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Gibt es phallographische Alternativen?

Nicht nur eine Analyse der BestĂ€nde bislang produzierter Pornographie wĂŒrde eine deutliche, fast schon klassische Schieflage hin zu mĂ€nnlichen „Subjekten“ und weiblichen „Objekten“ fĂŒhren. Auch der Konsum von Pornographie ist Studien zu Folge zu 72% mĂ€nnlich. Dies ist allerdings nicht verwunderlich, denn bereits der Begriff Pornographie ist, versteckt unter tradiertem Alltagsgebrauch, tief mit der altgriechischen Misogynie verbunden. Etymologisch bedeutet das griechische πόρΜη (pĂłrnē) im Deutschen Hure, oder Dirne. Es geht bei Pornographie also ursprĂŒnglich um die obszöne textliche (wie bei Athenaios, 193-235 n.Chr.) oder bildliche Darstellung von Huren. Ich werde im Weiteren dennoch den Begriff Pornographie verwenden, nicht nur wegen des Themas des Heftes, schon gar nicht um traditionsbewusste „Cancel Culture“ Rufer*innen zu besĂ€nftigen, sondern um nicht noch mehr Verwirrung zusĂ€tzlich zum Gendern hineinzubringen und noch tiefer ins sprachliche Brauchtum einzugreifen. FĂŒr begriffliche Neubestimmungen, auch in Gesetzestexten, wĂ€re es angesichts der Debatten der letzten Wochen zwar höchste Zeit, aber auch die inzwischen lange zurĂŒckliegende PorNo Debatte hat diese grundlegende Misogynie nicht aufgegriffen und keine Alternativen, und schon gar keine lustvollen, aufgezeigt. Also: Rest in Power. Im frĂŒhen sozialwissenschaftlichen Kontext wurde Pornographie fĂŒr Projekte der Sittlichkeit, Hygiene und der Reglementierung von Prostitution instrumentalisiert. Wozu dieser Exkurs? RealitĂ€t bleibt die phallische Schieflage auch bei einer „Demokratisierung“ von Pornographie.

Hands off Jugend

Die Expert*innen sind sich einig. Wir erleben die erste durchpornographierte Generation junger Erwachsener, sie sind „Sex Natives“. Sie kommen im Schnitt, meist ungewollt, im Alter von 10-12 Jahren mit der Mainstream Pornographie der Mehrheitsgesellschaft in Kontakt und werden damit hĂ€ufig allein gelassen. Das immer frĂŒhere PubertĂ€tsalter wurde bereits in den 90er Jahren festgestellt. Auch wenn homosexuelle Pornographie in Teilen Österreichs seit 1989 freigegeben ist, ist deren Anteil am Gesamtmarkt und vor allem auf Porno-Plattformen im Netz wohl nicht allzu groß. HeteronormativitĂ€t und Cis-NormativitĂ€t wirken hier besonders. Diese werden nachgeahmt, auch wenn sie keinen gleichberechtigten oder gar einvernehmlichen Verkehr zeigt. Es gibt bislang leider keine Studien darĂŒber, wie sich die durch Pornographie verbreiteten Rollenbilder auf die geschlechtliche IdentitĂ€t der Jugendlichen auswirken. Bekannt ist allerdings schon seit den 90ern, dass ein kleiner Prozentsatz von 3% der Erwachsenen noch nie Geschlechtsverkehr hatte. Im Alter von 17-18 Jahren erleben die meisten Jugendlichen dann die ersten Beziehungen. FĂŒr einen Gutteil der Trans stellen die in diesen Beziehungen gelebten sexuellen Praktiken jedoch auf Grund der eigenen Körperlichkeit nur sexuelle Übergangsstrategien dar (Hamm, 2020), was jedoch oft keine gelingende SexualitĂ€t anzeigt. Zuweilen kommt es da zu Dissoziationen, bei denen die Akteur*innen in der SexualitĂ€t lĂ€ngst nicht mehr im „Hier und Jetzt“ sind. Ein anderer Teil der Trans lebt asexuell.

