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Jugendstil

Man schütze die Kinder!

Was in den frühen Stunden eines Samstags, 1969, im New Yorker Stonewall Inn geschah, gehört bereits zum Grundkanon der LGBTIQ+ Szene. Die Spannung zwischen Community und Polizei explodierte, bei einer Razzia, in einem Aufstand zur Selbstverteidigung und legte einen der vielen Grundsteine für die Protestbewegung, die jährlich weltweit mit der Pride begangen und gefeiert wird.

Schon in ihren Anfängen war die Pride als Parade und Protest eine Zusammenkunft für alle, die keinen Platz haben in einer heteronormativ geprägten Welt. Wo viele cis-heterosexuelle Menschen sich einmal im Jahr mit ihren Familien sammeln, da treffen queere Menschen aller Generation einmal ihre Wahlfamilie auf den bunten Pride-Paraden und Protesten. Menschen verschiedenster Sexualitäten und Identitäten kommen hier zusammen und alle bringen sie ihre eigenen Bedürfnisse und Vorstellungen in den queeren Befreiungskampf mit ein.

Jährlich entbrennt auch eine Diskussion, wer denn dazugehöre. Immer häufiger steht hier „Kink“ im Mittelpunkt der Debatte. Stimmen werden laut, die sagen „Kink gehört nicht auf die Pride“.

Als „Kink“ kann man Sexualpraktiken verstehen, die von konventionellem „vanilla“ Sex abweichen. Was genau alles dazugehört, darüber ließe sich auch streiten. Auf der Pride werden „kinky“ Menschen häufig von der Leder- und BDSM Community vertreten.

Was einem hier jetzt als erstes in den Sinn kommen mag ist vielleicht: „Hä, aber das ist ja gar nicht queer? Cis-Heteros machen das ja auch.“ Und auf den ersten Blick würde das auch stimmen, wenn man die Geschichte der Pride außer Acht lässt. Kink war schon immer auf der Pride vertreten. Besonders in den Anfängen kam in New York die größte Finanzspritze für die Pride aus der Lederszene. Nicht zuletzt auch, weil die Pride in ihrer Vielschichtigkeit gegen die Zwangsordnung der heterosexuellen Normen protestiert – auch im (sprichwörtlichen) Schlafzimmer. Man kann jedoch bei der medialen Repräsentation der LGBTIQ+ Community schnell auf die Idee kommen, dass nur homosexuelle Männer im Mittelpunkt der Proteste stehen – und bitte auch nur, wenn sie sich ordentlich anziehen und benehmen! Man denke doch bitte an die Kinder!

Man stößt aber auch auf ein Argument, das Kink hier als sexuellen Akt mit mangelnder Zustimmung – also ohne Konsens – der Zuschauenden auffasst. Und diese Sorge ist im Kern auch ernst zu nehmen. Wenn es aber nicht nur zwischen zwei Menschen im Privaten passiert, wird aus Konsens schon ein komplexerer Balanceakt. Täglich sind wir mit verschiedenen Ebenen von Sexualität konfrontiert: Nackte Haut auf Reklamen oder knutschende Pärchen im Park. All das passiert meist ohne unsere Zustimmung oder Teilnahme und ist wahrscheinlich in neun von zehn Fällen hetero.

Geht es um queere Menschen und ungewohnte Akte, so wird das Urteil plötzlich viel strenger. Uns fällt auch eher das auf, was uns fremd ist. Auf der Pride sollen dann solche Tabus gebrochen werden. Die Öffentlichkeit wird mit dem „Albtraum“ des radikal queeren Akts konfrontiert. In der BDSM- und Ledercommunity ist Konsens auch eines der wichtigsten Gebote und natürlich soll niemand in einen sexuellen Akt gegen den eigenen Willen hineingezogen werden. Es handelt sich, wie gesagt, um einen Balanceakt. Ob nun für den queeren Befreiungskampf auf offener Straße der komplette Liebestanz vollzogen werden muss, ist fraglich. Auch gibt es progressive Konzepte von Pride-Paraden in denen klar kommuniziert wird in welchem Teil es etwas heißer hergeht.

Das letzte was die Pride tun sollte ist, die Community für einen heterosexuellen Mainstream aufzuarbeiten. Wir fordern ihre Akzeptanz ein und passen uns nicht an diese an! Wer offen ist kann hier neue Formen des zweisamen, dreisamen, vielsamen Liebesspiels kennenlernen. Aber nicht nur Praktiken stehen hier im Fokus; in der Freizügigkeit steckt auch das Potential zur Normalisierung aller Körper. Es ist kein Wunder, dass sich transfeindliche Rhetorik gerne mit „No Kink at Pride“ zusammentut. Sie wissen genau, dass hier endlich auch diverse Körper – dick, dünn, alt, jung und eben auch die Körper von trans Menschen – repräsentiert werden. Mehr Sichtbarkeit schafft bekanntlich mehr Anerkennung und nichts wäre den Transfeinden lieber, als dies zu verhindern. Wer offene Sexualität, nackte Körper oder Kink gänzlich von der Pride verbannen will, der spielt dem direkt in die Hände. Und man denke doch bitte an die Kinder! Besonders an die, die sich auf der Pride zum ersten Mal repräsentiert sehen und die Kulturen und Traditionen unserer Community kennenlernen. Kink war davon schon immer ein Teil und soll es auch weiterhin sein.

Von Jan Obradovic

Queer Youth Vienna QYVIE, HOSI Wien