Happy, what else?
Dieser Spruch schallt bei der Pride 2021 von der Urania rüber. Die Erwartungshaltungen zur Pride sind wohl sehr unterschiedlich. Ja, es waren schlichte Zaungäste (endo cis hetero vanilla), die aber einen extra Stopp eingelegt haben, um sich das Treiben anzusehen. Wohl eher von der freundlichen Sorte, wie ich erst viel später erfahren sollte. Die Zahl an Übergriffen rund um die Pride habe letztes Jahr, so die Gerüchte, einen traurigen Rekord erreicht. Auch, weil mehr gemeldet wird. Und dann war da noch die queerphobe Gegenaktion bei der Abschlussveranstaltung der Pride am Rathausplatz. Dabei ist es für manche jedes Jahr aufs Neue keine leichte Entscheidung ob inkognito oder out auf die Pride, wenn überhaupt. Denn eines ist klar: Wenn die Musik aus ist und der Prosecco ausgetrunken ist, kehrt spätestens am Montag der Alltag wieder ein. Der ist dann für manche gar nicht mehr „happy“. Manche hoffen dann in der Menge unter gegangen zu sein, nicht erkannt worden zu sein. Natürlich kommt es darauf an, wie sehr hen aus sich rausgegangen ist und sich gezeigt hat. Achtung: Küssen verboten! Ein Outing kann auch heute noch große Probleme machen. Denn: „… eine Trennung von Privatem und Arbeit hat es nie gegeben. … Privates wird in der Arbeit ständig zur Schau gestellt.“ (Schönherr 2021) Wieso sollte es bei LGBTIQ* anders sein? Ist doch nichts dabei, oder? … Denkste!
Happy? Erwartungen.
Die Revolution hat sich von der Pride wohl niemand erwartet. Es geht um Widerstand. Ein Zeichen zu setzen, Präsenz zu zeigen. Allerdings ist das für Individuen ein extrem harter Knochen. Und so lag die Hoffnung doch darin gemeinsam etwas zu bewegen. Dann kam das Pride Village, die Party. Was es da wirklich zu feiern galt, war für manch eine*n nicht ganz klar. Für jene, die früh aufstehen, einen Wagen organisieren, den Aufbau und danach den Abbau durchführen und dann noch sechs Stunden mitlaufen und aufpassen, dass niemand überfahren wird, ist das ohnehin ein Luxus, welcher gern gegen Schlaf getauscht wird.
Schön und gut. Jetzt sind wir da und wurden vereinnahmt. Viele kleben sich inzwischen ein Regenbogen-Smiley auf die Brust und treten hintenrum dem Regenbogen in den Arsch. Mit Smiley ist es doch nicht so schlimm, oder? Es ist reines Kalkül. Die Pride ist ein Wirtschaftsfaktor, sorgt vielleicht gerade nach Corona für höhere Buchungszahlen in den Hotels, in der Gastronomie und bei Veranstaltungen. Stichwort: Umwegrentabilität. Mit einem Regenbogen können ja auch zahlungskräftige Leute erreicht werden, die sonst nicht erreichbar sind. Da müssten sonst ja eigene (Macht)Strukturen und Haltungen geändert werden. Als Kund*innen schon seit den 90ern willkommen. „Framing“ war damals Zauberwort in der Werbung, also Zielgruppenwerbung. Es mussten ja neue Käufer*innenschichten für das Wachstum erschlossen werden. Was besser als DINK’s (Double Income No Kids). Dass die auch heiraten würden und Kinder haben wollen, konnte damals ja niemand ahnen. Und als Mitarbeiter*innen? Hey, es geht um Förderkriterien. Vergabe nur an „diverse“, sprich inklusive Unternehmen. In Österreich wohl (noch) nicht. Aber: Am liebsten junge kreative High-Potentials für die „Diversität“: „young white males (m/w/x) preferred?“
Happy? Gegenwind!
