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Pride Dystopie

Oder ist eine Utopie möglich…?

Budapest, Ungarn, 2022. Die Pride ist eine immer beliebtere Veranstaltung mit immer mehr Teilnehmer-*innen und Programme. Dennoch stößt sie jedes Jahr auf ernsthaften Widerstand: Es gibt eine laute, von der Politik aufgehetzte Gruppe, die gegen die Pride protestieren. Bei der 27. Pride versuchen diese Leute alles Mögliche gegen sie zu tun, wie z.B. immer mehr mögliche Routen bei der Polizei im Voraus zu buchen.

Die Politik, noch dazu mit ihrer Rhetorik und mit den in den letzten Jahren erlassenen Gesetzen, feuert diesen Widerstand noch weiter an.

Aber wie hat das alles angefangen? Wo sind wir jetzt? Und ist unsere Lage wirklich so aussichtslos, wie sie erscheint? Ich habe Zsolt Virág danach gefragt; der Obmann vom Szimpozion Verein hat an der Pride von Anfang an teilgenommen, kurz als Organisator, aber auch als Teilnehmer. Der begeisterte Aktivist kämpft seit 16 Jahren für die Sichtbarkeit von LGBTIQ* Menschen und ist daneben eine bedeutende Figur des schwulen kulturellen Lebens in Budapest.

Lambda: Seit wann ist die Pride ein Teil deines Lebens?

Ich habe schon an dem ersten Ungarischen Schwulen und Lesbischen Filmfestival in 1993 teilgenommen. Aber die erste Pride wurde erst 1997 organisiert: ich bin seitdem immer dabei. Die Webseite unseres Vereins wurde 2006 gemacht: Bei der dazu gehörigen Pressenkonferenz bin ich voll als schwul aufgetreten. Aber bis dahin habe ich die Pride nur im vollen Inkognito besucht: ein Kapperl und ein Fotoapparat, als ein Fotograf.

Wie war dieses erste Pride 1997? Nach den Zeitungsartikeln aus dieser Zeit ist der Marsch auffällig schnell verlaufen.

Es war spannend. Es gab schon damals vor dem Marsch ein kleines Festival. Der Marsch selbst begann bei der Capella. (Ehemaliges, berühmtes und kultiges schwules Lokal in Budapest.) Die ganze Veranstaltung hatte so eine amateurhafte Stimmung: wie eine Fete organisiert von einem Freundeskreis.

Was für ein Gefühl war das für euch, auf die Straße zu gehen und unsere Gemeinschaft den Menschen offen zu zeigen?

Grundsätzlich erschreckend: Einerseits, weil ich mich wegen meiner Familie vor den Kameras versteckt gehalten habe, anderseits haben wir gar nicht gewusst, was passieren wird. Es war auch spannend, durch die wunderschöne Innenstadt von Budapest so offen zu spazieren.

Natürlich ist nichts passiert: Die meisten haben uns nur so verständnislos angesehen, und manche haben gewinkt oder gelächelt. Aber grundsätzlich hat niemand gewusst, was dort gerade gelaufen ist. Bei der ersten Pride gab es ca. 200-300 Teilnehmer*innen.

Also man kann sagen, dass die Pride in der Anfangszeit eine gute Stimmung hatte?

Ja, die ersten 10 Jahre sind prinzipiell ruhig vergangen. Natürlich gab es ein paar Gegner, aber sie und ihre kleinen komischen handgeschriebenen Aufschriften wie z.B.: „Schwuchtel go home!“ konnten nicht ernst genommen werden.

Es war aber ein großes Erlebnis, die Kraft der Gemeinschaft zu erfahren. Die Pride in Budapest war gegen die Prides im Ausland aber grau: Mit einem kleinen Budget war es schwierig etwas Spektakuläres zu machen. Wir haben versucht alles billig und einfach zu lösen: Transparente gemalt auf alte Laken, Musik aus einem alten LKW, usw.

Die Gegner haben sowieso immer damit argumentiert, dass wir anstößig sind. Sie haben aber damals noch gar nicht gesehen was bei ausländischen Prides vorkommt… Obwohl – davon wird es bunt und interessant.

Findest du es wichtig, dass das Pride spektakulär ist?

Prinzipiell ist das nicht unser Ziel, sondern die Sichtbarkeit. Für viele ist es eine perfekte Gelegenheit, sich zum ersten Mal in der Öffentlichkeit zu outen oder sogar mit seiner*m Partner*in Hand-in-Hand auf der Straße zu spazieren. Für die Familie und Freunde ist es eine Möglichkeit ihre Unterstützung auszudrücken.

Die Teilnehmer*innen versuchen sich aber noch immer in die Gesellschaft einzufügen, weil sie noch immer Angst haben und die Unsichtbarkeit Sicherheit bedeutet.

Ist es dem politischen Umschwung in 2007/2008 zu verdanken, dass sich alles zum Schlechteren gewendet hat?

