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Editorial Schwerpunkt

Sind Pornos letztlich auch nur Ego-Shooter?

Die Forderung nach dem Verbot von Pornographie ist vermutlich so alt wie die Pornographie selbst. Was früher noch als anstößig galt, ist heutzutage schon salonfähig. So kann es einem angesichts der Entwicklungen in den letzten 100 Jahren bezüglich Pornographie vorkommen. Dabei gehen die Aufzeichnungen über die Darstellungsformen menschlicher Sexualität viel weiter zurück, als es die immer wieder aufflammende Empörung darüber vermuten ließe.

Ist die Darstellung von Sexualität(en) in all ihren Facetten eine direkte Aufforderung zur Nachahmung?

Nehmen wir als Beispiel den öffentlichen Diskurs über die Auswirkungen, bzw. das mögliche Verbot von Ego-Shootern. Auch hier ging die Allgemeinbevölkerung scheinbar davon aus, dass die Darstellung von Waffengewalt zur Waffengewalt führe. Das heißt, eher die Normalisierung der mit Schusswaffen begangenen Verbrechen. Eine auffällig hohe Zahl der Täter, es wurden fast ausschließlich junge Männer erfasst, spielten vor ihrer Gewalttat irgendwann mal sogenannte Ego-Shooter. Jedoch ließ sich der Verdacht auf eine direkte Motivation durch die Spiele bei späteren Untersuchungen nicht erhärten. Vielmehr fehlten ihnen die kognitiven und emotionalen Werkzeuge, das Fiktive vom Realen abzugrenzen. Bei der Radikalisierung und Dissoziation spielten Ego-Shooter eine untergeordnete Rolle. Für die meisten der anderen Konsument*innen dienen solche Spiele als Ablenkung vom Alltag, als absurde Unwirklichkeitsdarstellung, als Erleben des im realen Leben Unvorstellbaren.

Nun ist es bei der Darstellung von Sexualität anders. In der Theorie könnte jede Person die dort gezeigten Praktiken selbst anwenden und erleben, zumindest scheint es so. Es werden vermeintliche Alltagssituationen nachgestellt, die Darstellenden stammen je nach Genre aus allen Altersgruppen zwischen achtzehn und alt, haben alle möglichen sexuellen Vorlieben, entsprechen oft dem momentanen Schönheitsideal, andere Male jedoch wieder nicht. Dabei konsumiert der Durchschnitt zumindest ein Mal im Leben, oder sogar regelmäßig, Pornos über sexuelle Tätigkeitsfelder, die er selbst nie betreten hat, und selbst in der Zukunft womöglich gar nicht erst betreten möchte. Und trotzdem haben wir oft den Eindruck, Pornos bilden die Realität ab. Warum?

Ähnlich wie bei Ego-Shooter, fehlen uns oft die Werkzeuge, um die in das Kostüm der Realität gekleidete Darstellung als das, was sie eigentlich ist, nämlich Fiktion, zu entlarven. Deshalb fordern immer mehr Expert*innen die frühe Vermittlung der sogenannten Pornokompetenz. Sie gilt als Schlüssel im Umgang mit pornographischen Darstellungen, in einer Zeit, in der bereits Jugendliche leicht auf sie stoßen.

Die Chancen und Herausforderungen im Umgang mit Pornographie, gestern, heute und morgen, betrachten wir in unseren laufenden Kolumnen quer durch den Regenbogen, wie auch in einigen Gastbeiträgen. Da ich für diese Ausgabe wieder die Ehre hatte, die Chefredaktion zu übernehmen, möchte ich unseren Leser*innen besonders das Interview mit den Verantwortlichen des Pornfilmfestival Vienna ans Herz legen. Außerdem finden sich über das ganze Heft verteilt die Bilder zur kommenden Ausstellung “PorNO/PorYES”, zu der wir als Redaktion gerne zum Release-Event, am 07.03.23 um 19 Uhr, ins Gugg laden möchten.

Denn so eindeutig, wie es die 1987 initiierte “PorNO”-Kampagne vermuten ließ, ist die Antwort auf die Frage, ob Porno unterstützenswert ist, ganz und gar nicht.

Mögen die Hirne und die Herzen offen sein für die bevorstehenden Seiten!

Von Mo Blau

HOSI Wien transgender Referat, früher Coming-Out-Team
(Foto: © Marie Dvorzak)