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Es ist nicht alles Gold, was glänzt

In Zeiten von Inflation und globalen Krisen steigt die Belastung auf Arbeitende besonders stark. So auch in der heutigen Zeit. Arbeiter*innen aller Länder leiden unter Unterbezahlung und Ausbeutung. Statt für den Big Boss irgendeines Großunternehmens zu schuften kam vielleicht auch dem einen oder anderen bereits die Idee, die Früchte der eigenen Arbeit in die eigene Hand zu nehmen; sich selbst zu entlohnen, ergo selbstständig zu werden.

In den letzten Jahrzehnten bot sich für den selbstständigen Brötchenverdienst immer mehr das Internet an. So auch in der sogenannten „ältesten Branche der Welt“. Während vor der Geschichtsschreibung schon nackte Frauenkörper in Stein gemeißelt wurden und die vorige Generation vielleicht noch heimlich Heftchen unter der Ladentheke erwarb, ist es inzwischen gang und gäbe den Konsum von pornographischen Inhalten gänzlich online zu betreiben.

„Sex sells!“ Darum ist auch eine der größten Industrien online die Pornographie. Am bekanntesten wahrscheinlich die schwarz-orangen Seiten. Da gibt es ganze Filme in 4K, voll ausgeleuchtet, in teuren Hotelzimmern gedreht und mit Stars der Szene besetzt. Das ganze gibt’s umsonst – wie auf anderen Seiten finanziert durch viel Werbung. Die Einnahmen landen zu großen Teilen bei den Bossen der Industrie, deren Genitalien nie in intimen Momenten von einem Kamerateam gefilmt und der Welt gezeigt wurden. Wie in vielen Industrien lohnt sich hier Arbeit auch kaum. Die Darsteller*innen sprechen von Unterbezahlung und schlechten Arbeitsbedingungen. Ihnen geht es also ähnlich wie vielen anderen Arbeitenden. Warum also auch hier nicht die Sache in die eigene Hand nehmen?

Natürlich bezahlt sich das dann aber nicht von allein. Aber wer etwas zum Kauf anbietet, das gut ankommt, der*die muss nicht lang auf interessiere Kund*innen warten. Die Pornoerfahrung ist dann aber exklusiver, sozusagen nur für Fans. Entsprechende Internetdienste bieten an, gegen einen selbst festgelegten Preis die heimisch produzierte Pornographie zum Verkauf zu stellen. Natürlich gegen Beteiligung an den Einnahmen. Wer seinen Körper zeigen will, dem ist es nun aber möglich ganz frei die Inhalte zu produzieren; alles vor und hinter der Kamera liegt somit in der Hand der Darsteller*innen.

Das hat für die Pornoindustrie eine ähnliche Bedeutung wie die Ablösung von Videoverleih durch Internetpornographie. Namhafte Persönlichkeiten innerhalb UND außerhalb haben plötzliche das Ruder in der Hand. Aber auch Privatpersonen, die vielleicht nie Teil der Pornobranche gewesen wären, entdecken selbstgedrehte Sexfilme und freizügige Fotos plötzlich als eine Möglichkeit zum Nebenverdienst.

Das ermöglicht auch die Repräsentation von Leuten, die zuvor keinen großen Platz in der Pornowelt eingenommen haben. Es gibt ein immer größeres Angebot an Amateurpornos, die – zum Schock der Industrie – auch eine Nachfrage findet, von der sie jetzt nicht mal profitieren können. Tatsächlich schauen viele Menschen wohl nicht nur gerne Filmchen mit jungen großbrüstigen Damen und stahlharten, gut ausgestatteten Männern. Für Pornos zu bezahlen ermöglicht ganz spezifische Dinge für einen selbst zu wählen. Hier werden dann eben auch ganz andere Körper repräsentiert. Zuvor waren die zu dick oder zu dünn, zu groß oder zu klein, vielleicht zu alt oder zu trans, als dass sich große Studios um sie geschert hätten. Auch können selbstgedrehte Pornos sich mal an jemand anderen richten als cismännliche Zuschauer. Mehr Pornos für Frauen, mehr Pornos für Menschen, deren Sex queerer ist als vieles, was man kostenlos allein findet.

Schlussendlich ist aber nicht alles Gold, was glänzt. Arbeit bleibt nun mal Arbeit. Es gibt also auch in der Pornographie die alten Probleme der Ausbeutung – nur in neuem Mantel. Man sollte sich trotz neuer Möglichkeiten der Repräsentation und der Selbstbestimmung auch klar machen, dass hier trotzdem eine Industrie versucht, aus den Menschen und ihrer Arbeit Profit zu schlagen. Genießen wir die Inhalte, die unsere liebsten Darsteller*innen produzieren, aber machen wir uns nicht vor, dass das nicht auch Arbeitende sind. Pornographie ist eine Phantasie, und so auch der vermeintlich private Einblick, den wir in das Intimleben anderer Personen erhalten. Diese Personen geben diesen Einblick auf eine lustvolle und bewusste Art und bestimmen selbst was sie tun, aber am Ende des Tages brauchen sie auch eine warme Mahlzeit auf dem Tisch und verkaufen dafür ihre Arbeit.

Von Jan Obradovic

Queer Youth Vienna QYVIE, HOSI Wien