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Sexuelle Vielfalt und deren Akzeptanz sind nichts Neues

Ein Blick in die Vergangenheit

Es wird besser – eine Parole, die man nicht nur im Namen einer LGBTQIA* Hilfsorganisation wiederfindet, sondern auch ein Statement, dass die letzten Jahrzehnte, was die Gleichberechtigung für die queere Community in Österreich angeht, gut zusammenfasst.

Von Entkriminalisierung zur Ehe für Alle wurden große Schritte geschafft. Ebenso ist die Tatsache, dass das Blutspendeverbot für homo- & bisexuelle Männer aufgehoben werden soll, ein Zeichen, dass wir uns auf eine offenere Gesellschaft zubewegen. Vieles davon wäre utopisch für unsere Community in den 1950er und 60ern gewesen. Jedoch ist es ebenso wichtig, dass wir mit einem tiefen Blick in die Vergangenheit im Kopf behalten, dass sexuelle Vielfalt und deren Akzeptanz nichts Neues sind. Vielmehr, sie wurden unterdrückt und uns genommen.

So hört man heutzutage oft, dass Transsexualität und das nicht-binäre Dasein etwas Neues sind. Hierbei werden Geschlechtsidentitäten als Trends oder Modeerscheinungen abgestempelt und auf eine temporäre soziale Entwicklung reduziert. Derartige Argumentationen wiederholen sich ständig in Diskussionen, Comedy-Sketches oder auch Reportagen. Wenn es eine Modeerscheinung wäre, dann wäre es eine der längsten und weitreichendsten in der Menschheitsgeschichte. Nicht-binäre Personen haben in verschiedenen Kulturen quer durch die ganze Welt über tausende von Jahren hinweg existiert und wurden oft sogar verehrt. Ein Beispiel dafür sind die Geistlichen der Göttin Inanna. Inanna, auch bekannt unter anderen Namen wie Ishtar, Rhea, Kybele, war während der Zeit des Reichs von Akkad in Mesopotamien ca. 2350-2150 v.Chr. und mehr als 2000 Jahre lang danach eine Göttin der Liebe, Schönheit, Sex, Gewalt und Gerechtigkeit. Ihre Geistlichen, die Gala, waren ein hochgeachteter Teil der Gesellschaft. Es heißt sogar, dass man Glück habe, wenn man es schaffen würde, jemals mit einer Gala Sex zu haben. Die meisten Gala waren das, was wir heute als transgender bezeichnen würden. Über die Zeit hinweg blieben diese Geistlichen ein weit respektierter Teil verschiedener Gesellschaften, wie dem Römischen Reich. Dort waren sie als Gallai unter der Göttin Kybele bekannt. Jedoch gab es auch Konflikte, da sich viele frühe Christen gegen diese Geistlichen stellten. Ein historisches Beispiel dafür entspricht in heutigen Standards etwa einem Hassposting, in dem sich der römische Bischof St. Augustin darüber aufregt, dass eine Gallai in aller Öffentlichkeit einkaufen geht. Letztendlich gerieten dennoch die Geistlichen von Kybele, bzw. Inanna, nach dem Fall Roms weitgehend in Vergessenheit. Unter anderem aufgrund von Verfolgungen von Menschen, die nicht dem christlichen Glauben folgten. Geschichten wie diese sind kein Einzelfall, sondern eher die Norm, wenn wir uns verschiedene Kulturen auf der Welt anschauen. In zahlreichen Regionen Asiens und Afrikas findet man Aufzeichnungen davon, wie nicht-binäre Menschen als ein vollkommen selbstverständlicher Teil der Gesellschaft angesehen worden sind.

Ähnlich verhielt es sich hierbei auch mit gleichgeschlechtlichem Sex und Liebe. Im antiken Rom war es grundsätzlich die Norm bisexuell zu sein. Jedoch war es kein Problemthema wie oft genug in unserer Zeit, wenn man heterosexuell oder homosexuell war. Interessant ist auch, dass es bei der Geschlechtsidentität nicht so wichtig war, was man nun in der Hose hatte, sondern eher, ob man sich fortpflanzte. Wenn man dies nicht tat, sei es aus Eigenwillen, Homosexualität, Unfruchtbarkeit oder anderen Gründen, galt man weder als Mann noch als Frau. Eine etwas andere Perspektive als was wir gewohnt sind, obwohl man doch auch hier in Teilen Österreichs mit so viel Stolz auf das römische Erbe herumpocht. Daraus lässt sich schließen, dass die römische Gesellschaft in dieser Hinsicht eine Art von drittem Geschlecht hatte, über konkrete Grundsätze dazu scheiden sich bis heute noch die Geister. Abgesehen davon, war es von klein auf normal, dass man sich in jede Person, mit einem passenden sozialen Stand, verlieben oder sexuell angezogen fühlen konnte. Ähnlich war es im antiken Griechenland und auch sehr viel später immer noch in weiten Teilen Afrikas und Asiens, bis Europas Kolonialmächte mit Waffengewalt anklopften und eigene Gesetze verabschiedeten, welche die sexuelle Vielfalt und deren Freiheit sogar heute noch auf viele Weisen einschränken.

Einen klaren Trend, den man hier erkennen kann, ist die Tatsache, dass die Menschen im Vergleich zu heute früher in einer regelrechten Pride Utopie gelebt haben, welche ihnen Schritt für Schritt genommen wurde. Religion und die Aktionen der Gläubigen, welche sich negativ auf das Leben anderer ausgewirkt haben, stehen hierbei als Ursprung dieser Entwicklung groß im Mittelpunkt. Ob durch aufdringliche Missionsarbeit oder mit Feuer und Flamme, der Glaube von bestimmten Menschen hat es in unzähligen Ländern geschafft, die Gesetze so aufzusetzen, dass die Exekutive aktiv oder passiv gegen nicht-heteronormative Menschen und deren Akte der Liebe vorging. Dabei war es wichtig, diese Personengruppen als sozialen Abfall und moralisch zweitrangig zu plakatieren. Eine Verherrlichung des heteronormativen Paares musste auch in das Gewebe der Gesellschaft eingenäht werden, um solche Gesetze erst möglich zu machen. Und derartige negative Erscheinungsbilder sind immer noch tief in unserem gesellschaftlichen Verständnis verankert. In Europa allein gibt es noch immer zahlreiche Menschen, die ihre Sexualität und Geschlechtsidentität verstecken müssen, aus Angst, dass sie ansonsten womöglich verstoßen werden. Wenn wir für LGBTQIA* Rechte und Freiheiten kämpfen, erschüttern wir nicht eine Gesellschaft, die schon seit Ewigkeiten heteronormativ ist und es immer war. Wir holen uns die Freiheit zurück, die uns genommen wurde.

Von Florian Niederseer

Florian Niederseer ist ein angehender Sozialhistoriker, Künstler und LGBTIQ*-Aktivist aus Österreich. Als Initiator hatte er 2021 die Pride Parade in seinem Heimatdorf Unken veranstaltet. Er lebt aktuell in Glasgow und arbeitet gemeinsam mit politischen Organisationen und NGOs zusammen, um in Bedrängnis geratenen Leuten in LGBTIA* Communities zu helfen. (Foto: © Stefania Calderara)