Heuer findet die sechste Ausgabe des Queer Pornfilmfestival Wien statt. Mo Blau unterhielt sich dazu mit Jasmin Hagendorfer, Kreativleitung, und Yavuz Kurtulmus, Festivalleiter und Gründer.
MB: Was seht ihr als Aufgabe des Filmfestivals?
YK: Ich glaube, die eigene Sexualität zu erkundigen. Wir schauen alle Pornos, ich kenne niemanden der*die noch keinen Porno angeschaut hat. Es ist nichts Schlimmes, man darf sich Pornos anschauen, man muss sich nicht dafür schämen. Darüber wollen wir reden und aufklären, und ich glaube, das schaffen wir auch sehr gut.
JH: Für mich war Pornographie immer ein Schlüssel, um über sehr viel Verschiedenes reden zu können – über Körper, Sexualität, sexuelle Identität, Politik und das alles durch eine pornographische Linse betrachtet. Das war der Grund, warum mich das immer so interessiert hat. Und eben, wie Yavuz sagte, wir sehen uns auch als Aufklärungsmechanismus und bieten eine Plattform für alles, was jenseits der sehr konservativen Mainstreamindustrie ist. Wir wollen hervorholen, was es noch gibt, alle Spektren, Sparten mal abdecken, um die Leute damit vertraut zu machen, was es noch für andere Blicke gibt, was man nochmal anderes erleben oder sehen kann und in welche Welten man eigentlich noch eintauchen kann. Denn das kann ich jetzt schon sagen: Es gibt wahnsinnig viel.
YK: Man muss lernen, bewusster zu konsumieren. Das ist auch unsere Aufgabe, sichtbarer zu machen, wie viel es da draußen noch gibt als das Mainstream, das wir online kennen und auf das wir leicht zugreifen. Es gibt viel mehr, das auch der Realität entspricht. Denn was wir in Mainstreampornos sehen, ist nicht immer die Realität. Viele Menschen wachsen mit dem auf und haben dann extremen Stress bei ihrem ersten Sex. Dass die Realität ganz anders ist, lernen sie dann später und das verursacht bei vielen Leuten auch Traumas. Es ist ganz wichtig dafür Bewusstsein zu schaffen.
JH: Ich hätte noch anzuschließen, dass es bei uns sehr wichtig ist, dass man Diversität auf allen Ebenen sieht, z. B. ältere Menschen, disabled bodies. Es gibt so viel, was ausgegrenzt wird und nicht sichtbar ist, obwohl es eigentlich die Realität und das Leben vieler Menschen ist.
MB: Habt ihr bei der Gründung und Durchführung des Festivals offene Türen eingerannt, oder habt ihr Widerstände erlebt?
YK: Beides. Einerseits sind wir das einzige Pornfestival europaweit, das durch Stadt und Bund finanziert wird, darauf sind wir ganz stolz. Andererseits gibt es viele Kinos, die uns nicht wollen, die uns nicht listen, die gar nicht können und Pornos nicht zeigen dürfen. Es gibt auch immer wieder Probleme bei Sponsoren oder Partner, wo es heißt, toll, dass ihr das macht, aber wir können leider nicht dabei sein.
JH: Also das erste Jahr war eines der schwierigsten für uns. Es war sehr schwierig mit diesem Namen „Pornfilmfestival“ …
MB: Das versteckt nicht, was es ist.
JH: .. you know what you get. Es war natürlich schwierig, das dem Magistrat und so weiter zu erklären. Viel Protest haben wir auch von rechtsgerichteten Parteien bekommen, die das sofort aufgegriffen haben, ich glaube da waren wir noch nicht mal in der wirklichen Produktion. Das war schwierig für uns, hat uns aber gezeigt, wie wichtig das Thema ist, wenn so viel Gegenwehr kommt.
YK: Wie war das? Wir haben, glaube ich, das Datum veröffentlicht und am nächsten Tag waren wir schon in allen Zeitungen – „Steuergelder fürs Pornfilmfestival“, dann hat die FPÖ gleich bei der Stadt Wien angerufen, beim Bund, und dann wollten sie eine parlamentarische Anfrage machen, ob wir wirklich Steuergelder bekommen. Es war die beste Werbung, die wir kriegen konnten. Wir haben auch nichts zu verstecken, die Finanzen sind immer offen, weil wir auch öffentliche Gelder bekommen, daher: Wir stehen zu dem, was wir machen – Pornos.
