Homosexuelle als Opfer des Nationalsozialismus in Wien
Vom Mai bis November 2022 veranstaltete QWIEN, das Wiener Zentrum fĂŒr queere Geschichte, eine zehnteilige Vortragsreihe zur Geschichte von MĂ€nnern und Frauen, die wegen ihrer HomosexualitĂ€t verfolgt wurden. Im Rahmen der Abschlussveranstaltung referierten die drei Historiker Luis Paulitsch, Franz X. Eder und Hannes Sulzenbacher ĂŒber Homosexuelle als Opfer im Nationalsozialismus in Wien.
Luis Paulitsch befasste sich mit der Strafjustiz in der sogenannten Ostmark. Paulitsch ist Jurist und als Ethiker und Zeithistoriker des Ăsterreichischen Presserats tĂ€tig. Er fokussierte sich auf Gerichtsverfahren, die zwischen 1938 und 1945 am Landesgericht Wien stattfanden und durch mehrere Instanzen gingen. Dabei entstand ein Spannungsfeld zwischen vordergrĂŒndiger ObjektivitĂ€t und gezielter UnterdrĂŒckung.
Die Rolle der Justiz
In der NS Zeit wurde die Rolle der Justiz anders gesehen: Die Justiz hatte den Boden der Existenz der Nation zu bieten und sich so am Willen der deutschen Volksgemeinschaft zu orientieren. Es war nicht mehr die Aufgabe der Gerichte, die Rechte der Individuen zu schĂŒtzen. Vor diesem Hintergrund ĂŒberrascht es nicht, dass auch die österreichischen Gerichte nach dem Anschluss zum Werkzeug nationalsozialistischer MachtausĂŒbung wurden. Wenige Wochen nach dem Anschluss kam es zunĂ€chst zu personellen SĂ€uberungen. JĂŒdinnen und Juden wurden aus der Rechtsprechung und Justizverwaltung ausgeschlossen. Den Nazis kam es damals gelegen, dass viele StaatsanwĂ€lte und Richter mit der NS-Ideologie sympathisierten. Neben den personellen SĂ€uberungsmaĂnahmen kam es auch zur Eingliederung der österreichischen Justiz in die deutsche Gerichtsordnung. Es spricht aus heutiger Sicht einiges dafĂŒr, dass Ăsterreich fĂŒr die Nazis zunĂ€chst ein Experimentierfeld darstellte, um Rechtsangleichungsprobleme auszuloten, wie sie dann im Zuge der Annexion, also der Eroberung weiterer Gebiete auftreten wĂŒrden.
In der NS-Ideologie stellte die diverse beziehungsweise queere Kultur der Zwischenkriegszeit eine der Antipoden ihrer imaginierten gesunden heterosexuellen arischen Gesellschaft dar. Zum einen, weil Homosexuelle angeblich das Volkswachstum quantitativ negativ gefĂ€hrdeten, nĂ€mlich durch die Vergeudung von Zeugungskraft. Dazu kam die Vermischung und Abgrenzung von homosozialen und homoerotischen MĂ€nnerbeziehungen in den eigenen NS-Organisationen. Homosexuelle Handlungen wurden hier als eine Art Seuche angesehen, die von Ă€lteren auf jĂŒngere Personen ĂŒbertragen wurden. JugendfĂŒhrer, Priester und Lehrer, die sich an Knaben heranmachten, Offiziere, die junge Soldaten verfĂŒhrten, also jene Typen, die den autoritĂ€r strukturierten MĂ€nnerbund angeblich konterkarierten. Die NS-Ideologen sahen nicht-heterosexuelles Verhalten auch deshalb als problematisch, weil es aus der polaren Zweigeschlechtlichkeit herausfiel. Gerade in Gerichtsakten und Gutachten wurde immer wieder auf die Vermischung und Auflösung der angeblich natĂŒrlichen beziehungsweise gesunden Geschlechtergrenze hingewiesen. Bei der Zuschreibung polarer Geschlechterrollen ging es vor allem darum, ob eine Person bei der sexuellen Interaktion den initiierenden, treibenden Part eingenommen hatte und damit der TĂ€ter oder die TĂ€terin war. Es ging vor allem um die sogenannte âAusrottung der HomosexualitĂ€t als Entartungsformâ und damit um jene Personen, die andere zu diesen Handlungen verfĂŒhrten oder sogenannte WiederholungstĂ€ter*innen waren. Als hĂ€ufigste Verteidigungsstrategie beriefen sich deshalb die Angeklagten darauf, durch eine insbesondere Ă€ltere Person, verfĂŒhrt geworden zu sein. Die sogenannten âTĂ€ter*innenâ machten nur rund zwei Prozent der in gleichgeschlechtlicher Handlung involvierten StraftĂ€ter*innen aus. Die MajoritĂ€t an MitlĂ€ufer*innen und VerfĂŒhrten sollten hingegen das Potential zur Besserung oder Heilung haben.