(Foto: Mo Blau)
(Foto: Mo Blau)

Pornographische Standards

Metastudien zeigen gravierende Gender-Ungleichheiten auf. Ich ziehe hier aber ein altbekanntes und viel diskutiertes und sehr krasses Beispiel aus dem Jahr 1972 heran, das unter Staraufgebot und viel Medienrummel als die Befreiung der Frau gefeiert wurde. „Deep Throat“ schlĂ€gt genau in die Kerbe des alt tradierten Stereotyps mit der griechischen Geschichte der Hysterie in Form der Wanderung von „Geschlechtsorganen“ und der anschließenden Befreiung durch den Mann (Diagnose und Akt). „Die Frau“ soll sich beglĂŒckt fĂŒhlen, indem sie alles aufnimmt. Ein vollkommen absurdes Skript aus lĂ€ngst vergangenen Tagen? Pornographische Skripts, eher Rahmenhandlungen, sind wohl fast immer an den Haaren herbeigezogen und gekĂŒnstelt, einfach grottenschlecht. NĂ€he, Emotionen, ZĂ€rtlichkeit, FĂŒrsorge, Liebe und Respekt sind Ă€ußerst selten zu finden. Eine allzu große RealitĂ€tsnĂ€he ist da vielleicht gar nicht gewollt. Es geht um das Eine und das soll besonders sein. FĂŒr alles andere ist kein Platz. FĂŒr eine reale Geschichte ist ein Film wohl auch zu kurz und der reale Akt mit bis zu 13 Minuten einfach zu kurz (Mehr als 13 Minuten wird von Befragten in Studien als zu lang angegeben).

Da bin ich gar nicht mal bei den kritisierten Produktionsbedingungen, welche bezĂŒglich des oben angesprochenen Films in der Biographie von Linda Boreman nachgelesen werden können. Bei diesem Skript hĂ€tte Fair Porn wohl auch nichts gebracht. Es geht um das ganze Paket. Und Porno ist nun mal ein GeschĂ€ft. Der Film spielte bei Produktionskosten von 25.000 $ immerhin 600 Mio. $ ein (Ebert, 2005). Die profitabelste Filmproduktion aller Zeiten.

Pornographie schafft, ob sie will oder nicht, Standards. Dies trifft auch auf den Kondomgebrauch in homosexuellen Pornos (36%-64%) und in heterosexuellen Pornos (2%-3%) zu. In 75% der Pornos gibt es mehr oder weniger subtile Formen der Aggression, welche fast ausschließlich gegen Frauen gerichtet sind. Gangbang ist so in den 2000ern aufgekommen und der Cumshot ist inzwischen fĂŒr alle Geschlechter fast schon Standard (Wozu gibt’s denn auch die Trickkiste?). Nur: Wo geht die Reise hin?

Mag Pornographie auch ein (sehr verzerrter und rĂŒckwĂ€rtsgewandter) Spiegel der Gesellschaft sein, so ist bei der Bewertung von Pornographie Vorsicht geboten.

Hands off Emanzipation

Denn: Nichts da! Pornographie hat selbst keinen Einfluss auf Praktiken oder IdentitĂ€ten von Personen. Personen suchen sich die Inhalte, die ihnen entsprechen. (Prause 2022) Wir können das diskriminierende Individuum nicht mit der Ausrede einer prĂ€genden verachtenden Pornographie aus der Verantwortung entlassen. Es mag einen Zusammenhang geben, aber die Richtung ist genau andersrum. Es gibt jedenfalls keinen belegbaren Hinweis darauf, dass bestimmte Formen der Pornographie irgendwelche Auswirkungen auf Personen, Beziehungen oder Paare hĂ€tte. Manche bringen die erektile Dysfunktion von 20-30-jĂ€hrigen MĂ€nnern mit Pornographie in Verbindung. Alle Studien, die versuchten dies nachzuweisen, versagten jedoch (siehe auch Hoagland & Grubbs 2021) Pornographie hat einen aufklĂ€renden, also wissensvermittelnden, und auch emanzipativen Nutzen. Nicht nur fĂŒr Jugendliche. Dazu braucht es jedoch Kontextualisierungen, GesprĂ€che und schließlich Pornokompetenz.