2006, nach einem politischen Fiasko, ist die Gewalt auf den Straßen freigekommen: Brandstiftung, Beschädigungen, Demos, Belagerung der Fernsehzentrale, usw. Danach wurde begonnen, die Pride bewusst und gut organisiert anzugreifen und aus den LGBTIQ* Menschen Feinde zu kreieren. Die Parade wurde mit Molotowcocktails und Rauchgranaten attackiert. Die Polizei war völlig hilflos: Es gab nicht genug Sicherheitspersonal vor Ort, und sie konnte die Situation nicht beherrschen. Sie sind hin und her gelaufen, während sie versuchten, die Straßenkreuzungen irgendwie zu sichern.

Wir haben einander angefeuert, aber viele sind völlig zusammengebrochen. Aber wenn wir flüchten und heimlaufen, dann haben sie das Ziel erreicht, die Gemeinschaft zu verschüchtern. Wir waren nicht im Lebensgefahr: wir haben lieber die Verlegenheit gespürt, die Schreierei gehört und die Spuren gesehen.

Danach ist die „Zaun/Gitter-Epoche” mit heftigem Polizeieinsatz gekommen. Aber nicht die Vandalen sondern wir, die ruhigen Demonstranten*innen wurden „hinter Gitter” gesperrt. Wie weit hat das den Schwung der Pride und die Begeisterung der Leute gebrochen?

Wirkung und Gegenwirkung, was für mich auch überraschend war: Viele, die sich früher lieber versteckt haben, sind nun gerade mitmarschiert.

2009 ist die Reihe der Kordons aufgetaucht, und der Polizeischutz hat sich auch laufend entwickelt. Das hat aber noch immer nicht genug sicheren Abstand von den Gegnern bedeutet, die die Parade mit Pflastersteinen und Eier beworfen haben. Wir haben uns in diesem „Eierschauer“ so gefühlt wie Soldaten, die in die Schlacht marschieren. Eine Sache war sicher: wir dürfen nicht stehen bleiben, also haben wir die Leute mit Regenschirmen vor den Eiern geschützt.

Solche Angriffe sind später auch weitergegangen. Die Gegner konnten sich mehrmals trotz der Zäunen in die Menge einschleusen: damals gab es noch keine Einlasspunkte und keine Leibesvisitation. Der schlimmste Tiefpunkt war, als die zwei Gruppen voneinander mit zwei Reihen von Zäunen geteilt wurden. Die Gegner haben aber trotzdem geschrien, geschimpft, und das hat viele erschreckt. Die Geschlossenheit hat aber Sicherheit bedeutet. Es gab aber trotzdem Personen (egal ob heterosexuell oder nicht), die auf dem Heimweg angegriffen wurden, weil sie an der Pride teilgenommen zu haben.

Die Polizei hat dagegen aber meistens nichts getan: weil sie nicht konnte oder gar nicht etwas tun wollte (versteckte Homophobie oder Opfertadeln).

Dazu kam: wenn es eine*n auffällige*n oder extreme*n Teilnehmer*in gab, hat die Presse diese Fotos sofort benutzt um die Pride zu kritisieren. Oder sie haben auch manchmal Fotos vom Ausland für solche Zwecke verwendet, um die Pride in einen üblen Ruf zu bringen und die Menschen irrezuführen und ihre Meinungen zu beeinflussen.

Die Unterstützung der Pride steigt aber trotz des politischen Drucks immer mehr.

Das ist richtig: Die Leistung der Organisationsgruppe im Bereich von PR und Spende ist hervorragend. Die Gruppe entstand mit der Marke „Budapest Pride“ 2009. Die Organisator*innen haben versucht immer zu lernen, sich zu entwickeln, und für die Aufgaben die richtige Personen zu finden. Heutzutage gibt es schon Arbeitsgruppen, die durch Weiterbildungen und ausländische Reisen wichtige Erfahrungen sammeln.

Daneben unterstützt Budapest Pride die kleineren Gruppen auf dem Land.

Mit der Eskalation der Angriffe haben immer mehr Bürgerinitiativen und Privatpersonen bei der Arbeit geholfen, und tun es so bis heute! Die Teilnehmer*innenzahl ist damit auch stark gewachsen: Am Anfang waren es 3-4000 Teilnehmer*innen, später 10-15000, und bei der letzten Pride mehr als 30000.

Und wegen der immer stärkeren politischen Propaganda schließen sich nicht nur die Betroffenen sondern immer mehr Unterstützer*innen an.

Siehst du es also möglich an, mit der steigenden Unterstützung irgendwann das Niveau vom Westeuropa zu erreichen?

Grundsätzlich ist zu sagen: Die ungarische Politik von heute, die unser Leben und Möglichkeiten einfach verunmöglicht, hat eine große Wirkung auf unsere Sichtbarkeit und immer mehr Leute diskutieren über LGBTIQ*-Themen. Die Pride ist ebenso ein Punkt, über den alle eine feste Meinung haben: entweder pro oder contra. Deswegen ist es wichtig, dass die Pride ein konkretes Ziel und Aussage hat: So hat die Pride jedes Jahr ein klares Motto.

Im Ausland ist die Pride ein wahres Fest. In Ungarn marschieren die Teilnehmer*innen mit voller Spannung. Wir müssen uns bemühen, eine erträglichere und tolerante Welt zu schaffen, die diese Spannung löst und beweist: Wir haben auch das Recht in unserer Heimat als gleichwertige Staatsbürger*innen zu leben. Aber es gibt noch Hoffnung und niemand ist allein!

Von Zoltán Török