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Editorial Schwerpunkt

Widersprüchlich, irrational und moralinsauer

Porno also. Stellen wir zuerst einmal das Off ensichtliche fest: Beinahe alle haben schon mehr als einmal aus freien Stücken Pornos konsumiert. Vor dem Internet musste man dafür bezahlen, heute gibt es online mehr kostenlos, als man in einem ganzen Leben sehen könnte. Das ist sicher zahlenmäßig eine neue Entwicklung, aber nicht grundsätzlich: Pornographie gibt es buchstäblich, seit es den Menschen gibt, selbst unter Höhlenmalereien wurden Sexszenen gefunden. Eine für unsere Community besondere Relevanz haben natürlich die bekannten homoerotische Szenen auf den Vasen der griechischen Antike.

Da drängt sich doch die Frage auf: Wieso ist das so ein heikles, tabuisiertes Th ema? Wie haben wir es als vermeintlich aufgeklärte, liberale Gesellschaft geschafft , dass es ganz offi ziell und reguliert eine milliardenschwere Industrie gibt, sich aber kaum jemand völlig wohlfühlt zu erzählen, ihr*e Kunde*Kundin zu sein?

Vor allem ist da das Tabu der Sexualität an sich. Es gibt nur wenige Menschen, die überall ohne Zögern über ihre Vorlieben sprechen, oder anderen Menschen dabei gerne zuhören. Das gilt genauso für den Sex mit den eigenen Händen. In manchen Bereichen ist dieses Tabu sicher wichtig und ein Schutz Schwächerer (besonders offensichtlich im Fall von Inzest), aber es hat mit seiner Scham, seiner Sprachlosigkeit, seinem erzwungenen Unwissen und dessen Folgen auch viel Leid gebracht. Das könnte man als ein weiteres Beispiel für die Schwierigkeit ethischer Gratwanderungen sehen. Doch es steht im krassen Widerspruch zur sonstigen Sexualisierung unserer Gesellschaft: Selbst Konsumgüter werden mit Sex oder sexuellen Anspielungen beworben, bis vor wenigen Jahren hatte die auflagenstärkste Zeitung des Landes täglich das Foto einer nackten Frau, und zurecht stört sich heute kaum noch jemand an Werbung für Viagra.

Unser Umgang mit Sex ist also nach wie vor eher irrational. Das liegt sicher auch an der Verletzlichkeit, die die meisten von uns mit der eigenen Nacktheit verbinden. Da kommt ein gewisses Maß an Verdrängung ganz gelegen. Und so werden dann auch Prostituierte an den Stadtrand gedrängt, die früher zentral um Freier geworben haben, wenn nicht gleich ganz ein Verbot gefordert wird, das, wie man etwa in Schweden sieht, ähnlich erfolglos ist wie die Kriminalisierung von Drogen oder früher das Verbot von Abtreibungen. Das Verbot von Prostitution wäre in den 70ern übrigens beinahe das Ende der amerikanischen Porno-Industrie gewesen, als Kalifornien versuchte, die Bezahlung der Darsteller*innen für Sex als Prostitution strafrechtlich zu verfolgen. Allerdings scheiterten dieser Versuch beim Supreme Court von Kalifornien aufgrund der Kunstfreiheit. Merke: Für Sex bezahlen ist verboten, außer es läuft daneben eine Kamera und man zeigt es nachher.

Ein tatsächlich neues Phänomen ist dank dem Internet dazugekommen, nämlich das der Eigenvermarktung der Darsteller*innen. Auf entsprechenden Plattformen können sie selbst den Preis festsetzen, zu dem die Zuseher*innen Zugriff auf ihre Videos bekommen, und müssen diesen Verdienst nicht mit den Studios teilen. Damit wird die Karriere als Pornodarsteller*in ähnlich einfach (oder schwer) wie jene als YouTube-Star. Es ist zumindest ein Fortschritt, wenn die Models damit eine Alternative zu den Studios haben, wenn die dortigen Arbeitsbedingungen inakzeptabel sind. Über diese wird nämlich tatsächlich selten gesprochen, wenn es um Pornos geht, und wenn, dann wird über die Models gesprochen, kaum je mit ihnen. Wie so oft bei Sexarbeit.

Es wäre jetzt einfach, die Gesellschaft – und damit alle und niemanden – ob ihrer Heuchelei zu geißeln. Aber das wäre erstens zu billig und zweitens wird das Thema ohnehin schon in Moralinsäure gebadet, mehr wäre wirklich überflüssig. Daher bleibt an dieser Stelle nur festzustellen, dass die Diskussion offener, rationaler und vor allem aus möglichst vielen Perspektiven geführt werden sollte. Das ist der Beitrag, den dieser Lambda-Schwerpunkt hoffentlich leisten wird.

Von Moritz Yvon

HOSI Wien Vereinssekretär, früherer Obmann HOSI-Wien
Foto: Matt Observe