Homophobie muss unpopulär werden
Regnerische Tage mit heftigem Wind zu Beginn taten der Freude über die Begegnungen keinen Abbruch: Die ganze Stadt Kopenhagen erstrahlte in Regenbogenfahnen und -farben an allen Ecken und Enden, am Rathausplatz gab es im WorldPride Village eine große Bühne und viele verschiedene kulinarische Spezialitäten.
Copenhagen 2021 mit den EuroGames, der größten je stattgefundenen LGBTI-Menschenrechtskonferenz und der WorldPride Parade am Schluss war DAS Ereignis der queeren Community heuer. Erfreulich war, dass Aktivist*innen aus Afrika, Lateinamerika und Asien, viele von ihnen durch etwa 250 Stipendien unterstützt und teils wegen wechselnder Covid-Landesbewertungen sehr kurzfristig, nach Dänemark kommen konnten.
Ein unglaublich vielfältiges Programm
Es begann am Donnerstag, 12. August, mit zahlreichen Veranstaltungen im WorldPride House und im WorldPride Park im schwedischen Malmö – denn Copenhagen 2021 hatte sich ein grenzübergreifendes Festival vorgenommen, und als Symbol dafür erstrahlte die Brücke über den Öresund des nächtens in den Regenbogenfarben. In Malmö fand nicht nur der Eiskunstlauf-Wettbewerb statt. Der Höhepunkt war zweifellos der große Gipfel zu Flüchtlingen, Grenzen und Immigration im Rahmen eines der zehn Themen des Menschenrechtsforums, „Grenzen, Dekolonisierung und Rassismus“.
Am Freitag wurde das Fluid Festival in Kopenhagen eröffnet: ein Raum, um Frauen, genderqueere und nicht-binäre Identitäten zu feiern. Der Name dieses Festivals zeigt eine den Zeichen der Zeit geschuldete Entwicklung: Ursprünglich sollte es „Frauen und Frauen“ heißen, dann wurde „nicht-maskulin“ überlegt, und letztlich wurde „Fluid Festival“ draus – ein großartiges, durchaus politisches, Festival mit zahlreichen Lesungen und Konzerten, mit internationalen Teilnehmer*innen, vielen Lesben, indigenen, Trans- und anderen Frauen. Es war schließlich ein von alten und jungen Feminist*innen und vielen anderen gerne besuchter Ort.
#YouAreIncluded
Dieses Motto galt für alle Ereignisse, von der LGBTIQ+-Menschenrechtskonferenz, über die Sports Leader Conference, bis hin zur großen Parlamentarier*innen-Versammlung und schließlich der WorldPride Parade: überall hängte, leuchtete, war dieses Motto zu lesen, und es machte klar, was viele immer wieder wiederholten: Angesichts des drohenden Backlashes, der Rückschritte, die wir in vielen Ländern erleben – egal ob arm oder reich, im Norden oder Süden der Welt, in demokratischen wie autoritären Ländern – bis hin zum schlimmsten außen- und geopolitischen Ereignis dieses Sommers, der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan – angesichts all dieser Ereignisse sind wir in der LGBTQI-Community gefordert, unsere Vielfalt anzuerkennen und nicht die einzelnen Identitäten gegeneinander auszuspielen.
Auf der Sports Leader Konferenz, die ich als Moderatorin eröffnen durfte, sprach u.a. der britisch-jamaikanischen Schwimmer Michael Gunning, der 2018 sein Coming-out hatte, bei zwei Weltmeisterschaften mitschwamm und sechs jamaikanische Rekorde hält. Auf die Frage, wie er seine Aussage meinte, dass er nach seinem Coming-out ein besserer Athlet war, antwortete er: „Ich musste nicht mehr jemand sein, der ich nicht war, und konnte mich einfach aufs Schnell-Schwimmen konzentrieren! Und die Leute um mich herum hatten keine Angst mehr davor, mir Fragen zu stellen.“ Sichtbarkeit – und das Engagement gegen sexistische Kleidungsvorschriften für Frauen sowie die „intelligente Einbeziehung“ von Transpersonen waren drei der wichtigsten Themen bei dieser Konferenz.
