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Tessa Ganserer im Gespräch

Tessa Ganserer ist deutsche Politikerin (Bündnis 90/Die Grünen) und hat als erste Abgeordnete in Deutschland 2018 ihre Transidentität publik gemacht. Zur Zeit ist sie Mitglied des Deutschen Bundestages.

Was würdest du transidenten Jugendlichen mitgeben wollen, die sich in die Politik einbringen wollen?

Im Prinzip eigentlich auch nichts anderes, wie anderen jungen Menschen, dass es nicht reicht, über irgendwelche Sachen, die einem nicht gefallen, nur zu meckern, weil man die Welt nicht besser gemeckert, sondern nur besser gemacht bekommt. Ich kann eigentlich nur alle Menschen ermutigen, wenn ihnen gesellschaftspolitisch irgendwas missfällt, dass sie sich engagieren.

Das muss nicht zwangsweise in einer Partei sein. Ich finde das Engagement in Organisationen, in NGOs oder queeren Organisationen genauso wichtig. Und auch damit kann man Politik und politische Entscheidungen beeinflussen.

Es gibt da keinen Businessplan. Ich hatte keinen Plan, dass ich bei den Grünen eintrete und ein Vierteljahrhundert später bin ich dann selber irgendwann einmal Mitglied des Deutschen Bundestags. Das hat sich für mich einfach so ergeben.

Man merkt aber sehr schnell, dass man mit seinem Engagement auch Spuren hinterlässt und dass man den Diskurs und die Meinungen, die Positionen von anderen Menschen mit beeinflussen und prägen kann.

Welche Schritte möchtest du in deiner Politik setzen und siehst du dich hauptsächlich als Politikerin für Trans und LGBTIQ Agenden und Themen?

Ich weiß, dass ein großer Teil des medialen Interesses meiner eigenen trans Geschlechtlichkeit geschuldet ist. Dennoch waren es im Wesentlichen die queer-politischen Themen und vor allem der gesellschaftspolitische, queerpolitische Stillstand in den letzten 16 Jahren unter einer unionsgeführten Bundesregierung, die mich dazu bewegt haben, meine politische Bühne vom Bayerischen Landtag hier nach Berlin zu verlagern.

Ich habe mich im Bayerischen Landtag auch queerpolitisch genau an der richtigen Stelle gesehen, weil ich glaube, dass die Gesellschaft in Bayern nicht rückwärts gewandter ist, als die Gesellschaft in Berlin. Die bayerische Gesellschaft leidet eigentlich darunter, dass sie seit Jahrzehnten von einer Regierung repräsentiert wird, die ein vollkommen verzerrtes Bild der bayerischen Gesellschaft nach außen darstellt und es queerpolitisch in Bayern so gut wie überhaupt keine Bemühungen in der Union gab.

Findest du, dass sich die Wahrnehmung in den Medien gegenüber Trans-Personen stark verändert hat in den letzten Jahren?

Es ist mir wichtig, dass wirklich alle Medien angesprochen werden, nicht nur Nachrichtenmedien, sondern auch der Bereich Fiktion, Film und Fernsehen. In der Fiktion ist es nach wie vor so, dass ein sehr eindimensionales Bild der Gesellschaft widergespiegelt wird. Auch Menschen mit Behinderung, Migrationshintergrund sind in der Regel deutlich unterrepräsentiert. Und wenn, dann werden diese Menschen oft sehr eindimensional und klischeehaft dargestellt.

Auf der einen Seite werden mit diesen Klischees gesellschaftliche Vorurteile gefördert und auf der anderen Seite fehlen trans-geschlechtlichen Menschen wichtige Identifikationsfiguren, an denen sie sich orientieren könnten oder eine Vorstellung bekommen könnten, dass das auch für sie lebbar ist. Und da geht es nicht darum, Trans-Personen als ganz tragische Figuren darzustellen, die im Rotlicht arbeiten oder als Mordopfer enden, sondern da würde ich mir einfach eine Normalisierung wünschen.

Wo ist denn zum Beispiel die trans-geschlechtliche Professorin, die für ihre Forschung den Physiknobelpreis einheimst? Oder ein Transmann, der als Polizist mit seinen Kollegen auf Streife geht und Wirtschaftskriminalität aufdeckt? Wir sind so vielfältig, uns gibt es überall.

Der andere Punkt ist die Berichterstattung. In meinen Augen ist es so, dass in den letzten vier bis fünf Jahren die Berichterstattung deutlich zugenommen hat. Dennoch, finde ich, gibt es auch ein enormes Wissensdefizit, weil das Thema Trans-Sein Jahrzehnte, eigentlich Jahrhunderte lang kulturell stigmatisiert und tabuisiert wurde.

Und hier ist natürlich eine objektive Berichterstattung ganz wichtig. Ich glaube, dass aber hier teilweise in den Medien auch aufgrund dieses Defizits manchmal noch die entsprechende Sensibilität fehlt, dass auch in Dokumentationen, die aufklären wollen, die wohlwollend und gut gemeint sind, dann doch wieder nur klischeehafte Bilder repräsentiert werden.

Kurz und knapp: was wünscht du dir für unsere Gesellschaft?

Ich würde mir wünschen, dass wir den Geist von Stonewall einfach weiter lebendig halten, weil mit Stonewall wirklich ein Mythos geschaffen wurde, der mit den CSDs in allen Städten dieser Welt weitergetragen wird. Das, glaube ich, hat uns als queere Community gefehlt in den letzten Jahren der Pandemie. Queere Menschen haben als vulnerable Gruppe in der Bevölkerung besonders stark gelitten. CSDs sind für viele Menschen Empowerment, um den Alltag im restlichen Jahr dann auch entsprechend gut zu überstehen.

Wie viel stärker könnten wir sein, wenn wir Vielfalt und Unterschiedlichkeiten als Geschenk und Bereicherung anerkennen und trotz dieser Unter­schiedlichkeiten alle zusammenhalten würden?

Von Apostolos Tsolakidis

Lambda Designer, Lambda Autor