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Wie gebÀrdet man eigentlich schwul?

Wenn wir an die Vielfalt von Sprachen denken, so fallen uns meistens gesprochene Sprachen, also Lautsprachen, ein. Weniger Beachtung oder Anerkennung finden die GebĂ€rdensprachen. Dabei gibt es Forschungen zufolge weit ĂŒber 190 verschiedene GebĂ€rdensprachen. Sie wertzuschĂ€tzen, anzuerkennen und mitzudenken ist notwendig fĂŒr eine inklusive Gesellschaft.

Vorweg: Es gibt keine universelle GebĂ€rdensprache, genauso wenig wie es eine universelle Lautsprache gibt. Bestrebungen Ă€hnlich jener der Esperanto-Bewegung gab es zwar auch in der Gehörlosen-Gemeinschaft, konnte sich aber ebenso wie unter Hörenden nicht durchsetzen. Neben der Österreichischen GebĂ€rdensprache gibt es auch die Deutsche, die Schweizerische, die Amerikanische, die Britische, die Französische u.v.m. Sogar Dialekte gibt es, auch in Österreich. Diese Vielfalt an GebĂ€rdensprachen ist beeindruckend und bereichert den Sprachschatz der Menschheit. In der Forschung geht man davon aus, dass Zentren der GebĂ€rdensprachen in den vergangenen Jahrzehnten, allen voran im 18. bis 19. Jahrhundert, die so genannten „Taubstummen“-Schulen waren, die zur Verbreitung beigetragen haben. Allerdings gibt es GebĂ€rdensprachen schon seit es Menschen gibt. Übrigens: der Begriff „Taubstumm“ gilt als ĂŒberholt, da viele gehörlose und schwerhörige Menschen nicht stumm sind. Wobei es wichtig ist zu betonen, dass Begriffe stets im historischen Kontext zu sehen sind.

Hierzulande ist die Österreichische GebĂ€rdensprache (ÖGS) seit 2005 im Bundes-Verfassungsgesetz als eigenstĂ€ndige Sprache gesetzlich verankert. Konsequenzen daraus ergaben sich allerdings nicht. Noch immer gibt es UnzulĂ€nglichkeiten im Bildungsbereich, bei der ZugĂ€nglichkeit von Informationen, kaum Verpflichtungen zur Dolmetschung in ÖGS, etc. Schwierigkeiten gab es vor allem im Bildungsbereich, wo zunĂ€chst die ÖGS als Unterrichtssprache nicht anerkannt wurde. Bei der Ausbildung und Erziehung gibt es allerdings im ÖGS-Sprachraum seit 1779 einen ideologischen Streit, welche Methode, also rein lautsprachlich, rein gebĂ€rdensprachlich oder bilingual, die beste Methode wĂ€re. Die PĂ€dagogik ging auch mal in die eine und mal in die andere Richtung. Das ist höchst bemerkenswert, veranschaulicht sie doch, wie unterschiedlich die Generationen mit Menschen umgehen. Seit den 2010er-Jahren kommt langsam Bewegung in diese Angelegenheit, nicht zuletzt auf Grund der UN-Konvention ĂŒber die Rechte von Menschen mit Behinderungen, wo auch das Recht auf GebĂ€rdensprache verfestigt ist.

Es ist zudem Ă€ußerst schade, vor allem auch gesellschaftspolitisch, dass es keinen flĂ€chendeckenden Unterricht in GebĂ€rdensprache in Österreich gibt. Dagegengehalten wird der tatsĂ€chliche Nutzen. Jedoch hat das unmittelbare Auswirkungen: wĂ€hrend es völlig selbstverstĂ€ndlich ist in einer Runde auf Englisch zu wechseln, weil eine Person dabei ist, die nicht so gut die im Land gesprochene Sprache beherrscht, so gut wie gar nicht wechselt die Runde in GebĂ€rdensprache, wenn eine Person schlicht nicht oder weniger hört. Damit geht leider eine höhere Ausgrenzung von gehörlosen und schwerhörigen Personen einher. Viele gehörlose und schwerhörige Personen vermeiden daher grĂ¶ĂŸere Runden mit hörenden Personen, weil es schlicht an der Kommunikation scheitert.

Die GebĂ€rdensprache ist die Erstsprache vieler gehörloser und schwerhöriger Personen. Rund 10.000 gehörlose und ungefĂ€hr 250.000 schwerhörige Personen leben in Österreich. Unter ihnen gibt es auch LGBTIQ-Personen, denn die sexuelle Orientierung macht nicht vor der Behinderung halt – auch nicht umgekehrt. Zentral ist hier die Forderung nach einer gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft, so auch in der LGBTIQ-Community. Hier spielt die Kommunikation eine erhebliche Rolle, wenn nicht gar die Erheblichste. Mit einer hörenden Person ins GesprĂ€ch zu kommen ist allemal leichter, als mit einer gehörlosen oder schwerhörigen Person, da die Hemmschwelle wegen fehlender Sprachkenntnisse einfach höher ist. Was ist, wenn Sie in einem Lokal eine schwerhörige oder gehörlose Person sehen, die Ihnen gefĂ€llt? Wie kommunizieren Sie? In Zeiten von Handys ist dies schon leichter geworden – da kann man einfach SĂ€tze hin und her tippen. Doch ein GesprĂ€ch, beispielsweise in GebĂ€rdensprache, wird wohl die Ausnahme bleiben. Lippenablesen funktioniert nur zu 33 %. Idealer NĂ€hrboden fĂŒr MissverstĂ€ndnisse, die man beim Flirten eher vermeiden möchte.