JH: Es kam nicht nur von rechts außen, wir haben auch ein paar Mal schon auch aus dem linken oder aus einem bestimmten Teil des feministischen Spektrums Widerstand bekommen. Das waren aber sehr viele Missverständnisse – es wurde wirklich geglaubt, dass wir gar kein feministisches Festival seien. Aber das sind wir definitiv, das möchten wir gleich mal festhalten. Wir sind sehr feministisch und queer feministisch orientiert, das ist absolut unsere Basis.
YK: sehr wichtig, ja
MB: Habt ihr so viel Widerstand bekommen, weil es ein queer feministisches Festival ist, oder einfach nur, weil es grundsätzlich mit Sexualität zu tun hat?
YK: Ich glaube, das ist grundsätzlich. Sobald man „Porn“ hört, kriegen alle Panikattacken, anstatt dass man schaut, was es ist. Es ist egal, dass wir queer sind, es wird immer wieder Widerstand geben, weil sich die Leute nicht mit dem Thema auseinandersetzen.
JH: Deswegen denken wir, das muss einfach besprochen werden. In jedem Magazin, in jedem Film kommt eine Sexszene vor, tausend nackte Körper, vor allem Frauenkörper, und das ist alles irgendwie OK – aber wirklich über Sexualität zu reden, was das mit uns allen macht, warum das uns alle betrifft, das sehen wir schon als Punkt, den man machen sollte. Wir sind ja nicht nur ein reines Filmfest, sondern wir haben ein sehr breites Spektrum, mit Workshops, Vorträgen, Diskussionen, von akademisch bis zu niederschwellig zugänglich. Man muss sich bei uns nicht reinsetzen und einen Porno reinziehen. Das gibt‘s auch, und das macht auch wahnsinnig viel Spaß, mit anderen Menschen im Kino, aber man kann sich dem auch von einer ganz anderen Seite nähern.
MB: Glaubt ihr, dass da irgendwie die Scham eine Rolle spielt?
YK: Wenn man über Porno redet, ist es sehr viel mit Scham, weil wir eben hinter geschlossenen Türen Pornos anschauen, und dann sehr schnell konsumieren, bevor uns jemand erwischt. Und sobald man den Höhepunkt hatte, fühlt man sich wieder schlecht. Das schlechte Gewissen ist ein Thema, darüber reden wir nicht in der Gesellschaft. Wir stellen seit Jahren immer beim Festival die Fragen „Was ist Porno?“, „Was ist Sex?“ und „Was ist Scham?“.
MB: Wie seht ihr den queerspezifischen Fokus beim Pornfilmfestival?
YK: Fast jedes Pornfilmfestival, das wir in Europa besucht haben, ist queer, also zu 60, 70% sind es queere Thematik und queerer Inhalt. Und das macht mich stolz, das macht mich glücklich, dass so viel Queerness in all diesen Festivals eingebaut ist, vom Publikum, von den Filmen her, von den ganzen Workshops. Das ist auch eine ganz wichtige Aufgabe des Pornfestival, dass wir hier LGBTIQ Aufklärung beitragen. So viele Menschen, die aus unterschiedlichen Gesellschaftsbereichen zu uns kommen um Pornos anzuschauen, lernen über Queerness; viele Menschen haben vielleicht zum ersten Mal Trans-Porn geschaut, und waren manchmal überfordert, und das ist auch OK. Aber sie kriegen die Möglichkeit, sich komplett mit neuen Themen auseinanderzusetzen und das finde ich sehr spannend.
MB: Wenn man so die Pornostatistiken anschaut, dann erkennt man: transidente Personen sind ein vielfach angefragtes Genre.
YK: Es ist auch in den letzten Jahren in den Top 3 der Anfragen, also, vorletztes Jahr war‘s glaube ich #1. Egal mit wem ich rede, Leute sind interessiert in Trans-Porn. Natürlich muss man auch da hinterfragen warum, was steht dahinter, und es ist nicht nur, weil man jetzt Trans-Porn konsumiert, etwas Gutes.
