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Transgender – das dritte Geschlecht in der Wiener Politik

Journalistisches Porträt über Dominique Mras

„…Transmann verprügelt: Ich lag zwei Tage lang im Spital…“ so ist eine Schlagzeile Anfang August 2021 in einer österreichischen Boulevardzeitung zu lesen. Es passierte in der europäischen Regenbogenhauptstadt Wien als eine Gruppe von Jugendlichen den 18-jährigen transidenten Mann körperlich brutal attackierte und wegen seines Aussehens mobbte. „Bereits in den frühen 1980er Jahren begann die Bewegung der Homosexuellen in Wien für die gleichen Rechte zu kämpfen. Aber erst rund vierzig Jahre später seien transidente Personen im Alltag erkannt“, sagt die 32-jährige transidente Bezirkspolitikerin Dominique Mras. Deshalb gebe es in der Politik noch viel zu tun, für ein diskriminierungsfreies Leben, weil für Mras werden transidente Menschen noch stärker diskriminiert als Schwule, Lesben und bisexuelle Personen, sagt sie.

Dominique Mras sieht sich selbst als binäre transidente Frau, möchte mit den Pronomen „sie“ und „ihr“ angesprochen werden. Doch das dritte Geschlecht als alternativen Geschlechtseintrag einzuführen ist ein wesentlicher Schritt im Kampf um selbstbestimmt in dem Geschlecht zu leben, das Menschen in ihrem Alltag real verkörpern und empfinden. Nicht alle transgender Personen können oder wollen sich im binären Spektrum verorten.

Dominique Mras wurde bei der Geburt das männliche Geschlecht zugewiesen, aber sie fühlte sich in der eigenen Haut nicht wohl. Umgeben von Depressionen in den jungen Jahren merkte sie mit der Zeit, dass sie eine Frau ist. Sie entschloss sich ihr körperliches Geschlecht dem selbst gelebten weiblichen Geschlecht anzugleichen und als transidente Frau weiterzuleben. Seit sie sich im Jahr 2018 geoutet und öffentlich dazu bekannt hat, geht es ihr physisch und psychisch viel besser.

LGBTIQ*-Politik heißt für Mras Gleichstellungspolitik und Antidiskriminierungsarbeit, wovon in der Gesellschaft alle profitieren: mit den gleichen Rechten und Pflichten geboren zu sein! Ihr politisches Engagement sei feministisch und sozialdemokratisch, was den gemeinsamen Kampf gegen kapitalistische patriarchale Strukturen bedeutet. Die Gesellschaft müsse sich in diese Richtung weiterentwickeln, damit alle Geschlechter gleichberechtigt demokratisch mitbestimmen können, sagt sie. Transidente Frauen suchen genau das gleiche wie cis Frauen in Frauenräumen, nämlich Schutz vor männlicher Gewalt. Ihnen den Zugang zu diesen Schutzräumen zu verwehren und Ängste zu schüren, transidente Frauen wären sogenannte verkleidete Männer, schiebe sie nur stärker ins Abseits einer vulnerablen Personengruppe, sagt Mras. Sie sehe es daher als Fehler, transidente Frauen von feministischen Organisationen bewusst auszuschließen. Es sei die Aufgabe der Politik für ein respektvolles Miteinander zu sorgen und Ängste abzubauen, sagt die 32-jährige Bezirkspolitikerin.

Seit mehr als zehn Jahren ist Mras in der Kulturszene, in einem Theater am Alsergrund, aktiv. Derzeit arbeitet sie hauptberuflich als parlamentarische Mitarbeiterin für den Nationalratsabgeordneten Mario Lindner im SPÖ-Parlamentsklub. Im Jahr 2019 hat sie zum ersten Mal als LGBTIQ*-Politikerin der SoHo bei der österreichischen Nationalratswahl kandidiert. Seit der letzten Bezirksvertretungswahl im Oktober 2020 in Wien ist sie Mandatarin im Bezirksparlament in Wien-Alsergrund, wo sie im Umweltausschuss und in der Kulturkommission mitentscheidet. Ihr Antrag für den ersten Trans-Pride-Schutzweg im neunten Bezirk wurde einstimmig beschlossen und in der Nähe des Allgemeinen Krankenhauses, AKH-Wien, wo es auch die einzige Transgender-Ambulanz in Wien gibt, umgesetzt. Jedoch ist dieser Schutzweg vor allem als politisches Zeichen wahrzunehmen, um Vielfalt und Akzeptanz der Geschlechtergerechtigkeit öffentlich sichtbarer zu machen. Schließlich gibt es noch viele Einschränkungen für LGBTIQ*-Menschen im Bereich der Gesundheit. Daher ist dieses Zeichen der öffentlichen Sichtbarmachung nur ein erster Schritt. Gemeinsam mit dem Nationalratsabgeordneten Lindner entwickelt Mras ein Konzept mit gesundheitlichem Aspekt zu LGBTIQ*. Dabei arbeitet sie auch mit Aktivist*innen aus der LGBTIQ*-Szene und mit vier Parlamentsabgeordneten der anderen Fraktionen die Grünen und Neos kommunikativ gut zusammen. Doch progressive Mehrheiten im österreichischen Parlament zu finden, um zum Beispiel beim Personenstand die Geschlechtseinträge rechtlich abzusichern, ist eine Herausforderung und scheitert derzeit an der konservativen ÖVP-Mehrheit im Parlament.

