situationen unterstreichen, dass sich meine Erfahrung von „growing up gay“ deutlich von der queerer AMAB (Assigned Male At Birth)-Personen unterscheidet. Ich denke an meine Schulzeit zurück, spezifisch an zwei Jungs aus meiner Parallelklasse, die jahrelang von Mitschülern gemobbt, „Schw*chtel“ genannt und in Mistkübel gesteckt wurden, während in meinem Fall nur spekuliert wurde, ob ich mit meiner besten Freundin zusammen bin, und getuschelt, was wir nicht für ein süßes Paar abgeben würden.

Auch wenn alle drei Beziehungen – egal ob lesbisch-, hetero- oder schwul-gelesen – sehr unterschiedlich waren und sind, war mein Grundgefühl immer gleich: ich bin verliebt, will Zeit mit dieser Person verbringen, ihr zur Begrüßung einen Kuss geben und vielleicht ab und zu Hand in Hand durch die Stadt spazieren. Sowohl mein Geschlecht als auch das meiner Partner*innen war für mich dabei immer nebensächlich. Wieso ist es das also nicht auch für andere Menschen? So sehr ich die Privilegien einer (vermeintlichen) hetero Beziehung genossen habe, so sehr liebe ich es auch, queere Beziehungen zu führen und so sehr stört es mich, wie sehr diese Privilegien von der Wahrnehmung anderer Menschen abhängen.

„Hetero“ heißt „ungleich“ bzw. „verschieden“: Ich bin ein trans* Mann, mein Partner ist nicht-binär – wir haben nicht das gleiche Geschlecht – theoretisch (oder zumindest semantisch) sind wir also hetero, praktisch aber schwul. Das ist kein Plädoyer dafür, uns jetzt gegen jede Intuition „straight“ zu nennen (ich glaube das fänden weder mein Partner noch ich gut) aber die Diskrepanz in der Wahrnehmung unserer Beziehung begleitet mich täglich und beeinflusst mein Leben mehr, als mir lieb ist.

Von Simon Pfeifer

Journalist
(Foto Credits: Nika Pfeifer)