JH: Gesellschaftspolitischer Diskurs frisst sich immer in das hinein. Porno ist nie nicht-politisch, Porno ist immer politisch. Und es gab ja schon ein anderes Beispiel: Das war ungefähr 2017, da war Fem-Porn, also feminist porn, ein ganz großes Schlagwort auf Platz 1. Auf Platz 3 war dann wieder Cheerleader Porn, also das hebt sich auch alles wieder ein bisschen auf. Es hat trotzdem gezeigt, dass es ein reges Interesse gibt, dass Menschen den Diskurs miterleben, dass sich da in der Gesellschaft etwas öffnet. Das hat PornHub dazu gebracht, eine eigene feministische Ecke aufzubauen. Die ist natürlich mit rosa Blümchen geschmückt, und trotzdem wirst Du alles dort sehen, was Du sonst auch auf der Plattform siehst, das ist nur eine Verschönerung nach außen, aber letztendlich sind auch die Plattformen gezwungen, sich mit solchen Dingen dann auseinanderzusetzen.
MB: Es wird ja oft so dahingestellt, als ob fair produzierte und reflektierte Pornos, wie z. B. feministischer Porno, Randphänomene seien von ein paar radikalen Queerfeminists. Wurde euch das schon einmal vorgeworfen: So was will doch gar niemand sehen?
JH: Wenn Du überlegst, dass 40% des Internetdatenverkehrs rein Porn bezogen sind, dann geht das wahrscheinlich schon ein bisschen unter, aber dennoch sind die Nachfragen da. Ich glaube, Menschen wollen sich ja auch wiedererkennen, auf verschiedenen Ebenen. Ich will mich auch im Porno wiedererkennen und nicht jemand komplett glatt gebügelten 20-jährigen, das find ich nicht ..
YK: kann auch schön sein
JH: .. kann auch schön sein, aber ich glaube, es geht Menschen auch um Authentizität, darum, sich selbst ein bisserl wiederzuerkennen. Und drum glaube ich, die Anfragen zeigen auch das Bewusstsein darüber, was schauen wir, wie schauen wir, warum schauen wir eigentlich. Ich glaube, das wächst immer mehr, weil eben auch die Debatte größer wird. Und je mehr Nachfrage dann da ist, desto mehr wird es den Markt verändern. Aber natürlich steht da echt noch immer eine große Masse an sehr konservativem Mainstreamporn. Das ist halt ein Wirtschaftszweig, der ist immens. Aber es tut sich auf jeden Fall etwas, es tut sich sehr viel sogar, sehr viel unterschiedliches, von sehr low level Produktionen bis hin zu Kunstpornos aus studentischen Umfeldern, zum Beispiel der Kunstunis hier, bis hin zu riesengroßen Namen, wie Erika Lust. Auch haben wir eine sehr schöne feministische Pornoproduktion hier in Wien, Arthouse Vienna.
MB: Man möchte es ja fast nicht ansprechen, weil wir haben alle das große C Wort irgendwie jetzt tausendmal gehört, aber Corona: habt ihr das Gefühl, dass sich die Pornobranche verändert hat? Also, dass sehr viel zu Hause produzierter Porno entstanden ist, dass die Produktion von den großen Firmen weggegangen ist? Was würdet ihr sagen, wie sind momentan Machtverhältnisse, vielleicht auch Selbstermächtigungsmöglichkeiten von Darstellenden?
YK: Ich würde mich nicht trauen zu sagen, es hat die Industrie verändert. Ich glaube, es hat nur Sachen in den Vorschein gerückt, die eh passiert sind. Plötzlich haben wir uns alle mit uns selbst viel mehr beschäftigt, aber auch darüber geredet. Das finde ich auch sehr gut, dass wir in diesen zwei Jahren sehr viel Zeit hatten, uns mit uns selbst, mit unserer eigenen Sexualität auseinanderzusetzen. Also ich hatte zum ersten Mal Zeit, mich mal mit mir auseinanderzusetzen, meinen Körper zu erkundigen, oder wieder mal Telefonsex oder Cam-Sex zu haben – das war wieder total in. Natürlich mussten Leute auch Geld verdienen, es war wichtig, dass man von zu Hause trotzdem arbeiten konnte, und da gehören halt all diese Plattformen dazu. Ich sehe auch, dass das jetzt ein Thema bei Festivals ist, diese online Sexwork.
JH: Ja, man hat eindeutig gesehen, dass sich Corona auch im Festival widergespiegelt hat. Wir haben einige Einreichungen bekommen, die das thematisiert haben: Wie funktioniert Sex in Zeiten von Corona und Pandemie? Da waren wirklich amüsante Sachen mit dabei. Aber man hat dann trotzdem gemerkt, dass sehr viel gebrodelt hat, dass sehr viel unrund ist, dass Dinge dunkler geworden sind.
