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Schutz vor HIV im medizinischen und pflegerischen Setting 

Immer wieder kommt es laut Erzählungen zu unkorrektem Verhalten gegenüber Menschen mit HIV im Gesundheitssystem. Oft auf Grund vermeintlicher Hygienemaßnahmen. Welchen Schutz vor HIV braucht es denn tatsächlich im medizinischen und pflegerischen Setting? Ein paar Inputs und Formulierungen möchten eine Zuordnung bieten.

Berichte und Meldungen verdeutlichen leider viel zu oft, dass Menschen mit HIV in unterschiedlichsten Lebenssituationen diskriminierend behandelt werden. Ein Bereich, der hier fast immer zuerst erwähnt wird, sind die medizinischen und pflegerischen Berufsfelder des Gesundheitswesens. Unbedingt ist festzuhalten, dass die große Mehrheit der Mitarbeiter*innen in diesen Arbeitsbereichen vollkommen adäquat mit dem Thema HIV umgeht und man keinesfalls alle Kolleg*innen in eine Schublade stecken darf. Aber klar ist auch: Überall wo es zu Ungleichbehandlungen kommt, ist Aktivität gefragt. Und es geht nicht nur z.B. um das Schaffen von Aufmerksamkeit, sondern genauso um das Hinterfragen der Ursachen einer Ungleichbehandlung, um im besten Fall Lösungen anbieten zu können. Denn häufig entsteht Ausgrenzung und Ablehnung vor allem aus Sorge vor einem eigenen potenziellen Infektionsrisiko. Das gilt selbstverständlich auch für Mitarbeiter*innen im Gesundheitssystem. Der große Vorteil von HIV: Man kann hier mit ein paar biomedizinischen Informationen ziemlich gut Ängste und Sorgen nehmen. 

Basishygiene im Arbeitsalltag 

Basis aller medizinischen und pflegerischen Tätigkeiten ist die Anwendung der standardisierten Hygienemaßnahmen zur Infektionsvermeidung. Dazu gehört z.B. die Handhygiene, das Tragen von Handschuhen oder Mund-Nasen-Schutz oder das Desinfizieren von Oberflächen, um nur einige zu nennen. Diese Maßnahmen sind ausgezeichnet als Schutz vor Infektionen geeignet, auch vor HIV. 

Interessant ist sich zu vergegenwärtigen, dass manche Hygienemaßnahmen für HIV gar nicht notwendig wären. Denn HIV ist keine Schmierinfektion und wird nicht über Oberflächen übertragen. Z.B. das Desinfizieren von Räumlichkeiten und Mobiliar ist für eine HIV-Übertragung irrelevant. HIV ist auch keine Tröpfcheninfektion und wird nicht über die Luft übertragen. Ein Mund-Nasenschutz z.B. ergibt daher in Hinblick auf HIV keinen Sinn. Oder noch ein Beispiel: HIV kann nicht über Händeschütteln übertragen werden, Handhygiene macht darum gar keinen Unterschied. Umgekehrt muss man sich aber auch vergegenwärtigen, dass diese Maßnahmen vor vielen anderen Infektionserkrankungen schützen, z.B. wenn man in der Winterzeit an Grippe oder Corona denkt. Und hier sind eben genau diese Maßnahmen essenziell. 

Kurz gesagt: Die standardisierten Hygienemaßnahmen sind Voraussetzung für professionelle Arbeit in medizinischen und pflegerischen Bereichen, da sie Mitarbeiter*innen und selbstverständlich umgekehrt auch Patient*innen ausgezeichnet vor vielen Infektionen schützen. Und man kann in der Formulierung sogar ein Stück weiter gehen: In Bezug auf HIV sind diese durchschnittlichen Schutzmaßnahmen im Arbeitsalltag eigentlich zum Teil übertrieben. 

PEP im Arbeitsalltag  

PEP steht für Postexpositionsprophylaxe und ist die Einnahme von HIV-Medikamenten direkt nach einem möglichen Viruskontakt. Die Art des Risikokontaktes ist dabei grundsätzlich unerheblich, daher kann die PEP sowohl im Privatleben, als auch im Arbeitsleben Schutz bieten. Tatsächlich ist die PEP in der Lage eine HIV-Infektion im Nachhinein sehr effektiv zu verhindern, sofern sie früh genug eingesetzt wird. Das Wissen um diese zusätzliche Schutzmöglichkeit kann (z.B. nach einer versehentlichen Schnittverletzung mit Blutkontakt) also das Arbeitsleben emotional deutlich entspannen.  

