Opfer sein nicht leicht gemacht, Teil 1
Recht haben ist nicht gleich Recht bekommen. Dieser Satz steht sinnbildlich für Schwierigkeiten und Mühen bei der Rechtsdurchsetzung. Da die Justiz unter Ressourcenknappheit leidet, kommt es immer wieder zu sehr langen Verfahren. Vor allem dann, wenn legitimerweise Rechtsmittel ausgeschöpft werden, also „durch die Instanzen gegangen wird“. Besonders wenn der persönliche Lebensbereich betroffen oder man* Opfer von Straftaten geworden ist, können lange Verfahren Betroffene belasten, zu emotionalen Rückschlägen führen und das Vertrauen in die Justiz auf die Probe stellen.
So erging es auch Albert, der nachts nach der Wiener EuroPride 2019 Opfer homophober Aggression wurde und sich in der Folge durch einen von Behördenfehlern gekennzeichneten 1,5-jährigen Prozess durchkämpfen musste. Er hat seine Geschichte mit uns geteilt und ich habe mit ihm nicht nur über emotionale Aspekte seiner Justizodyssee gesprochen, sondern auch über seine Erfahrungen mit konkreten rechtlichen Abläufen.
Nach der EuroPride Afterparty im Prater Dome gingen er, sein Cousin Phillipp und Ryan – ein Tourist, den sie auf der Pride kennengelernt hatten – frühmorgens zu McDonalds. Im Lokal wurden sie von einem Unbekannten verbal und mit Gestik attackiert. Dieser echauffierte sich daran, dass Ryan kein Oberteil trug und identifizierte die Gruppe wohl als LGBTIQ*-zugehörig und als Pridebesucher wegen ihres „paradetypische Stylings“ (Schminke, Glitzer, Outfit). Er forderte sie auf sich etwas anzuziehen. Es sei aber ihre Sache, was sie anziehen würden, entgegnete ihm Phillip. Daraufhin sagte der Unbekannte er werde ihn schlagen und in die Eier treten. Er drohte der Gruppe mit erhobener Hand und angedrohten Fausthieben. Noch dazu beleidigte er sie mit Wörtern wie „schwule Sau“, „Schwuchteln“ und „Hurensöhne“, spuckte vor ihnen auf den Boden und redete zwischendurch in einer Fremdsprache auf sie ein. Albert hatte dabei Angst niedergeschlagen zu werden, durch seine Angst war er wie gelähmt. Er bat einen Schaltermitarbeiter die Polizei zu rufen. Diese traf bald ein und es kam glücklicherweise zu keiner Schlägerei. Wie üblich nahm die Polizei die Daten der beteiligten Personen, auch des Aggressors, auf und notierte kurz die Aussagen aller. Später auf der Dienststelle verfasste die Polizei einen Amtsvermerk der Geschehnisse. Dabei passierte ein Missgeschick:
Die Ermittler*innen nahmen nur Phillipp als Opfer zum Akt, die anderen beiden nur als Zeugen, wodurch ihnen keine Opferrechte nach der Strafprozessordnung zukamen. Tatsächlich war aber die ganze Gruppe Opfer der aggressiven Äußerungen und Gesten. Im genannten Amtsvermerk steht, dass Albert angegeben habe, den Vorfall beobachtet zu haben, jedoch nicht bedroht worden zu sein. Und Ryan (Anm.: der als amerikanischer Tourist kein Deutsch verstand) habe angegeben, vom Vorfall nicht viel mitbekommen zu haben. In Wahrheit hat sich Albert jedoch sehr wohl bedroht gefühlt – genauso wie Phillip – und verstand nicht, warum er die Tat nur „beobachtet“ haben sollte. Und Ryan konnte selbstverständlich zumindest Mimik, Gestik und Tonfall des Unbekannten als entsprechend bedrohlich charakterisieren.