Gelingende (hands on) SexualitÀt

Wie oben bereits angesprochen, ist eine gelingende SexualitĂ€t fĂŒr Trans nicht problemlos. Um ohne genitale Geschlechtsangleichung zu Selbstakzeptanz und einer kongruenten sexuellen IdentitĂ€t zu kommen, braucht es einen Kompromiss mit dem eigenen Körper, akzeptierende Partner*innen, ein unterstĂŒtzendes Netzwerk und sexuelle (und geschlechtliche) Lernprozesse der Partner*innen. FĂŒr letzteres braucht es den Mut, Erfahrungen zu machen. Zumindest in den kleinen Studien, die zugegebenermaßen kleine Stichproben haben, was auf einen sehr kleinen Anteil der Trans hinweist, zeigt sich die Bedeutung von Sexparties und Clubs fĂŒr solche Erfahrungen (Kruber, 2016).

Es braucht aber auch Wissen ĂŒber Praktiken und Möglichkeiten, welches auch ĂŒber Pornographie vermittelt wird. Und auch „Vorbilder“, besser Vorreiter*innen, im Sinne von Menschen, die es machen. Texte, Bilder und Filme ĂŒber Gelebtes, auch SexualitĂ€t, geben zumindest das GefĂŒhl, in der eigenen Situation mit den eigenen sexuellen BedĂŒrfnissen nicht allein zu sein und/oder bleiben zu mĂŒssen. Wie oben schon erwĂ€hnt: „Personen suchen sich die Inhalte, die Ihnen entsprechen.“

Hands on

Kellnerin, Kosmetikerin oder Sexarbeiterin? (Peters 2022) Das sind wohl die Standardberufsoptionen fĂŒr viele, vor allem Transfrauen, die im Schatten stehen. Die Kritik von Marjorie Garber in ihrem Buch „VerhĂŒllte Interessen“ aus dem Jahr 1993, es handle sich bei Trans um ein „upper class“-PhĂ€nomen, ĂŒbersieht, dass es auch in der frĂŒhen Phase des US-Trans-Aktivismus viele Sexarbeiter*innen waren, die um Anerkennung und Selbstbestimmung gekĂ€mpft haben. Die bekannten aktuellen Zahlen weisen fĂŒr die USA 19% und fĂŒr Deutschland 16% Sexarbeiterinnen unter Trans aus. In LĂ€ndern, in denen der Anteil an Sexarbeit allgemein höher liegt (Spanien, u..), darf der Anteil von Trans-Sexarbeiter*innen höher geschĂ€tzt werden. Bei PoC-Trans in den USA liegt der Anteil der Sexarbeiter*innen sogar zwischen 33% und 40%. Dabei geht es auch bei gelegentlicher Sexarbeit um Existenzerhaltung. Mehrfachdiskriminierung nach GeschlechtsidentitĂ€t, sozialer Herkunft, Ausbildung, Klasse, Behinderung, Aufenthaltsstatus und Hautfarbe, schließt Menschen nicht nur aus der klassischen Arbeitswelt aus, sie hat auch massive Auswirkungen auf die sexuelle Selbstbestimmung.

Bei den zuletzt genannten Gruppen ist die Einstellung zu Pornographie sicher eine Andere und bei wachsender sozialer Ungleichheit ist die Frage einer selbstbestimmten gelingenden SexualitÀt wohl zunehmend nachrangig.

Von Mia Mara Willuhn

Soziologin in Wien und seit Beginn der 1990er Jahre Transaktivistin. Sie hat 1992 die Selbsthilfegruppe fĂŒr Trans in der Rosa-Lila-Villa mitbegrĂŒndet, wie auch den Verein TransvestitIn 1994.