Auch hier ist wieder wichtig, sich genauer anzuschauen, wann eine PEP überhaupt eingesetzt wird. Bei Blutkontakt mit intakter Haut etwa ist eine PEP nicht indiziert: Es handelt sich um kein HIV-Infektionsrisiko. In so einer Situation sind Maßnahmen in Hinblick auf den HIV-Statuts der jeweiligen Patient*innen als Kontaktperson schlichtweg nicht notwendig.  

Wirklich interessant wird daher, wann man denn tatsächlich Unterschiede zwischen den Kontaktpersonen in Bezug auf HIV macht und somit unterschiedliche Maßnahmen sinnvoll sein können.  

Seit vielen Jahren ist bekannt, dass die HIV-Übertragungswahrscheinlichkeit von der Menge der Viren abhängt. Als Milchmädchenrechnung ausgedrückt: wo wenig bis kein Virus ist, kommt es auch zu wenig bis keinen Infektionen. Dieser Effekt hat auch Einfluss darauf, bei welchem Kontakt im Arbeitsalltag eine PEP hilfreich ist. So ist z.B. bei einer perkutanen Stichverletzung mit einer Injektionsnadel oder einer Schnittverletzung mit einem kontaminiertem Skalpell die PEP empfohlen. Allerdings nur, wenn die Person, mit deren Blut es Kontakt gab, eine HI-Viruslast oberhalb der Nachweisgrenze hat oder der Infektionsstatus unbekannt ist. Weiß man hingegen, dass die Person mit HIV lebt und dank effektiver Therapie eine Viruslast unter der Nachweisgrenze hat, dann wird das Risiko deutlich geringer eingeschätzt, oder konkret: PEP kann angeboten werden. Das Differenzierung zwischen „empfehlen“ und „anbieten“ zeigt den klaren Unterschied im Risiko auf. Selbst bei einer Stichverletzung mit Blutkontakt wird genauso unterschieden. Bei einer oberflächlichen Verletzung ohne Blutfluss (z.B. ein Kratzer mit chirurgischer Nadel) bietet man bei unbekannter oder untherapierter HIV-Infektion der Kontaktperson eine PEP an. Ist die Kontaktperson mit der Viruslast unter der Nachweisgrenze, ist eine PEP nicht indiziert, da kein Risiko besteht. 

Für Mitarbeiter*innen der medizinischen und pflegerischen Berufe bedeutet das konkret: wenn Patient*innen in der Anamnese eine HIV-Infektion angeben, dann braucht man sich bei einem Arbeitsunfall sozusagen weniger Sorgen machen, als bei Menschen, die ihren Status nicht kennen. Denn auch in Österreich sind fast alle Menschen mit HIV, die medizinisch betreut werden, dank effektiver Therapie mit der Viruslast unter der Nachweisgrenze. Erneut kann man daher in der Formulierung weiter gehen: Zusätzliche oder andere Schutz- und Hygienemaßnahmen sind insbesondere bei Patient*innen mit bekannter HIV-Infektion aus biomedizinsicher Sicht unlogisch.

U = U als Hintergrundinformation 

Der oben beschriebene Effekt, dass das Infektionsrisiko mit der Menge an HI-Viren im Körper und daher auch mit dem Therapiestatus zusammenhängt, hat nicht nur Auswirkungen auf die PEP. Im sexuellen Setting spielt er nochmals eine ganz andere und besondere Rolle. Denn große Studien und Beobachtungen haben gezeigt, dass HIV bei einer Viruslast unter der Nachweisgrenze sexuell nicht übertragen werden kann – kurz mit dem Slogan „U=U“ für „undetectable equals untransmittable“ zusammengefasst. Nachdem es hier um den sexuellen Kontext geht, hat U=U grundsätzlich mit dem medizinischen und pflegerischen Arbeitsalltag keinen Zusammenhang. Es sei denn, es entsteht am Arbeitsplatz eine Beziehung (auch wenn dies rechtlich problematisch sein kann). Dann ist U=U als Hintergrundinformation ein wunderbarer Aspekt für das Sexualleben.  

Fazit 

Ablehnung oder gesonderten Behandlung von Menschen mit HIV aus Gründen des Infektionsschutzes ergeben im Arbeitsalltag der Gesundheitsberufe keinerlei Sinn. Denn mit den üblichen Hygienemaßnahmen braucht man sowieso keine Angst vor einer HIV-Infektion haben. Und wenn Patient*innen in der Anamnese eine effektiv therapierte HIV-Infektion angeben, wird auch bei einem Arbeitsunfall das Risiko deutlich geringer eingeschätzt. Oder wieder anders formuliert: Gerade im Umgang mit den Menschen, die ihren HIV- Status in der Anamnese angeben, ist tatsächlich weniger Sorge vor einem HIV-Infektionsrisiko angebracht, als bei anderen Patient*innen.

Von Birgit Leichsenring

Mikrobiologin und biomed. Wissenschaftskommunikatorin (www.med-info.at)