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Schwul und auf der Flucht

Das vorliegende Buch hat eine Vorgeschichte: Der Journalist und Autor Khaled Alesmael verarbeitete im viel beachteten Roman „Selamik“ (erschienen 2020 im Albino Verlag) unter anderem seine Homosexualität und die Flucht von Syrien nach Schweden. Daraufhin schrieb ihm ein schwuler Mann, der sich Barada nennt, mehrere Briefe. Barada heißt der Fluss, der durch Damaskus fließt. Den richtigen Namen wollte der Mann nicht verraten. In den Briefen erzählte er vom schwulen Leben in Syrien, das mit einem dramatischen Todesfall endete. Barada floh danach nach Deutschland, wo es ihm auch nicht gut ging. Er zahlte beispielsweise für einen miserablen Schlafplatz 400 Euro im Monat. Die Briefe von Barada nahm der Autor Khaled ­Alesmael zum Anlass, um in Gesprächen und Korrespondenzen die Schicksale von weiteren schwulen Männern aus dem Nahen Osten und aus Nordafrika aufzuschreiben. Daraus ist das jetzige Buch entstanden. Es enthält die Lebensgeschichten von zehn schwulen Männern. Es geht um Gewalterfahrungen, sexuellen Missbrauch, Scheinehen und die Flucht. Die Biografien zeigen auch, dass schwule Männer in der arabischen Welt nicht gut miteinander umgehen. „Nicht nur die Homophoben sind das Problem, auch in der geheimen Gemeinschaft der Homosexuellen selbst herrscht das Gesetz des Dschungels“, schreibt der Autor. Das Buch berührt. Die Geschichten machen deutlich, wie hart das Leben für schwule Männer im Nahen Osten ist und dass auch der Neuanfang nach der Flucht schwierig sein kann. Der Autor hat mit dem Buch denjenigen eine Stimme gegeben, die sonst keine haben. Gleichzeitig lädt er die Leser*innen ein, sich zu fragen: Was wäre, wenn ich einer dieser Männer bin? Wie würde es mir gehen?

Khaled Alesmael: Ein Tor zum Meer. Albino Verlag, Berlin 2022.
Aus dem Arabischen übersetzt von Christine Battermann

Von Christian Höller

Christian Höller ist Psychotherapeut und hat eine Praxis in Wien.