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Community & Politik

Sichtbarkeit macht angreifbar, Angriffe machen sichtbar

Politische Entwicklungen in der Pride-Zeit

Nach einem Jahr, in dem es um kaum etwas anderes als Corona ging, haben wir als LGBTIQ-Community mit der Vienna Pride 2021 ein Comeback geschafft, das vielen gut getan hat: Endlich wieder zu Fuß einmal um den Ring. Endlich wieder Leute sehen. Endlich wieder Demo-Atmosphäre. Endlich wieder bunt, endlich wieder Sichtbarkeit. Endlich wieder dieser eine Tag im Jahr, an dem wir spüren, dass wir nicht allein sind. Endlich wieder Pride.

Wir haben, was ja 2020 nicht möglich war, als Community auch dieses Jahr die Früchte der EuroPride 2019 ernten können: Die Medien haben so großflächig und niveauvoll berichtet wie selten zuvor, unsere Obfrau Ann-Sophie Otte und unsere Organisatorin der Vienna Pride, Katharina Kacerovsky-Strobl, haben einen Medientermin nach dem anderen absolviert. Auch unser Schulbeflaggungsprojekt FLAGincluded hat einen schönen Zuwachs an Schulen zu verzeichnen, die im Juni die Regenbogenfahne gehisst und so besonders ihren LGBTIQ-Jugendlichen den Rücken gestärkt haben. Sogar katholische Pfarren haben die Regenbogenfahne gehisst, um gegen das Nein der vatikanischen Glaubenskongregation zur Segnung gleichgeschlechtlicher Paare zu protestieren. Wir haben viel erreicht, nicht nur als Community, sondern auch als Gesellschaft.

Der Pfarrturm in Unken, Salzburg
Der Pfarrturm in Unken, Salzburg

Und doch, oder vielmehr gerade deshalb gab es auch in Österreich eine Gegenreaktion. Es wurden nicht nur mehrere der von Pfarren gehissten Regenbogenfahnen gestohlen, wie in Unken in Salzburg, teilweise wurden sie sogar angezündet, wie etwa in Hard in Vorarlberg. Dass Menschen Vorurteile gegen uns haben, sind wir ja gewöhnt. Dass manche uns hassen, wissen wir. Aber dass einige selbst vor Brandstiftung an Kirchen nicht zurückschrecken, hat eine Dimension, die an dunklere Tage erinnert. Besonderen Respekt verdienen die Pfarrgemeinde Hard und einige andere dafür, dass sie sich nicht einschüchtern ließen, sondern prompt neue Regenbogenfahnen aufhängten – oder sogar eigene Prides organisierten, wie die Unken Pride. Solche Gläubige sind es, die gerade in konservativeren Umgebungen viel bewegen können. Dass sie sich nicht nur gegen die reaktionäre Kirchenhierarchie sondern auch noch gegen miese Verbrecher wehren müssen, zeigt, wie wichtig diese vermeintlich kleinen Symbole sind.

Doch damit nicht genug: Rund um die Regenbogenparade kam es heuer zu einer erschreckenden Häufung von homophoben Übergriffen. Mehrere Menschen haben sich danach an die HOSI Wien und teilweise gleich an die Öffentlichkeit gewandt, weil sie beschimpft und bedroht wurden und teilweise nur knapp Gewalt entgehen konnten. Es lässt sich schwer sagen, ob es zahlenmäßig wirklich eine Zunahme im Verhältnis zu früheren Jahren war, oder ob diese Fälle nur eher gemeldet wurden – erschreckend ist es aber in jedem Fall, wie häufig es vorkam. Die HOSI Wien bittet alle, die Opfer von Übergriffen werden – selbst, wenn es „nur“ Beschimpfungen sind –, diese zu melden. Entweder direkt uns oder der Gleichbehandlungsanwaltschaft (die eine eigene App für anonyme Meldungen hat), und am besten auch Anzeige bei der Polizei zu erstatten. Nur mit klaren Daten und Fakten kann die Polizei Hassverbrechen bekämpfen.

