Unter der Überschrift ,,United in Diversity‘‘ präsentiert sich die Europäische Union seit 2000 als weltoffen und divers. Auch in der europäischen Gesetzgebung spielen Vielfalt generell und queere Rechte im Speziellen eine immer größere Rolle. Aber wieviel steckt hinter den schönen Worten und wo soll es hingehen mit der EU? Theresa Bielowski ist seit 2022 sozialdemokratische Abgeordnete im Europäischen Parlament, Mitglied in der LGBTIQ-Intergroup und selbst lesbisch. Sie hat sich mit LAMBDA getroffen und sich unseren Fragen gestellt.
Lambda: Was hat dich motiviert in die Politik zu gehen und spielt deine queere Identität dabei eine Rolle?
Theresa Bielowski: Ich glaube immer, dass die eigene Positionierung und die Forderungen, die für das eigene Leben wichtig sind, sich idealerweise auch in politische Forderungen übersetzen sollten. Wenn ich eine queere Frau bin und ich hätte gern, dass man diesen Bereich Gleichstellung erreicht, ist es immer gut, wenn man das selbst in ein politisches Engagement übersetzt. Die eigenen Bedürfnisse rauszutragen, ist etwas ganz Wichtiges. Das habe ich auch gemacht. Man kann nicht Sozialdemokratin sein, ohne die Gleichstellungsagenden und damit auch die Forderungen aus queerer Politik in den Vordergrund zu stellen.
Lambda: Und im EU-Parlament, würdest du sagen, dass dort die queere Repräsentation ausreichend ist?
Theresa Bielowski: Ich würde sagen, dass queere Repräsentation nie irgendwo ausreichend ist. Und zwar nicht nur in Bezug auf queer, sondern überhaupt in Bezug auf Diversität. Ich denke, dass das Thema sehr ernst genommen wird, aber das bedeutet nicht, dass man das in der Repräsentation wiedererkennt. Ich würde mir mehr queere Abgeordnete wünschen, aber es gibt natürlich eine große Verbesserung, wie vergleichsweise vor 20 Jahren. Da geht man einen guten Weg. Das ist immer so diese Balance: Bin ich zufrieden mit dem Ist-Zustand? Nein. Bin ich trotzdem erfreut über den Prozess, der passiert? Ja.
Lambda: Wenn du deine politische Motivation oder deine Grundhaltung in 3 Schlagwörter beschreiben müsstest. Welche wären das?
Theresa Bielowski: Solidarität, Diversität und Aktionismus.
Lambda: Du bist Mitglied der LGBTIQ-Intergroup, vermutlich wissen viele unserer Leser*innen nicht genau, was eine Intergroup ist. Was macht ihr da eigentlich?
Theresa Bielowski: Im Parlament passiert ein Großteil der Arbeit in Ausschüssen. Dort wird verhandelt und danach gehen die Ergebnisse in die Gesamtheit des Plenums. Es gibt aber auch Themenbereiche, die keinen eigenen Ausschuss haben, sondern in mehreren Ausschüssen verankert sind. Zu diesen Themen gründet man Intergroups, um sich dort ausschussübergreifend auszutauschen. Es hat auch eine große Solidaritätskomponente, sich als queere Abgeordnete, oder Ally, zusammenzufinden und Teil dieser Gruppe zu sein.
Lambda: Welche behandelt ihr denn gerade in der Intergroup?
Theresa Bielowski: Wir setzen immer einen großen Fokus auf die Organisation von Veranstaltungen, da Sichtbarkeit für uns ein wichtiger Punkt ist. Inhaltlich wird über viele verschiedene Themen diskutiert. Die Diskussion über die Rechte im Zusammenhang mit dem Arbeitsmarkt und mit dem, was da alles dranhängt, zum Beispiel wie das Ehegesetz in den einzelnen Mitgliedstaaten beurteilt wird, oder welche Klagsmechanismen es wo gibt. Das steht aktuell für die Intergroup im Vordergrund.
Lambda: Wir steuern 2024 auf ein Superwahljahr zu. In Österreich finden nicht nur im Juni die EU-Parlamentswahlen statt, sondern auch im Herbst die Nationalratswahlen. Mit welchen Emotionen gehst du als Europäerin und Sozialdemokratin in dieses Wahljahr?
Theresa Bielowski: Ich gehe immer mit viel Hoffnung und Optimismus in diese Auseinandersetzungen, aber gleichzeitig gebe ich gerne zu, dass ich mir Sorgen mache. Ich mache mir Sorgen um den Rechtsruck und welche Entscheidungen Wähler*innen treffen, wenn sie sich fürchten, vor dem, was auf der Welt passiert. Ich denke trotzdem, dass es ein paar Indikatoren gibt, die man auch als positiv werten kann. Wir sprechen zurzeit viel über Verteilungsgerechtigkeit und über Solidarität und auch darüber, wie man das gesetzlich umsetzen kann, gerade in Österreich. Das stimmt mich wieder hoffnungsvoll.