Nicht erst seit dem 24.Februar 2022 ist offensichtlich, was vollkommen durchgeknallte nicht mehr so ganz taufrische Männer so anrichten können. Gegenwind gibt es aber schon sehr lange (Faludi 1991). Auch davor, was die Bürgerrechtsbewegung betrifft. Manchmal ist es auch nur ein laues kaum bemerkbares Lüftchen wie Corona, welches überkommene tradierte Muster, Rollen, Zuordnungen und Zuschreibungen reetabliert. Und immer wieder wird die enharmonische Verwechslung von Kultur und Natur gespielt (Stock 2022). Als ob es die gleiche Klaviatur wäre. Nein, es gibt keinen natürlichen Unterschied zwischen weiblichen und männlichen Gehirnen (Rippon 2019). Es gibt auch keine natürliche Geschlechterbinarität bei Menschen. Den zentralen Anstoß die Binarität zu revidieren gab die feministische Wissenschaftskritik und die daraus folgende Forschung (u.a. Fausto-Sterling 1985, s.a. Voß 2010). Besonders auffällig sind die Unschärfen in den Argumentationen auf allen Seiten (Schwarzer, Louis 2022), die Zitierung von fachlichen Teilwahrheiten, die hohe Emotionalisierung internationaler Debatten zum Beispiel zum Selbstbestimmungsrecht von Trans, Inter und Non Binary (Amelung 2022). Dabei geht es gar nicht um Argumente, wie eine ganz frische Studie zeigt. Menschen mit Sonderrechten (Privilegien) diskriminieren andere, auch wenn sie sich selbst, ihrem Unternehmen, ihrer Institution und der Gesellschaft damit schaden, um die eigene Position mit den Sonderrechten zu behaupten. (Brown, et al. Mai 2022) Dem Gegenwind ist mit Argumenten also nicht beizukommen (Was seit Trump Allgemeinwissen ist, Stichwort: Fake News). Dennoch nochmal überspitzt formuliert: Es ist schon lange bekannt, dass eine biologische Rollenzuschreibung jeglicher Art in keiner Weise haltbar ist: „…es kommt niemand mit der Fähigkeit zur Welt, Klos zu putzen oder Fläschchen zu sterilisieren“ (Penny 2022). Es handelt sich dabei um erlernte Fähigkeiten/Unfähigkeiten. Wir schaffen die Dualität Binarität selber und erheben sie zur allgemeinen Wirklichkeit.
Happy? Soziale Realitäten
Laurie Penny schreibt in ihrer Einleitung zur sexuellen Revolution (2022): „Die meisten Frauen und die meisten LGBTQ jeglichen Genders können sich sexuelle Befreiung nicht leisten – Weil es sie nach wie vor teuer zu stehen kommt, wenn sie ihr Begehren auch nur aussprechen“. Damit schließe ich den Kreis um das, was es bei der Pride zu feiern gäbe, dem Thema Outing und dem stärker werdenden Gegenwind.
Real ist, dass wir uns viele Leistungen, welche heteronormativen Menschen automatisch zustehen oder für die sie scheinbar keinen Bedarf haben, gesondert kaufen müssen. (vgl. Brown, et. al 2022: If you rise, I fall) Das betrifft sowohl medizinische Leistungen (Reproduktionsmedizin, Geschlechtsangleichungen, (Psycho)-Therapeutische Hilfe, erhöhter Informations- und Pflegeaufwand, spezielle Medikamente (STI)) als auch Dienstleistungen (Ausschlusskriterien, Stichwort: levelling up), Konsumgüter und Schutz bzw. Sicherheit. „Anderssein“ kann sehr teuer und lebensgefährlich werden.
Real ist auch, dass den meisten Frauen und LGBTIQ die Möglichkeit genommen ist, für diese Sonderleistungen, welche die Gesellschaft teilweise fordert (Versorgungspflichten, Behandlungsrichtlinien und sonstige Vorschriften), ein entsprechendes Einkommen zu erzielen. Autonomie steht für die meisten allein auf dem Papier. „In den meisten Demokratien steht es den meisten von uns vom Gesetz her frei, zu lieben, wen wir lieben wollen, zu leben, wie wir leben wollen, und unserer Lust zu frönen – allerdings nur so wie es auch den meisten von uns freisteht, einen Maserati, eine Villa oder eine Wahl zu kaufen.“ (Penny 2022)
Happy Utopien
Argumente jeglicher Art greifen nicht. Masse tut es auch nicht, wie bei der Occupy Bewegung mit dem Slogan „We are the 99 percent“ klar wurde. Es braucht wohl eine neue wertschätzende Konsenskultur (Brown 2020: We will not Cancel us). Im Intimen mit der eindeutigen Zustimmung beider und im öffentlichen mit einer Anhörung aller Stimmen und einer gegenhierarchischen oder gegenhegemonialen Gewichtung.
Es sind eigentlich keine Utopien im strengen Sinn, eher unrealistische Wünsche. Ein zentraler Punkt ist mehr Gemeinsamkeit, da die Interessen doch sehr unterschiedlich sind und jede Gruppe ihr spezifisches Zielpublikum hat. Dabei wäre auch eine stärker politische Botschaft, sozusagen ein Auftrag oder eine Message, welche von allen Gruppen getragen wird, erforderlich um die Verhältnisse ein wenig zu drehen. Das würde wahrscheinlich einen längeren Prozess mit breiterer Beteiligung implizieren, in dem der jeweilige Schwerpunkt oder das gemeinsame „Motto“ diskursiv rausgeschält wird. Dabei sollten auch Gruppen eingebunden werden, die aus Mangel an Ressourcen nicht so leicht gleichwertig an der Pride teilnehmen können (Frauengruppen, Migrant*innen, Trans, Inter, PoC, Sexworkers). Dies würde eventuell eine kollektive Finanzierung im Sinne eines aktiven Ausgleichs benötigen. Ich will nicht unterstellen, dass dies nicht bereits geschieht, aber manche NGOs und Gruppen zögern immer noch mit einer Teilnahme.
Eine Rahmung der Pride von einer einzigen Demonstration mit umschließender Party um einen breit angelegten Diskurs kann die LGBTIQ-Community nur stärken.