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Queeres Ehrenamt und seine Grenzen

Was zu selten gesagt wird: Danke an alle Ehrenamtlichen, die unsere Community am Laufen halten, von gelegentlichen Hilfen bei Großevents wie der Regenbogenparade bis zu regelmäßigem Engagement in Gruppenbetreuung und Gremienarbeit. Die Arbeit dieser Heerschaar an Freiwilligen ist wortwörtlich unbezahlbar. Ehrenamt ist großartig und die Grundlage für alles, was unsere Community bis heute aufgebaut und erreicht hat. Gleichzeitig reicht sie nicht aus, denn es gibt Bereiche wie Großveranstaltungen, Jugendarbeit, Verwaltung und Beratung, die oft ein erhöhtes Maß an Professionalisierung erfordern, die nur durch Berufsausbildungen und bezahlte Hauptamtlichkeit erreicht werden kann.  

Grundsätzlich hat es viele Vorteile, wenn in Organisationen viel Ehrenamt stattfindet: Es macht sie unabhängiger als Organisationen, deren Räumlichkeiten und hauptamtliche Jobs direkt von politischen Fördergebern abhängen. Eine solche Unabhängigkeit ist vor allem für Interessensvertretungen wie die HOSI Wien unabdingbar. Weiters gibt uns die breite Beteiligung von Ehrenamtlichen (über alle Arbeitskreise hinweg weit über hundert Aktivist*innen) mehr Legitimität bei unserer Lobby-Tätigkeit. Auch leisten wir bessere Arbeit, wenn vielstimmiges konstruktives Feedback gegeben wird; damit wird die soziale Echokammer, in der wir uns bewegen, größer. So ermöglicht breite ehrenamtliche Beteiligung demokratische Teilhabe, die ich bei Organisationen mit einem hohen Grad an Hauptamtlichkeit (zum Beispiel Parteien) oft vermisse. Wo starke Hauptamtlichkeit einer kleinen oder rasch wechselnden ehrenamtlichen Struktur entgegensteht, kommt es unweigerlich zu Macht- und Informationsasymmetrien. Und letztlich lässt sich die unglaubliche Anzahl der (ehrenamtlichen) Mitarbeiter*innen, die für die Regenbogenparade notwendig sind, niemals durch Hauptamtliche ersetzen, das wäre unfinanzierbar. 

Stärker, demokratischer, legitimer und unabhängiger. Ehrenamt kann also alles? Nein und das muss es auch nicht.  

Einerseits gibt es Bereiche, in denen Angestellte bestehendes Ehrenamt entlasten und so Ressourcen freisetzen können. Unser ausgezeichnetes Büroteam ist unverzichtbare Voraussetzung für die Arbeit in der HOSI. Sekretariat und Buchhaltung halten Aktivist*innen wie mir den Rücken frei.  

Andererseits gibt es spezialisierte Skills wie Eventmanagement, Pädagogik, Geschichtsforschung, und vor allem Sozialarbeit, die von nicht-ausgebildeten Ehrenamtlichen kaum ausgeführt werden können, wie auch im „Jugendstil“ dieser Ausgabe thematisiert wird. Und auch die Organisation von Großevents mit hunderttausenden Teilnehmern und großen Risiken, wie die Vienna Pride, benötigt professionelle hauptamtliche Unterstützung und Koordination der hunderten Ehrenamtlichen. Und da gibt es gute Entwicklungen: Die COURAGE ist ein breit aufgestellter psychosozialer Dienst, QWIEN übernimmt Aufarbeitung und Archivierung queerer Geschichte. Trotzdem klaffen breite Lücken, gerade im Vergleich mit anderen Ländern Westeuropas. In Wien sperrt zwar (hoffentlich bald) das österreichweit erste queere Jugendzentrum mit hauptamtlichen Sozialarbeiter*innen auf, aber halt auch nur in Wien. Die meisten Österreicher*innen leben nicht in der Nähe einer solchen Einrichtung. Von einer niederschwelligen Anlaufstelle für alle, wie sie beispielsweise die Schwulenberatung Berlin, die rubicon e.V. in Köln oder die Weissenburg e.V. in Stuttgart nur über hauptamtliche Strukturen anbieten können, ist weit und breit nichts zu sehen. Ebenso haben wir bei der Versorgung von älteren queeren Menschen großen Nachholbedarf. Gerade als marginalisierte Gruppe sind queere Menschen besonders angewiesen auf gut finanzierte Strukturen und es kann nicht angehen, dass hier notwendige staatliche Aufgaben durch die Ausbeutung von Ehrenamtlichen erbracht werden. Wir müssen diese queer spezifischen Lücken rasch schließen. Bis es so weit ist, werden wir Ehrenamtlichen mit Herzblut die Unzulänglichkeiten von Politik und Verwaltung so gut es geht ausgleichen. Das machen wir und unsere Vorgänger*innen eh schon immer.

Von Peter Funk

Arbeitsgruppe Internationales
HOSI Wien
(Foto: © Marie Dvorzak)