Lambda: Planst du nächstes Jahr eigentlich den Wiedereinzug ins Parlament?
Theresa Bielowski: Ich werde auf jeden Fall kandidieren.
Lambda: Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (EVP) sagte 2020, dass man innerhalb von fünf Jahren die Lebensqualität queerer Menschen steigern möchte, und daraufhin wurde ein Fünfjahresplan vorgelegt. In diesem steht unter anderem, dass man die Diskriminierung am Arbeitsplatz bekämpfen und man im Allgemeinen die Rechte stärken wolle. Was ist denn deine Einschätzung dazu – wie läuft die Umsetzung dieses Plans?
Theresa Bielowski: Ich glaube, dass das mit diesem Umsetzungsplan ernst gemeint war, aber ich muss auch sagen, dass ich kritisch abwartend dem Ganzen gegenüber stehe – weil wenn wir in die Vergangenheit schauen, dann sind Dinge, die wir als bahnbrechend bezeichnen, eigentlich nichts gewesen, was die Kommission dem Parlament vorgelegt hatte, sondern es waren oft EuGH Urteile, die das ausgelöst haben. Es wäre jetzt der Zeitpunkt da, proaktiv zu sein. Ich hätte auch gerne eine Zuständigkeit in der Kommission. Eine Stelle, die ausschließlich dafür zuständig ist, sich die Gesetzgebungsprozesse in diesem Bereich der queeren Politik anzuschauen. Natürlich ist das Teil von vielen Kontexten, aber ich glaube gerade deshalb besteht auch die Gefahr, dass Möglichkeiten für Verbesserungen übersehen werden.
Lambda: So eine Art LGBT oder Diversity Kommissar*in?
Theresa Bielowski: Genau.
Lambda: Es gibt leider heutzutage immer noch viele Menschen, die sich nicht trauen sich am Arbeitsplatz zu outen. Was fehlt denn da noch? Tut die EU da genug?
Theresa Bielowski: Wir haben die Richtlinie, die Diskriminierung am Arbeitsplatz verbietet und die ist gut und wichtig. Dennoch brauchen wir Mechanismen, die auch den kleinen Diskriminierungen entgegenwirken. Was die EU und das Europäische Parlament richtig macht, ist, dass man viel Geld in die Hand nimmt für Workshops, Projekte und Ausschreibungen für Programme. Man kann auf diesem Weg viel erreichen, aber ich denke, dass man sich da noch mehr in eine Auseinandersetzung begeben müsste. Man müsste sich überlegen, wie man Firmenerreicht, um sie zu motivieren, nicht nur Vorgaben umzusetzen, sondern sich mit Diskriminierung mehr auseinanderzusetzen.
Lambda: Wir haben in der europäischen Union, Länder wie Polen oder Ungarn, in denen die Lage für queere Menschen sehr schwierig ist. Bist du der Meinung, dass die Europäische Union da konsequent genug ist, oder hat sie da ein Blind-eye?
Theresa Bielowski: Da bin ich hin und her gerissen. Die Europäische Union hat kein Blind-eye, es wird da drauf geschaut, es wird harsch kritisiert und es wird benannt. Es gibt auch eine Konsequenz dazu. Es fehlt manchmal noch an der richtigen Strategie. Innerhalb der Europäischen Union könnte man mutiger sein. Noch schneller, also zum Beispiel Ungarn nicht den Ratsvorsitz geben. Gelder zu streichen, ja, aber da könnte man noch konsequenter auftreten. Den Menschen in Ungarn oder Polen wird nicht unmittelbar geholfen, wenn man sanktioniert, sondern man muss sich überlegen, wie man diese Menschen nicht verliert.
Lambda: Dann sind wir eigentlich schon bei der letzten Frage angekommen: Willst du unseren Leser*innen noch irgendetwas mit auf den Weg geben?
Theresa Bielowski: Ich würde gerne mit auf den Weg geben, dass man sich unbedingt in irgendeiner Art und Weise politisch engagieren sollte, egal in welcher Form, aber es ist wichtig, dass wir alle am politischen Geschehen teilhaben. Wählen gehen ist ein guter Anfang. Also bitte, tut etwas, geht auf die Straße, engagiert euch, oder tretet einmal mit Politiker*innen der demokratischen Parteien in Kontakt, die für euch wie eine gute Allianz wirken, aber macht euch hörbar, sichtbar und bemerkbar.
Das Gespräch führten Christoph Aigner und Peter Funk der Arbeitsgruppe Internationales HOSI Wien