Zur einen Monat später erfolgten Opfereinvernahme auf der Polizeidienststelle war nur Phillipp geladen und nicht auch Albert (Ryan war zwischenzeitlich in die USA zurückgekehrt). Dennoch begleitete Albert Phillipp und begehrte vor Ort seine eigene Opfer-Einvernahme, die aber abgelehnt wurde! Außerdem stand ein weiteres Beweismittel gar nicht mehr zur Verfügung – nämlich eine Videoaufnahme der Überwachungskamera in der McDonalds-Filiale. Diese war zwar von der Polizei anlässlich des Vorfalls gesichtet worden, aus Sicht der Ermittler*innen enthielt das Material aber „keine verwertbaren Erkenntnisse“; wovon sich die Opfer aber selbst nicht mehr überzeugen konnten, da keine Sicherung der Aufzeichnung polizeilich durchgeführt worden und das Material mittlerweile gelöscht worden war.
Ermittelt wurde wegen gefährlicher Drohung (§ 107 Strafgesetzbuch, StGB), die Staatsanwaltschaft (StA) Wien als übergeordnete Ermittlungsbehörde stellte jedoch das Strafverfahren ein, weil „die Äußerungen/Gesten des Beschuldigten im Zweifel als situationsbedingte Unmutsbekundungen ohne ernsthafte Eignung zur begründeten Furchteinflößung oder Absicht das Opfer in Furcht und Unruhe zu versetzen, anzusehen seien“. Auf Grund seines fälschlicherweise fehlenden Opferstatus wurde Albert von der Einstellung nicht schriftlich verständigt, sondern nur Phillipp, welcher nicht binnen der dafür vorgesehenen 14-tägigen Frist einen sog. „Fortführungsantrag“ zur weiteren Ermittlung durch die StA stellte. Da sich Albert im Verfahren als Opfer übergangen fühlte und erfahren wollte, warum der „Fall fallen gelassen wurde“, stellte er mit Hilfe eines Rechtsanwalts einen Antrag auf Einstellungsbegründung: „Die subjektive Tatseite der gefährlichen Drohung sei nicht nachweislich“; und „im Zweifel kein Vorsatz auf eine ernsthafte Drohung mit einer objektiv nachvollziehbaren Eignung zur begründeten Furchteinflößung … nachzuweisen“, hieß es. Für Albert unfassbar, war er sich doch sicher, dass der Verdächtige es ernst gemeint und womöglich losgeschlagen hätte. Und seine Angst war keinesfalls unbegründet gewesen.
Juristisch entschied man* sich später dazu die Strafverfolgungsbehörden aufzufordern in der Sache nunmehr wegen dem Tatbild der „Beleidigung“ (§ 115 StGB) zu ermitteln; eine schriftliche Stellungnahme zu Alberts Wahrnehmungen erfolgte an die Polizei. Wegen des Vorwurfs der „Beleidigung“ war nämlich das Verfahren nicht eingestellt worden und die Strafverfolgung stand noch offen. Da sich auf Grund der homophoben Äußerungen die Tat „gegen die Opfer wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer der sexuellen Ausrichtung definierten Gruppe“ (§ 117 Abs 3 iVm 283 Abs 1 Z 1 StGB) richtete, handelte es sich um ein sog. „Ermächtigungsdelikt“, d.h. dass die Staatsanwaltschaft grundsätzlich amtswegig ermitteln muss. („Normale“ Beleidigungen sind hingegen „Privatanklagedelikte“: Ermittlung und Anklage erfolgen dabei opferseitig und mit Kostenrisiko.)
Erneut niederschmetternd war es für Albert, wieder negative Nachrichten von der StA zu erhalten. Auch dieses Verfahren stellte die StA ein: U.a. sei die Anwesenheit dreier Unbeteiligter (die das Tatbild der Beleidigung erfordert) nicht nachweisbar; es sei der Ausdruck „Schwuler“ nicht als Beschimpfung zu werten; außerdem gründe sich der Tatverdacht ausschließlich auf die Aussagen Phillipps. Diese Nachricht, dass die StA die Tat nicht weiter verfolgen würde, löste in Albert ein Ohnmachtsgefühl aus. Er verstand nicht, warum ihm die Justiz nicht helfen wollte.
Da ich die Möglichkeit hatte, den Ermittlungsakt zu lesen, kann ich seine negativen Emotionen gut nachvollziehen, denn auch mir erscheint die Einstellung(sbegründung) alles andere als korrekt und nachvollziehbar. Die Angelegenheit erfährt aber noch eine Wendung! Dazu allerdings erst in meinem nächsten Beitrag…
Fortsetzung folgt.