Abgesehen von Mras politischer Tätigkeit als trans­idente Bezirkspolitikerin sieht sie sich persönlich mehr als pansexuell, was für sie bedeutet, der Mensch und nicht das Geschlecht stehe im Vordergrund, sagt sie. Mras studierte Politikwissenschaften an der Universität. In ihrer Studienzeit und während ihres ehrenamtlichen Engagements in der SPÖ habe sie ihr Coming-out, durch Psychotherapie unterstützt, vorbereitet. Seit dem Jahr 2018 geoutet lebt Mras als Frau und ist seit der Änderung des Personenstands im Jahr 2019 rechtlich als Frau anerkannt. Die medizinischen Behandlungen, die für viele transidente Menschen notwendig sind, wie Hormontherapien, hat sie bereits abgeschlossen. Dennoch wird Mras als transidente Frau in ihrem persönlichen Umfeld noch oft abgelehnt, aber in ihrem familiären Umfeld, wird sie – nach Anfangsschwierigkeiten mit ihrem Vater – unterstützt, sagt sie. Schließlich fühle sie sich nach ihrem Coming-out endlich besser. Sie kann nun ihre eigene Geschlechtsidentität offen zeigen und sie selbst sein, ohne sich zu verstecken. Sie lebt derzeit als Frau mit einem cis Mann in einer Beziehung. Abseits ihres beruflichen und politischen Wirkens schaut sie in ihrer Freizeit Science-Fiction-Filme an oder passt auf ihren sechs-jährigen Neffen, den Sohn ihres Bruders, regelmäßig auf.

Seit mehr als zehn Jahren lebt sie am Alsergrund, im neunten Wiener Gemeindebezirk. Dort ist sie auch als Sucht- und Drogenbeauftragte in der Bezirksvertretung aktiv. Ihr ist es wichtig, sowohl Menschen mit Migrationshintergrund, die aus ihrer Heimat flüchten mussten, wie auch Sucht- und Drogenkranke mehr zu integrieren, statt an den Rand der Gesellschaft zu drängen. Einer ihrer Beweggründe sich politisch zu engagieren waren die Widerstände gegen eine Flüchtlingsunterkunft sowie gegen die Suchtberatungsstelle in ihrem Bezirk, die sie fassungslos machten. Die jährliche Kultur Card Alsergrund, die regelmäßig den Bewohner*innen leistbares Kulturvergnügen anbietet, und der erstmals ins Leben gerufene Alsergrunder Kultursommer mit über 40 Veranstaltungen großteils bei freiem Eintritt zählen auch zu Mras bezirkspolitischen Aktivitäten. Ihr ist dabei wichtig, Kulturprojekte aus dem öffentlichen Bezirkskulturbudget transparent zu fördern sowie Geschlechtergerechtigkeit und niederschwelligen Zugang in den Kulturleitlinien des Bezirks zu berücksichtigen. Besonders kleinere und nicht parteipolitische Kulturvereine unterstützt sie. Als Bezirkspolitiker*in tauscht sie sich gerne mit den Menschen vor Ort aus und bietet jeden Dienstag Sprechstunden für die Bevölkerung im neunten Bezirk an. Auch ihre Vorbilder sind in den politischen Reihen zu finden: Die erste österreichische Frauenministerin Johanna Dohnal, der frühere US-Präsident J.F. Kennedy sowie der Parteipolitiker und ehemaliger Wiener Bürgermeister Michael Häupl. Jedoch eine eigene parteipolitische Karriere als Politikerin in das österreichische Parlament habe sie derzeit noch nicht geplant, sagt die transidente Bezirkspolitikerin Dominique Mras.

Von Veronika Reininger

Freiberufliche Journalistin (Foto: © Bettina Frenzel)