Die Eröffnung der Menschenrechtskonferenz brachte eine Premiere für WorldPride: Erstmals war ein Mitglied einer königlichen Familie Schirmherrin, und hielt noch dazu an beiden Konferenzorten, UN City und Veranstaltungshalle Okneshallen, zwei beeindruckende Reden: Der aus Australien stammenden Kronprinzessin Mary von Dänemark war bei ihren Vorträgen anzumerken, dass ihr diese Auftritte wichtig waren, dass sie voll und ganz hinter den Forderungen nach gleichen Rechten steht. Sie brachte ihre Unterstützung mit dem südafrikanischen Sprichwort zum Ausdruck: „Weder Liebe noch Regen suchen sich das Gras, auf das sie fallen, aus.“
Und es gab noch viele weitere beeindruckenden Ereignissen in diesen zehn Tagen:
„Lesbians Free Everyone” ist eine großartige Doku über die erste deklarierte Lesbe, die 1995 das Plenum einer UNO-Konferenz adressierte, der Weltfrauenkonferenz in Beijing. Die damalige Aktivistin und heutige Regisseurin Beverly Ditsie brachte im Covid-Jahr 2020 viele der damaligen Aktivistinnen online zu Gesprächen zusammen. Es wurde ein bewegender Film über die Ängste vor, den Hass gegen und das gegenseitige Empowerment lesbischer Frauen damals und heute. In der anschließenden Fragestunde rief sie uns alle auf, mehr zu tun, um „Homophobie unpopulär zu machen“, also den Verbreiter*innen von Hass und Hetze den emotionalen Boden abzugraben. Mit den beiden Vorsitzenden der LGBTI-Intergroup im Europaparlament haben ich übrigens schon vereinbart, dass wir – ev. schon 2022 – eine Europatour mit Beverly Ditsie und ihrem Film organisieren wollen!
Die vier Stadien der Rückschritte
Die Parlamentarier*innenkonferenz, die ich am Freitag, 20. August, moderierte, brachte mehr als 100 gewählte Abgeordnete aus allen Kontinenten physisch und virtuell im Folketing, dem dänischen Parlament, zusammen – alle, egal welcher sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität, geeint in ihrem Engagement gegen Diskriminierung und Hass. Viele von ihnen sahen auch unsere hart erkämpften demokratischen Strukturen in Gefahr. Der dänische Gleichstellungsminister wiederholte die Aussage der EU-Kommissionspräsidenten Ursula von der Leyen, die zum jüngsten homo-, lesbo- wie transphoben Gesetz der ungarischen Regierung festgestellt hatte: „LGBTI ist keine Ideologie, sondern eine Identität“. Religiöse Freiheiten dürften nicht über LGBTI-Rechten gehandelt und bewertet werden, darüber waren sich ebenso alle einig.
Besonders beeindruckend, aber auch bedrückend, war die Video-Rede des ugandischen Abgeordneten Fox Odoi – er ist auch Vorsitzender des parlamentarischen Menschenrechtsausschusses. Er hielt vier Stadien der „sehr besorgniserregenden Rückschritte“ in seinem Land, aber nicht nur dort, fest: Zuerst kommt die Nicht-Anerkennung, dann die „aktive Diskriminierung“ in der die LGBTI-Community über Propaganda gezielt angegriffen und ihr Zugang etwa zu Gesundheit behindert wird. Das dritte Stadium ist die Kriminalisierung über Gesetze, und das vierte dann die aktive Belästigung und Verfolgung. Doch es sei „nicht alles verloren“, und es lohne sich zu kämpfen. In dieselbe Richtung argumentierte Robert Biedron, der bekannte polnische Europaabgeordnete, früher Aktivist und auch offen schwuler und direkt gewählter Bürgermeister einer 100.000 Einwohner-Stadt: „Ein anderes Polen ist möglich“.
Und dann war da auch noch Victor Madrigal-Borloz, der erste Unabhängige Experte der Vereinten Nationen zum Schutz vor Gewalt und Diskriminierung auf Basis von Sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität. Sein „Job“ wurde 2017 geschaffen, nachdem an die 1.300 Organisationen der Zivilgesellschaft weltweit dessen Einrichtung verlangten! Seine Berichte – wie der jüngste zu Gender Theory – sind nachzulesen auf https://www.ohchr.org/EN/Issues/SexualOrientationGender/Pages/VictorMadrigalBorloz.aspx
Abgeordnete aus Fidschi, Taiwan, Argentinien, der Dominikanischen Republik, Brasilien, Neuseeland, Nordmazedonien und vielen anderen Ländern gaben ein beeindruckendes Bild darüber, was auch in schwierigen Zeiten, mit viel Herzblut und strategischem Denken, zu erreichen war, gegen massive Widerstände. „Sichtbarkeit, Gesetze und Verbündete“ waren wohl die meist gebrauchten Vokabel der Konferenz – und es wird an einer Fortsetzung im Rahmen von WorldPride 2023 in Sydney gearbeitet.