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Pornosucht als Tabuthema

Sexualität kann wunderschön sein und glücklich machen. Dann gibt es auch eine Sexualität, die ein problematisches Ausmaß erreichen kann – wie etwa die Sex- oder Pornosucht. Dabei lässt sich nicht immer klar sagen, ab wann eine Sucht vorliegt. Der Übergang zur Abhängigkeit passiert meist schleichend. Irgendwann können Betroffene ihr Verlangen nicht mehr kontrollieren. Die Gedanken an Sex oder der Pornokonsum nehmen viel Zeit ein. Gleichzeitig wird das Verlangen nach sexueller Stimulation und Befriedigung nicht mehr als lustvoll, sondern als innerer Zwang erlebt. Die Betroffenen wollen aufhören, doch sie schaffen es nicht. Dies wirkt sich negativ auf das Privatleben und den Beruf aus. Hinzu kommt, dass Betroffene ständig neue und intensivere Reize brauchen. Sie verlangen ähnlich wie bei einer Substanzsucht (wie bei Alkohol und Drogen) nach einer höheren Dosis. Dies kann zu einem exzessiveren Sexverhalten führen. Nicht wenige Betroffene nehmen Drogen, um den Sex intensiver zu erleben. Doch die Entspannung danach hält nicht lange an. Männer sind wesentlich häufiger von einer solchen Suchterkrankung betroffen als Frauen.

Bei einer Sex- und Pornosucht spielt die Masturbation eine wichtige Rolle – manche Menschen masturbieren jeden Tag fünfmal. Dies führt zu einer körperlichen Erschöpfung. Besonders viel Zeit nimmt auch der Konsum von Pornos in Anspruch. Die Betroffenen sind ständig auf der Jagd nach neuem Material. Negative Konsequenzen wie die Entdeckung durch Partner*innen oder der Verlust des Arbeitsplatzes werden ignoriert. Eine Sex- und Pornosucht kann von Außenstehenden kaum erkannt werden. Es gibt Betroffene, die nach außen hin höflich und angepasst sind. Im Inneren sind sie jedoch einsam. Sie lassen niemanden an sich heran und erzählen nicht, wie es ihnen wirklich geht. Sie schämen sich dafür, dass sie ihr Verhalten nicht in den Griff bekommen. Mit jedem gescheiterten Versuch, aus der Sucht auszusteigen, verachten sie sich noch mehr und ziehen sich weiter zurück.

Das Suchtverhalten wird oft bagatellisiert

Menschen mit einer Suchterkrankung können in ihrer Abwehrhaltung besonders stur sein. Werden sie entdeckt, beschönigen sie oft die Situation mit Ausreden wie – „es ist alles nicht so schlimm“ – „das war ein einmaliger Ausrutscher“ – „ich habe das wirklich im Griff“ – „ich schaffe es alleine“. Auch wird viel gelogen, was das Suchtverhalten betrifft. Familie, Verwandte und Freund*innen sind verzweifelt. Erst wenn die Betroffenen in ihrer Sucht einmal besonders heftig abgestürzt sind und wenn sich alles nicht mehr leugnen lässt, besteht die Chance auf Einsicht. Meist müssen auch dann die Verwandten oder die Partner*innen alle Überredungskünste aufwenden, damit eine Beratungsstelle aufgesucht oder eine Psychotherapie begonnen wird. Manchmal ist eine Überweisung in eine Suchtklinik oder in eine ähnliche Einrichtung sinnvoll. Wird die Sucht lange ausgelebt, dauern auch die Therapien lange mit entsprechenden Rückfallquoten.