Gibt es so etwas wie eine queere GebÀrdensprache?

Die GebĂ€rdensprache ist in ihrer Genese eine sehr direkte Sprache. Beispielsweise verzichtet die ÖGS fast vollstĂ€ndig auf Artikel oder auch auf die Verben „sein“ und „werden“. GebĂ€rden, so nennt man die Wörter der GebĂ€rdensprache, können sehr bildhaft sein, manchmal erscheinen sie logisch, manchmal ĂŒberhaupt nicht. Es gibt fĂŒr nahezu jedes Wort eine GebĂ€rde. Wenn nicht, wird dieses Wort anhand des Fingeralphabets buchstabiert. Wie in allen Sprachen gilt auch hier, dass neue Wörter (ein stĂ€ndiges Kommen und Gehen) implementiert werden. Daher fanden LGBTIQ-Begriffe naturgemĂ€ĂŸ ebenso Eingang in die ÖGS, wie sie ihn in die (deutsche) Lautsprache gefunden haben. SelbstverstĂ€ndlich gibt es in der GebĂ€rdensprache auch GebĂ€rden fĂŒr mĂ€nnlich, weiblich, divers, offen, inter, transgender, schwul, lesbisch, bi, queer usw. Die GebĂ€rde „schwul“ bietet sich in diesem Zusammenhang wunderbar an, um sie etymologisch nĂ€her anzusehen: Der Begriff HomosexualitĂ€t beginnt sich in der zweiten HĂ€lfte des 19. Jahrhunderts zu etablieren – ohne Belege vorweisen zu können, darf davon ausgegangen werden, dass dieser Begriff auch irgendwann in der Gehörlosen-Gemeinschaft auftauchte. Im Laufe der Zeit hat die GebĂ€rde sich gewandelt – so war die frĂŒhere GebĂ€rde sehr deutlich auf den Geschlechtsverkehr reduziert, spĂ€ter wurde eine andere GebĂ€rde, die auf den vermeintlich schwulen Ohrring hindeutete, verwendet, bis schwerhörige und gehörlose LGBTIQ-Personen im Zuge einer zunehmenden Selbstbewusstseinswerdung eine neutralere GebĂ€rde verlangten und auch durchsetzten. Der Begriff „queer“ etwa verbreitete sich zunehmend in den 2010er Jahren, da auch hier vermehrt dieser Begriff von schwerhörigen und gehörlosen gebĂ€rdensprachigen Menschen verwendet wurde.

SelbstverstĂ€ndlich gibt es auch in der GebĂ€rdensprache Abwertungen gegenĂŒber Menschen. Doch dies hĂ€ngt meiner Meinung nach stark von der Konnotation, etwa Mimik, Gestik, etc. ab, wie es in der Lautsprache per Betonung geschieht. Anhand eines anderen Beispiels kann man aufzeigen, dass Sprache per se nicht diskriminierend ist, sondern es eher darum geht, wer wie was sagt. Ist der Inhalt des zu vermittelnden inklusiv, wird womöglich sofort auch die Sprache inklusiv. Wobei festgestellt werden muss, dass in der GebĂ€rdensprache das Genus marginal prĂ€sent ist. Geschlecht wird dann sichtbar, wenn es nötig wird. Eine Binnen-I-, Gender-Gap- oder Genderstern-Debatte gibt es daher in der GebĂ€rdensprache nicht wirklich. Das liegt in der Natur der Sprache selbst. Allenfalls ist in diesem Zusammenhang aber eine wichtige Unterscheidung vorzunehmen: GebĂ€rdensprache ist nicht gleich Laut- und Schriftsprache. Selbst die letzten zwei weisen Unterschiede auf. Das Zusammenspiel dieser drei Sprachen kann bei einer Dolmetschung veranschaulicht werden: Dolmetscher­*innen haben naturgemĂ€ĂŸ die Aufgabe eins zu eins von Deutsch in ÖGS oder umgekehrt zu ĂŒbersetzen – wesentlich ist ein kultursensibler Zugang. Geschlechtsneutrale Formulierungen werden daher auch ĂŒbernommen und entsprechend ausformuliert. Machen Vortragende eine Pause, um beispielsweise das Binnen-I oder das Gender-Sternchen zu verdeutlichen, dann wird das entsprechend ĂŒbersetzt. Allerdings kommt es hier manchmal zu einer Lautsprache-GebĂ€rde, welche zwar als mögliche, aber tunlichst zu vermeidende Form gilt. Das bedeutet jedoch nicht, dass geschlechtsneutrale Formulierungen nicht verwendet werden – etwa Studierende (die verschriftlichte Version in GebĂ€rdensprache könnte STUDIERENDE-PERSONEN heißen).

Man kann daher getrost sagen: Sprache ist so vielfÀltig, wie ihre Benutzer*in sie anwendet.

Von Florian Wibmer

Florian Wibmer ist Referent bei der Wiener Antidiskriminierungsstelle fĂŒr gleichgeschlechtliche und transgender Lebensweisen. Zuvor hat er Geschichte an der UniversitĂ€t Wien studiert und war einige Jahre Vorsitzender des Vereins Österreichischer Gehörloser Studierender sowie im Monitoringausschuss zur Überwachung der UN-Konvention ĂŒber die Rechte von Menschen mit Behinderungen aktiv. (Foto: © Rene Gschnaidtner)