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Queer trotz heterosexueller Beziehung

Das geht.

Dass ich bisexuell bin, habe ich schon früh bemerkt. Bereits mit 13 schwärmte ich sowohl für Männer als auch für Frauen. Jahrelang kämpfte ich mit meiner Identität, mit 17 hatte ich dann mein Coming-out, das total unspektakulär verlief. Sowohl meine Familie als auch meine Freund*innen versicherten mir, dass es für sie keinen Unterschied mache, wen ich liebte. Danach lernte ich, meine Bisexualität nicht nur zu tolerieren, sondern stolz auf sie zu sein. Schließlich wurde meine Bisexualität ein für mich wichtiger Teil meiner Persönlichkeit.

Mit meinem Umzug nach Wien eröffnete sich mir eine ganz neue, queere Welt. Begeistert besuchte ich Szenelokale wie das Gugg oder die Villa Vida und tanzte wild auf den GSpot-Partys. Meine Sexualität konnte ich endlich frei ausleben. Ich flirtete, küsste und führte Beziehungen mit Männern und Frauen. Endlich fühlte ich mich zu 100% queer.

Vor 3,5 Jahren traf ich dann meinen jetzigen Freund. Es war Liebe auf den ersten Blick. Noch nie hat mich jemand so vollständig ergänzt und so wortlos verstanden wie er. Dass er ein Mann ist, ist dabei reiner Zufall, genauso gut hätte es eine Frau sein können. Aber so bin ich nun seit fast 4 Jahren in einer heterosexuellen Beziehung. Und manchmal fällt es mir schwer, meine queere Identität, die über die Jahre zu einem integralen Bestandteil meiner Persönlichkeit geworden ist, zu bewahren.

Gespräche mit bisexuellen Freundinnen

In den letzten Wochen habe ich einige sehr interessante Gespräche mit drei bisexuellen Freundinnen, Bianca, Sabine und Lucia geführt. (Anmerkung: Alle Namen wurden zur Gewährleistung der Anonymität geändert.) Alle drei leben in heterosexuellen Langzeitbeziehungen. Diese Gespräche haben mir sehr geholfen zu verstehen, dass ich mit diesen Gefühlen nicht alleine bin.

Bianca ist 25. Sie hat sich mit 15 in ihre Zimmergenossin im Internat verliebt. Als sie dann mit dieser Zimmergenossin zu experimentieren anfing, wurde ihr klar, dass sie bisexuell ist. Sie hatte bisher nur Beziehungen mit Männern, ihre Gefühle für Frauen sind meist sexueller Natur. Sie hat seit 4 Jahren einen festen Freund. Sabine ist 26. Sie identifizierte sich jahrelang als lesbisch und all ihre bisherigen Beziehungen waren mit Frauen. Vor 1,5 Jahren lernte sie aber ihren jetzigen Freund kennen und verliebte sich überraschend in ihn. Lucia ist 23 und ging schon immer gerne feiern. Im Zuge dieser Partys kam es des Öfteren vor, dass sie mit Frauen schmuste. So entdeckte sie, dass sie in Wahrheit bisexuell ist. Seitdem führte sie Beziehungen mit Männern und Frauen, nun ist sie seit 3 Jahren in einer Beziehung mit ihrem Freund.

Wir vermissen die queere Community

Vor allem Sabine klagt oft darüber, dass sie das queere Leben vermisse. Wir gingen schon immer gern zu Veranstaltungen in Szenelokalen wie das Gugg oder die Villa Vida, da dort immer so ein herzlicher Umgangston herrscht. Früher war es ganz normal, mit der Freundin zu solchen Veranstaltungen zu gehen. Heute sind wir uns einig, dass es sich irgendwie seltsam anfühlt, wenn wir den Freund mitnehmen. Gleichzeitig ist es uns aber auch ein inniger Wunsch, den Kontakt zur community Community nicht zu verlieren. Wir beide sind hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, diese Seite unseres Lebens mit den Partnern zu teilen und dem Bedürfnis, besser in das Szenebild hineinzupassen, ohne einen Mann an unserer Seite.