Als Organisator*innen der Vienna Pride sind wir übrigens gleich mit gutem Beispiel vorangegangen. Nachdem bei der Abschlusskundgebung der Regenbogenparade während der Gedenkminute für die Opfer von Hassverbrechen, Verfolgung und HIV/AIDS mehrere mutmaßlich rechtsextreme Männer vom Rathaus ein Plakat mit „No Pride Month“ entrollt haben, haben wir alle unsere Ressourcen zur Verfügung gestellt, um sie ausfindig zu machen und zur Anzeige bringen zu können. Das Wichtigste war aber ohnehin die Reaktion der Teilnehmer*innen: keine Schockstarre, sondern sofort tausende Mittelfinger und „Nazis raus!“-Sprechchöre.

Übergriffe gibt es aber nicht nur zur Pride. In Vorarlberg sind im Sommer zwei transgender Jugendliche verprügelt worden, aus Wien wurde berichtet, dass ein Taxifahrer im Verdacht steht, einen Fahrgast mit einem Schlagring verprügelt zu haben, nachdem klar wurde, dass der in einer Schwulenbar war. Das sind die einzelnen Fälle, die in die seit letztem Jahr endlich erhobene Statistik von Hassverbrechen Eingang finden. Von November 2020 bis April 2021 gab es allein 97 Vorfälle aufgrund der sexuellen Orientierung, hat die Polizei gemeldet. Diese Zahl ist sicher noch zu niedrig, da viele Fälle nicht zur Anzeige gebracht werden, und vor allem sind sie nicht repräsentativ, weil der zweite und dritte Lockdown in diesem Zeitraum waren und damit sehr viel weniger Leben im öffentlichen Raum möglich war, in dem die meisten dieser Übergriffe passieren. Die einzige vorsichtig positive Nachricht: Die Aufklärungsquote dieser Fälle liegt bei 68%.

Was passiert, wenn man Gewalttätern nicht von Anfang an entschieden entgegentritt, konnte man am 5. Juli bei einem traurigen Höhepunkt in Tbilisi, der Hauptstadt von Georgien, sehen: Dort ließ die Polizei am Tag der Tbilisi Pride nationalistischen und georgisch-orthodoxen Randalierer*innen in der Innenstadt freien Lauf. Der georgische Premierminister Irakli Gharibaschwili forderte in Putin-Manier das Absagen der Pride, was die Organisator*innen angesichts der Sicherheitslage auch tun mussten. Doch auch das hinderte den rechten Mob nicht daran, die Büros der Tbilisi Pride zu stürmen und zu verwüsten und den Journalisten Lekso Lashkarava, der von den Ausschreitungen berichtete, schwer zu verletzen, sodass er einige Tage später starb. Gegen diesen Skandal, dass die georgischen Behörden sich schlicht geweigert haben, die Grundrechte der Versammlungs- und Pressefreiheit gegen eine Bande von Randalierern und Mördern zu schützen, hat die georgische Community jedoch ungeheuren Mut bewiesen, und schon am Tag danach protestiert: 7.000 Menschen standen vor dem Parlament in Tbilisi, viele davon auch gar nicht selbst LGBTIQ-Menschen, sondern schlicht anständige, tolerante Georgier*innen, die der pro-europäischen Mehrheit im Land angehören und es satt haben, von Nationalist*innen und christlichen Fundamentalist*innen terrorisiert zu werden.