Die Gründe für das Suchtverhalten sind vielfältig und komplex. Die Psychotherapie beginnt zunächst mit der Motivationsphase. Denn die Therapie ist nur dann erfolgreich, wenn die Betroffenen motiviert sind und mitmachen wollen. Anschließend arbeiten Therapeut*innen und Klient*innen gemeinsam an einem Entzugsprogramm. Hier geht es darum, Momente zu identifizieren, die den Drang zur Sucht auslösen – wie zum Beispiel Stress in der Arbeit oder Langweile. Danach werden Alternativen zum Suchtverhalten entwickelt. Auch Methoden wie Gedankenstopps können eingesetzt werden. Ein wichtiges Element in der Psychotherapie ist die Selbstfürsorge. Denn Menschen mit einer Suchterkrankungen gehen im Regelfall nicht gut mit sich selbst um. Neben dem Entzug sollen in der Therapie auch die hinter der Sucht liegenden Probleme aufgearbeitet werden. Häufig wird die Sucht dazu verwendet, um unangenehme Gefühle zu betäuben. Dazu gehören beispielsweise Ängste, Einsamkeit, Scham, Depressionen, Enttäuschungen, Selbstunsicherheit. Statt sich damit auseinanderzusetzen, weichen Betroffene aus. Doch das kann auf Dauer nicht funktionieren.

(Foto: Mo Blau)
(Foto: Mo Blau)

Flucht in eine Traumwelt

Jeder Mensch bringt andere Themen in die Therapie mit. Auch die Wahl des Suchtmittels ist verschieden. Manche nehmen ein Mittel, das leicht verfügbar ist, wie etwa Alkohol. Bei anderen Personen ist der Gruppendruck ausschlaggebend. Nehmen Freund*innen auf einer Party Drogen, kann es für manche schwer sein, Nein zu sagen. Auch der Reiz des Verbotenen spielt eine Rolle. Anders als bei Alkohol und Drogen sind die Sex- und Pornosucht oft schambesetzt und ein Tabuthema. Pornos können Menschen helfen, aus dem vielleicht grauen Alltag in eine sexuelle Traumwelt zu fliehen. Doch je mehr und intensiver sich jemand den Traumwelten im Internet hingibt, umso deprimierender sieht dann der Alltag aus. Eine Person, die beispielsweise mit der eigenen Sexualität, der Partnerschaft oder dem eigenen Körper unzufrieden ist, findet im Internet genau die Videos, die zu den Sehnsüchten und Phantasien passen. Beim Cybersex können sich Menschen andere Identitäten zulegen. Sie haben die Möglichkeit, sich beispielsweise jünger und attraktiver zu machen. Bei Pornos können sich Zuseher*innen mit den Darsteller*innen identifizieren.

Pornos erzeugen Glücksgefühle

Die Videos mit den gewünschten Sexpartner*innen sind rund um die Uhr verfügbar. Möchte jemand beispielsweise Stress abbauen, reicht ein Smartphone. Das Ansehen von Pornos kann Glücksgefühle und eine genitale Erregung erzeugen. Nicht selten erfolgt dann die Masturbation, wobei die Lust nicht durch die Hand, sondern durch die im Kopf angeregten Phantasien hervorgerufen wird. Diese Phantasien und Sehnsüchte können wiederum viel über die Zuseher*innen aussagen.

Um nicht missverstanden zu werden: Natürlich ist ein Eintauchen in Traumwelten nicht verwerflich. Problematisch ist es, wenn sich daraus ein Suchtverhalten entwickelt. Stehen hinter der Pornosucht beispielsweise Einsamkeit oder die Angst vor Nähe, kann darauf in der Therapie Bezug genommen werden. Auch ein Trauma kann die Ursache einer Suchterkrankungen sein. Haben Menschen sexuelle, körperliche oder psychische Gewalt erlitten, hat dies schwere Auswirkungen auf das weitere Leben. Auch hier kann die Sucht vorübergehend helfen, dem mit dem Trauma verbundenen Schmerz, der Wut, dem Hass und der Trauer zu entfliehen. In einer Psychotherapie besteht die Möglichkeit, die Erinnerungen an das Trauma behutsam zu bearbeiten. Wichtig dabei ist, dass sich Betroffene bei ihren Therapeut*innen gut aufgehoben fühlen. Psychotherapeut*innen haben viel Verständnis für die Situation und wissen, wie schwierig der Weg aus der Krise ist. Bei einer Sex- und Pornosucht besteht das Ziel der Therapie nicht darin, dass Betroffene keinen Sex mehr haben, sondern das Ablegen des Suchtverhaltens soll dazu führen, dass Sexualität lebendig, entspannt, frei und erfüllend erlebt werden kann.

Von Christian Höller

Christian Höller ist Psychotherapeut und hat eine Praxis in Wien.