Bianca hingegen vermisst weniger die queere Community, zu der sie nie eine starke Bindung eingegangen ist. Jedoch fühlt sie sich sexuell viel stärker zu Frauen als zu Männern hingezogen und vermisst es oft sehr, mit Frauen intim zu sein. Bianca berichtet, dass sie ihrem Freund emotional sehr nahesteht und ihn sehr liebt, die Leidenschaft fehlte jedoch fast von Beginn an. Eine wirkliche Leidenschaft habe sie bisher auch nur mit Frauen erlebt. Da der Beziehungsalltag aber ansonsten perfekt passe, könne sie sich nicht vorstellen, mit ihm Schluss zu machen. Sie spricht deshalb immer wieder davon, die Möglichkeit einer offenen Beziehung in Betracht zu ziehen.

Wir werden nur noch selten als queer wahrgenommen

Aber nicht nur die queere Community fehlt Sabine und mir, sondern auch die Selbstverständlichkeit, mit der wir früher als queer wahrgenommen wurden. Wir sind bisexuell und das wird sich auch niemals ändern, das wissen wir natürlich. Aber je länger wir in einer heterosexuellen Beziehung sind, desto weniger werden wir von den Menschen als queer gelesen. Immer öfter müssen wir uns wieder aktiv outen, anstatt selbstverständlich als queer gesehen zu werden. Das konstante Outen hatte sich früher erübrigt, als wir Partnerinnen hatten. Aber auch alte Bekannte, die es eigentlich besser wissen müssten, vergessen immer wieder, dass wir eigentlich Teil der LGBTQIA+ Community sind. Das ist für uns alle drei sehr verletzend, da es einen wichtigen Teil unserer Identität ausmacht. Auch wir haben dasselbe erlebt wie viele homosexuelle Menschen: Wir kämpften jahrelang mit unserer Sexualität, bis wir sie akzeptieren konnten, wir mussten uns outen und besonders Bianca bekam nicht nur positive Reaktionen. Schließlich lernten wir in einem langen Prozess, auf unsere bisexuelle Identität stolz zu sein. Nun fühlt es sich so an, als würde dieser Teil unserer Identität nicht mehr ernst genommen werden.

Wir sind zurzeit alle „straight passing“, das heißt, wir wirken von außen heterosexuell und nicht queer. Da wir aber immer bisexuell sein werden und das auch so nach außen tragen möchten, haben wir alle unsere eigenen Methoden entwickelt, um dagegen zu steuern. Bianca geht sehr offen damit um, wen sie attraktiv findet und erzählt immer wieder, dass sie diese und jene Frau sehr anziehend fand/findet. Auch von vergangenen Eroberungen erzählt sie oft. Sabine und ich schauen oft Filme mit queerem Inhalt. Außerdem achten wir beide darauf, den Anschluss an die Community nicht zu verlieren. Wir haben beide einen queeren Freundeskreis, mit dem wir auch regelmäßig LGBTQIA+ Veranstaltungen besuchen. Besonders diese Veranstaltungen sind für Sabine und mich sehr wichtig, und manchmal nehmen wir auch Bianca mit.

Wir sind trotzdem queer

Lucia ist die Freundin, die am wenigsten Probleme mit der Situation hat. Sie ist mit ihrem Freund sehr glücklich und sie macht sich auch am wenigsten Gedanken. Als sie mit einer Frau zusammen war, hatte sie die gleiche Einstellung. Meines Wissens hat sie sich auch gar nicht gegenüber ihrem Freund geoutet, sie findet es nicht wichtig. Manchmal beneide ich Lucia. Sie macht sich viel weniger Gedanken über ihre Bisexualität als wir anderen. Sie weiß, sie ist bisexuell, und damit ist sie zufrieden. Was die anderen dazu sagen, ist ihr egal. Das hat aber auch den umgekehrten Effekt, dass nur sehr wenige Menschen von ihrer Bisexualität wissen. Ihr ist es auch gar kein Anliegen, das zu ändern. Nicht, weil sie Angst hat, sich zu outen, sondern weil es für sie einfach nicht so wichtig ist.

Obwohl wir also alle verschiedene Standpunkte einnehmen, haben wir eines gemeinsam: Wir sind bisexuell in einer heterosexuellen Beziehung und sehr glücklich in diesen Beziehungen. Was mir von diesen langen Gesprächen blieb, ist die befriedigende Erkenntnis, dass ich mit diesen Gedanken nicht alleine bin und dass es so viele Wege gibt, sich trotzdem der Community nahe zu fühlen. Man muss nur den richtigen Weg für sich finden. Denn obwohl wir in heterosexuellen Beziehungen sind, macht uns das nicht weniger queer. Wir sind trotzdem loud and proud!

Von Marlene

Lambda Autorin