Drei FĂ€lle
Bei dem vorgestellten Fall des Hamburger Harry Helmut ist zu erkennen, die Strafen nach der NS-Zeit liefen weiter und Homosexuelle wurden vor, wĂ€hrend und nach der NS-Zeit verfolgt. Harry Helmut arbeitete als Kellner in einem CafĂ©, wo er âwarmer Kellnerâ genannt und infolge abgewertet wurde, worauf er in die FĂ€nge der Wiener Kriminalpolizei geriet. Obwohl unbescholten, wurde Harry Helmut als gefĂ€hrlicher Gewohnheitsverbrecher zu zwei Jahre Zuchthaus verurteilt. Das wurde damit begrĂŒndet, dass hier eine mehrfache strafbare Handlung mit bösem Vorsatz vorlĂ€ge. Besonders ein Argument fĂ€llt auf: Die möglichen Straftaten sind âeine erhebliche Störung des geordneten Gemeinschaftslebensâ. Nach dem zugrundeliegenden Paragraphen hĂ€tte hier auch eine Sicherungsverwahrung angewandt werden können, mit der ein Individuum unter UmstĂ€nden auch dauerhaft von der Gemeinschaft ausgeschlossen werden konnte. Es kam anders: Harry Helmut wurde, nachdem das Dritte Reich besiegt worden war, Anfang 1945 vorzeitig aus der Haft entlassen. Seine Spur verlor sich, bis er 1953 in einer Pension in der WĂ€hringer StraĂe eincheckte und nach einer Hotelmeldung die österreichischen Behörden aufmerksam wurden. ZunĂ€chst wurde amtlich festgestellt, dass er eine von einem nationalsozialistischen Gericht verfĂŒgte Strafe noch nicht abgebĂŒĂt hatte. Anders als in anderen FĂ€llen wurde er dann aber nicht verhaftet, sondern erhielt einen bedingten Strafnachlass auf eine Probezeit von drei Jahren.
In einem anderen Fall, ĂŒber das die Vortragenden berichteten, wurde das gesunde Volksempfinden zum Vorteil der Angeklagten in Stellung gebracht. Hier ging es um mögliche Straffreiheit von zwei Frauen aus Hindenburg, aus dem sogenannten âAltreichâ. In Deutschland waren zum Unterschied zu Ăsterreich gleichgeschlechtliche Handlungen unter Frauen niemals unter Strafe gestanden. Eigentlich handelte es sich um Ermittlungen wegen Diebstahls, bei denen die Kriminalpolizei Aufzeichnungen und Briefe fanden, aus denen nach Ansicht der Polizei klar hervorging, die beiden Hilfsarbeiterinnen standen in widernatĂŒrlicher Beziehung zueinander. Die unterschiedlichen Strafrechtssysteme des ehemaligen Ăsterreich und Deutschland verhalfen den beiden Frauen zunĂ€chst zu einem Freispruch, was ihre homosexuellen Beziehungen betraf, jedoch nicht des Diebstahles, den beide gestanden. Denn beide argumentierten vor Gericht, nicht gewusst zu haben, dass ihre Handlungen in Ăsterreich strafbar waren. Darauf wurde in der UrteilsbegrĂŒndung eingegangen: âEs wĂ€re eine unbillige HĂ€rte und wĂŒrde auch dem gesunden Volksempfinden widersprechen eine Tat, die [âŠ] in Unkenntnis der Strafbestimmung [begangen wurde] zu bestrafenâ. Diese Interpretation wurde aber in der Berufung als verfehlt bezeichnet und beide Frauen zu schwerem Kerker verurteilt.
Zuletzt noch ein Beispiel fĂŒr das besondere Augenmerk der NS-Zeit auf die sogenannte Volkskraft: In einem Fall von Onanie unter Wehrmachtssoldaten wurde 1944 der TĂ€ter zu einem Jahr GefĂ€ngnis sowie militĂ€rischem Rangverlust verurteilt. In der UrteilsbegrĂŒndung wurde argumentiert, ââŠdass die Seuche der HomosexualitĂ€t die Volkskraft bedroht, schon in ihren Keimen mit aller Energie bekĂ€mpft werden muss. Ganz besonders ist dies innerhalb der Wehrmacht und vor allem im Kriege notwendigâŠâ.
Passend dazu ist auch das Buch âFranz. Schwul unterm Hakenkreuzâ von JĂŒrgen Pettinger zu empfehlen, weil die Geschichte von Franz Doms aufzeigt, wie drastisch in der NS-Zeit geglaubt wurde, die nationalsozialistische Volksgemeinschaft mĂŒsse geschĂŒtzt werden.
AbschlieĂend ist nach diesem kurzen Einblick in die Vortragsreihe noch darauf hinzuweisen, dass ab Juni alle VortrĂ€ge auch in einem Sammelband nachgelesen werden können. Denn QWIEN plant ein Buch mit ihnen zu veröffentlichen, um das Schicksal dieser Opfergruppe der NS-Verfolgung sichtbarer zu machen.