Eine ähnliche starke Gegenreaktion gab es bei der Budapest Pride in Ungarn: Im Juni hat das Parlament ein Gesetz verabschiedet, das selbst neutrale Information über LGBTIQ-Inhalte in der Nähe von Minderjährigen unter Strafe stellt. Es handelt sich dabei also um ein Gesetz, wie es Putin in Russland eingeführt hat, und wie es auch in ähnlicher Form in Österreich bis 1997 existierte, und das genauso verlogen und bösartig mit dem angeblichen Schutz vor Pädophilie begründet wird. Es sind bereits die ersten Buchhändler für den Verkauf von LGBTIQ-Kinderbüchern bestraft worden. Dagegen gab es in ganz Europa heftige Reaktionen, 17 der 27 Mitgliedsstaaten der EU legten offiziell Protest ein. Österreich wie üblich als Nachzügler nach einem Tag des internationalen Shitstorms in den sozialen Medien, aber immerhin. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn angekündigt. Und die Ungar*innen selbst? Die haben als Reaktion am 24. Juli die größte Budapest Pride in ihrer Geschichte hingelegt und rund 30.000 Menschen auf die Straße gebracht, und auch der Budapester Bürgermeister Gergely Karácsony hat erstmals dort gesprochen und sich klar solidarisch bekannt.

Übrigens ist das nicht das einzige Gesetz dieser Art, das es lange Zeit auch in Österreich gab: Bis 1989 war auch schwule Prostitution verboten, bis 1997 Vereine und bis 2002 konnte ein 19-Jähriger ins Gefängnis gehen, wenn er eine Beziehung mit einem 17-Jährigen hatte. Diese Gesetze waren klar menschenrechtswidrig und bis heute sind die Opfer dieser Strafrechtsverfolgung weder rehabilitiert noch entschädigt worden. Deswegen war es eine besondere Freude und ein historisches Signal, dass Justizministerin Alma Zadić von den Grünen am 7. Juni um Entschuldigung für das zugefügte Unrecht gebeten hat.

Aber das kann nur ein erster Schritt sein und nach der bisherigen grünen Regierungsperformance warten wir auf Taten: Es müssen alle Fälle geprüft werden und jene Menschen rehabilitiert und vor allem entschädigt werden, deren Verhalten heute nicht strafbar wäre. Einerseits braucht es Entschädigungen für die Haftzeiten, andererseits aber auch deren beitragsfreie Anrechnung als Ersatzzeit auf die Pensionsversicherungszeit, die entsprechend verzinste Rückzahlung verhängter Geldstrafen sowie die pauschale Abgeltung für allfällige Anwalts- und Gerichtskosten. Darüber hinaus fordert die HOSI Wien seit Jahren auch eine Entschuldigung des Nationalrats, denn dieser war es, der dieses Unrecht erst verursacht hat. Hier ist vor allem die ÖVP in der Pflicht, die die Abschaffung dieser Strafbestimmungen besonders lange blockiert hat.

Was bleibt nach zwei Monaten mit so einer Dichte von Meldungen, so viele davon so empörend? Die Erkenntnis, dass uns diese Angriffe stärker machen. Weil wir als Community darauf reagieren, indem wir zusammenhalten und friedlich, aber umso lauter reagieren. Wir können es uns gar nicht leisten, zu resignieren. Aufgeben würde bedeuten, jenen, die uns hassen, das Feld zu überlassen und zurück ins Versteck zu gehen. Sie zwingen uns zu noch mehr Sichtbarkeit. Denn wir müssen auch an jene denken, die nicht die Wahl haben, ob sie laut sein wollen. LGBTIQ-Jugendliche, die vielleicht mit einem Gewalttäter im selben Haus leben. LGBTIQ-Flüchtlinge, die in der Flüchtlingsunterkunft gefährdet wären, trügen sie dort ein Soliband von der Regenbogenparade am Handgelenk. Genau deshalb brauchen wir Prides und Demonstrationen. Deswegen dürfen wir keine Geduld mit verzögernder, blockierender Politik haben. Deswegen müssen wir Unternehmen, die im Juni ihre Logos in Regenbogenfarben tünchen, fragen, was sie denn sonst konkret für die Community tun. Wenn wir nur ein kleines bisschen von diesem Zorn als Antrieb für sinnvollen Aktivismus nutzen, können wir viel erreichen.

Von Moritz Yvon

HOSI Wien Vereinssekretär, früherer Obmann HOSI-Wien
Foto: Matt Observe