YK: Einerseits war‘s sehr lustig, aber dann war‘s wieder deprimierend, diese Einsamkeit. Wenn man wissen will, wie es der Gesellschaft wirklich geht, braucht man einfach Pornos anschauen. Pornos spiegeln wirklich sehr viel der Menschen wider.
MB: Wir haben auch den Eindruck – und es zeigt sich auch in Zahlen, dass viel mehr Leute zu uns kommen, die sagen: ich bin trans, ich bin doch nicht straight, ich komm jetzt zu euch und rede mal darüber. Aber auf der anderen Seite gibt es auch sehr viele Leute, die sich in die andere Richtung radikalisiert haben, die übergriffig geworden sind.
JH: Ich glaube, dass schon sehr viel Verrohung in dieser Zeit stattgefunden hat, vor allem wenn man ins Netz schaut, weil man sich einfach auch nicht begegnen konnte, sich nicht austauschen konnte; das fängt bei der eigenen Familie an bis hin zu den Lebenspartnern, Sexpartnern. Viele konnten das nutzen, um noch mehr Spaltung in der Gesellschaft zu verursachen.
YK: Dazu kommt der Missbrauch von Fotos und Videos in dieser Pandemie Zeit. Wir waren alle zu Hause, manchmal war uns langweilig und wir haben Fotos hin und hergeschickt … da ist natürlich sehr viel Missbrauch passiert. Da besteht noch sehr viel Aufklärungsbedarf. Wir versuchen auch , dass wir im schulischen Bereich Aufklärung dazu machen können. Porno wird konsumiert, wir können es nicht verhindern, daher ist bewusstes Konsumieren wichtig. Die Jugend muss lernen, bewusster zu konsumieren. Ich brauch nur mein Handy aufmachen, TikTok und Instagram sind voll mit „Porno“ unter Anführungszeichen; da brauche ich nicht mal auf YouPorn oder PornHub gehen. Daher müssen wir die Jugend dringendst aufklären.
JH: Wir haben im letzten Sommer mit der Stadt Salzburg gemeinsam mit Schulen gearbeitet. Also das hat mir ein bisserl die Augen geöffnet ehrlich gesagt, damit habe ich nicht gerechnet: Die Fachstelle Selbstbewusst in Salzburg hat uns erzählt, dass Kinder den ersten Kontakt mit Pornographie im Alter von ungefähr 5, 6 erfahren. Also es ist sehr viel früher, als wir eigentlich glauben. Das zeigt, dass es ein offenes Gespräch in der Gesellschaft braucht, um auch von vornherein Mechanismen reinzukriegen, dass nicht alles ungefiltert gesehen wird.
MB: Jetzt noch zum Abschluss: Was denkt ihr wäre eine negative Entwicklung, und dann gleich darauf, was würdet ihr euch wünschen für die Zukunft?
YK: Ich glaub das Positive wäre, wenn wir uns im Bildungsbereich noch mehr positionieren könnten. So wie‘s die Aids Hilfe Wien macht, ihr macht‘s ja auch Workshops in Schulen. Ich glaub, Jugendliche haben viel zu sagen und sie wissen auch, was abgeht.
JH: Wenn ich so überlege wäre eigentlich das Schrecklichste, dass der Mainstream so überhandnimmt, dass diese ganzen Alternativen – alternativer Porn, Fem-Porn, ethical Porn – wieder an den Rand gedrängt werden. Auch wegen der Bezahlsituationen und der Arbeitsbedingungen, die dort herrschen. Und da komme ich zum Positiven: Für mich ist Pornographie immer Möglichkeitsraum, um etwas Neues zu erfahren, über mich was zu lernen, über andere was zu lernen, Dinge vielleicht nicht gleich im realen Leben auszuprobieren. Auch für viele Menschen in anderen Ländern mit beschränkten Gesellschaftsverhältnisse.
YK: Ja, Porno als Safer Space, wo man sich austoben kann. Natürlich unter gewissen Spielregeln, Consent ist sehr wichtig. Aber ich glaub, die Fantasien ausleben, die eigenen Grenzen testen, wie weit kann ich gehen, was mag ich, was mag ich nicht, Vorurteile abbauen … Also wir haben jedes Jahr so viel Spaß beim Pornfestival, es ist so bunt. Man muss sich das einmal anschauen, es ist wirklich fun fun fun mit Aufklärungstouch. Unser Festival ist feucht, fröhlich, spritzig – das ist unser Motto.